Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.fehltesten aber fand es der mitkritisierende Storm, der, als er sein Urteil abgeben sollte, des weiteren ausführte, daß vor allem "die schwüle Stimmung" darin fehle. "Nun, Tannhäuser," so rief man ihm zu, "dann machen Sie's doch." Und Storm war auch wirklich dazu bereit und erschien vierzehn Tage später mit dem von ihm zugesagten Gedicht "Geschwisterliebe", aber nur, um einen totalen Abfall zu erleben. "Ja," hieß es, "Ihr Gedicht ist freilich besser, aber zugleich auch viel schlechter; die ,schwüle Stimmung' von der Sie sprachen, die haben Sie herausgebracht; aber es wird einem ganz himmelangst dabei." Dies Urteil war, glaub' ich, richtig; Storm selbst empfand auch etwas der Art und bastelte noch daran herum, suchte sich sogar in Gesprächen und Briefen zu verteidigen. Aber ohne rechten Erfolg. Einer dieser Briefe richtete sich an mich. "Erschrecken Sie nicht," so schrieb er mir, "daß ich noch einmal auf meine Ballada incestuosa zurückkomme. Jede Sitte, worunter wir an sich nur ein äußerlich allgemein Geltendes und Beobachtetes verstehen, hat ein inneres, reelles Fundament, wodurch dieselbe ihre Berechtigung erhält. Die Sitte - denn mit den rechtlichen Verboten in dieser fehltesten aber fand es der mitkritisierende Storm, der, als er sein Urteil abgeben sollte, des weiteren ausführte, daß vor allem „die schwüle Stimmung“ darin fehle. „Nun, Tannhäuser,“ so rief man ihm zu, „dann machen Sie’s doch.“ Und Storm war auch wirklich dazu bereit und erschien vierzehn Tage später mit dem von ihm zugesagten Gedicht „Geschwisterliebe“, aber nur, um einen totalen Abfall zu erleben. „Ja,“ hieß es, „Ihr Gedicht ist freilich besser, aber zugleich auch viel schlechter; die ‚schwüle Stimmung‘ von der Sie sprachen, die haben Sie herausgebracht; aber es wird einem ganz himmelangst dabei.“ Dies Urteil war, glaub’ ich, richtig; Storm selbst empfand auch etwas der Art und bastelte noch daran herum, suchte sich sogar in Gesprächen und Briefen zu verteidigen. Aber ohne rechten Erfolg. Einer dieser Briefe richtete sich an mich. „Erschrecken Sie nicht,“ so schrieb er mir, „daß ich noch einmal auf meine Ballada incestuosa zurückkomme. Jede Sitte, worunter wir an sich nur ein äußerlich allgemein Geltendes und Beobachtetes verstehen, hat ein inneres, reelles Fundament, wodurch dieselbe ihre Berechtigung erhält. Die Sitte – denn mit den rechtlichen Verboten in dieser <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0359" n="350"/> fehltesten aber fand es der mitkritisierende Storm, der, als er sein Urteil abgeben sollte, des weiteren ausführte, daß vor allem „die schwüle Stimmung“ darin fehle. „Nun, Tannhäuser,“ so rief man ihm zu, „dann machen <hi rendition="#g">Sie’s</hi> doch.“ Und Storm war auch wirklich dazu bereit und erschien vierzehn Tage später mit dem von ihm zugesagten Gedicht „Geschwisterliebe“, aber nur, um einen totalen Abfall zu erleben. „Ja,“ hieß es, „Ihr Gedicht ist freilich besser, aber zugleich auch viel schlechter; die ‚schwüle Stimmung‘ von der Sie sprachen, die haben Sie herausgebracht; aber es wird einem ganz himmelangst dabei.“ Dies Urteil war, glaub’ ich, richtig; Storm selbst empfand auch etwas der Art und bastelte noch daran herum, suchte sich sogar in Gesprächen und Briefen zu verteidigen. Aber ohne rechten Erfolg. Einer dieser Briefe richtete sich an mich.</p><lb/> <p>„Erschrecken Sie nicht,“ so schrieb er mir, „daß ich noch einmal auf meine <hi rendition="#aq">Ballada incestuosa</hi> zurückkomme.</p><lb/> <p>Jede <hi rendition="#g">Sitte</hi>, worunter wir an sich nur ein äußerlich allgemein Geltendes und Beobachtetes verstehen, hat ein inneres, reelles <hi rendition="#g">Fundament</hi>, wodurch dieselbe ihre Berechtigung erhält. Die Sitte – denn mit den <hi rendition="#g">rechtlichen</hi> Verboten in dieser<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [350/0359]
fehltesten aber fand es der mitkritisierende Storm, der, als er sein Urteil abgeben sollte, des weiteren ausführte, daß vor allem „die schwüle Stimmung“ darin fehle. „Nun, Tannhäuser,“ so rief man ihm zu, „dann machen Sie’s doch.“ Und Storm war auch wirklich dazu bereit und erschien vierzehn Tage später mit dem von ihm zugesagten Gedicht „Geschwisterliebe“, aber nur, um einen totalen Abfall zu erleben. „Ja,“ hieß es, „Ihr Gedicht ist freilich besser, aber zugleich auch viel schlechter; die ‚schwüle Stimmung‘ von der Sie sprachen, die haben Sie herausgebracht; aber es wird einem ganz himmelangst dabei.“ Dies Urteil war, glaub’ ich, richtig; Storm selbst empfand auch etwas der Art und bastelte noch daran herum, suchte sich sogar in Gesprächen und Briefen zu verteidigen. Aber ohne rechten Erfolg. Einer dieser Briefe richtete sich an mich.
„Erschrecken Sie nicht,“ so schrieb er mir, „daß ich noch einmal auf meine Ballada incestuosa zurückkomme.
Jede Sitte, worunter wir an sich nur ein äußerlich allgemein Geltendes und Beobachtetes verstehen, hat ein inneres, reelles Fundament, wodurch dieselbe ihre Berechtigung erhält. Die Sitte – denn mit den rechtlichen Verboten in dieser
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).
(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |