Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.Storm empfand dieses Schrecknis ganz besonders stark. Ich habe zahllose Gespräche mit ihm über dies diffizile Thema gehabt und bin seinen Auseinandersetzungen, wie dann später den gleichlautenden Auslassungen seiner Gesinnungsgenossen, jeder Zeit mit sehr gemischten Gefühlen gefolgt, mit Zustimmung und mit Ungeduld. Mit Zustimmung, weil ich das, was man Preußen vorwirft, oft so gerechtfertigt finde, daß ich die Vorwürfe womöglich noch überbieten möchte; mit Ungeduld, weil sich in dieser ewigen Verkleinerung Preußens eine ganz unerträgliche Anmaßung und Ueberheblichkeit ausspricht, also genau das, was man uns vorwirft. In Selbstgerechtigkeit sind die deutschen Volksschaften unter einander dermaßen gleichartig und ebenbürtig, daß, wenn schließlich zwischen ihnen abgerechnet werden soll, kein anderer Maßstab übrig bleibt als der, den uns ihre, das ganze Gebiet des Lebens umfassenden Thaten an die Hand geben. Und wenn diese Thaten zum Maßstab genommen werden sollen, wer will da so leichten Spieles mit uns fertig werden! Vieles in "Berlin und Potsdam" war immer sehr ledern und ist es noch; wenns aber zum Letzten und Eigentlichsten kommt, was ist dann, um nur ein halbes Jahrhundert als Beispiel heraus zu greifen, die ganze schleswig-holsteinische Geschichte Storm empfand dieses Schrecknis ganz besonders stark. Ich habe zahllose Gespräche mit ihm über dies diffizile Thema gehabt und bin seinen Auseinandersetzungen, wie dann später den gleichlautenden Auslassungen seiner Gesinnungsgenossen, jeder Zeit mit sehr gemischten Gefühlen gefolgt, mit Zustimmung und mit Ungeduld. Mit Zustimmung, weil ich das, was man Preußen vorwirft, oft so gerechtfertigt finde, daß ich die Vorwürfe womöglich noch überbieten möchte; mit Ungeduld, weil sich in dieser ewigen Verkleinerung Preußens eine ganz unerträgliche Anmaßung und Ueberheblichkeit ausspricht, also genau das, was man uns vorwirft. In Selbstgerechtigkeit sind die deutschen Volksschaften unter einander dermaßen gleichartig und ebenbürtig, daß, wenn schließlich zwischen ihnen abgerechnet werden soll, kein anderer Maßstab übrig bleibt als der, den uns ihre, das ganze Gebiet des Lebens umfassenden Thaten an die Hand geben. Und wenn diese Thaten zum Maßstab genommen werden sollen, wer will da so leichten Spieles mit uns fertig werden! Vieles in „Berlin und Potsdam“ war immer sehr ledern und ist es noch; wenns aber zum Letzten und Eigentlichsten kommt, was ist dann, um nur ein halbes Jahrhundert als Beispiel heraus zu greifen, die ganze schleswig-holsteinische Geschichte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0355" n="346"/> Storm empfand dieses Schrecknis ganz besonders stark. Ich habe zahllose Gespräche mit ihm über dies diffizile Thema gehabt und bin seinen Auseinandersetzungen, wie dann später den gleichlautenden Auslassungen seiner Gesinnungsgenossen, jeder Zeit mit sehr gemischten Gefühlen gefolgt, mit Zustimmung und mit Ungeduld. Mit Zustimmung, weil ich das, was man Preußen vorwirft, oft <hi rendition="#g">so</hi> gerechtfertigt finde, daß ich die Vorwürfe womöglich noch überbieten möchte; mit Ungeduld, weil sich in dieser ewigen Verkleinerung Preußens eine ganz unerträgliche Anmaßung und Ueberheblichkeit ausspricht, also genau das, was man uns vorwirft. In Selbstgerechtigkeit sind die deutschen Volksschaften unter einander dermaßen gleichartig und ebenbürtig, daß, wenn schließlich zwischen ihnen abgerechnet werden soll, kein anderer Maßstab übrig bleibt als <hi rendition="#g">der</hi>, den uns ihre, das ganze Gebiet des Lebens umfassenden Thaten an die Hand geben. Und wenn diese Thaten zum Maßstab genommen werden sollen, wer will da so leichten Spieles mit uns fertig werden! Vieles in „Berlin und Potsdam“ war immer sehr ledern und ist es noch; wenns aber zum Letzten und Eigentlichsten kommt, was ist dann, um nur <hi rendition="#g">ein</hi> halbes Jahrhundert als Beispiel heraus zu greifen, die ganze schleswig-holsteinische Geschichte<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [346/0355]
Storm empfand dieses Schrecknis ganz besonders stark. Ich habe zahllose Gespräche mit ihm über dies diffizile Thema gehabt und bin seinen Auseinandersetzungen, wie dann später den gleichlautenden Auslassungen seiner Gesinnungsgenossen, jeder Zeit mit sehr gemischten Gefühlen gefolgt, mit Zustimmung und mit Ungeduld. Mit Zustimmung, weil ich das, was man Preußen vorwirft, oft so gerechtfertigt finde, daß ich die Vorwürfe womöglich noch überbieten möchte; mit Ungeduld, weil sich in dieser ewigen Verkleinerung Preußens eine ganz unerträgliche Anmaßung und Ueberheblichkeit ausspricht, also genau das, was man uns vorwirft. In Selbstgerechtigkeit sind die deutschen Volksschaften unter einander dermaßen gleichartig und ebenbürtig, daß, wenn schließlich zwischen ihnen abgerechnet werden soll, kein anderer Maßstab übrig bleibt als der, den uns ihre, das ganze Gebiet des Lebens umfassenden Thaten an die Hand geben. Und wenn diese Thaten zum Maßstab genommen werden sollen, wer will da so leichten Spieles mit uns fertig werden! Vieles in „Berlin und Potsdam“ war immer sehr ledern und ist es noch; wenns aber zum Letzten und Eigentlichsten kommt, was ist dann, um nur ein halbes Jahrhundert als Beispiel heraus zu greifen, die ganze schleswig-holsteinische Geschichte
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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