ihm bis dahin ganz besonders unliebsam begegnet war. An jenem Abend aber umarmte er den armen Dichter und bat ihn um Verzeihung, ihn durch Jahre hin verkannt und verletzt zu haben. Als er - Leo Goldammer - mir davon erzählte, strahlte er. Kuglers Eintreten für ihn, ganz besonders nach jener geglückten Aufführung, hatte zur Voraussetzung, daß Goldammer mit anderen patriotischen Stücken folgen würde. Das unterblieb aber, und ich muß hinzusetzen, ein Glück, daß es unterblieb. Ich glaube, Kugler stand damals noch auf dem Standpunkte, daß sich aus einem patriotischen Stoff immer was machen lasse, wenn nicht was Gutes, so doch was Mittelgutes, und unter allen Umständen ein Etwas, das, schon um des Stückchens vaterländischer Geschichte willen, vor im übrigen gleichwertigen Arbeiten den Vorzug verdiene. Woraus sich dann in weiterer Folge wie von selbst ergiebt, daß auch der patriotische Dichter vor dem nicht-patriotischen immer einen Pas voraus habe. Durch den Stoff getragen, findet er von vornherein offenere Herzen. Diese weit verbreitete Meinung ist aber meiner Erfahrung nach grundfalsch. Von manch anderem, was sich gegen patriotische Stoffe sagen läßt, ganz abgesehen, ist auch vom persönlich-egoistischen Dichterstandpunkte aus nichts gefährlicher zu behandeln als das "Patrio-
ihm bis dahin ganz besonders unliebsam begegnet war. An jenem Abend aber umarmte er den armen Dichter und bat ihn um Verzeihung, ihn durch Jahre hin verkannt und verletzt zu haben. Als er – Leo Goldammer – mir davon erzählte, strahlte er. Kuglers Eintreten für ihn, ganz besonders nach jener geglückten Aufführung, hatte zur Voraussetzung, daß Goldammer mit anderen patriotischen Stücken folgen würde. Das unterblieb aber, und ich muß hinzusetzen, ein Glück, daß es unterblieb. Ich glaube, Kugler stand damals noch auf dem Standpunkte, daß sich aus einem patriotischen Stoff immer was machen lasse, wenn nicht was Gutes, so doch was Mittelgutes, und unter allen Umständen ein Etwas, das, schon um des Stückchens vaterländischer Geschichte willen, vor im übrigen gleichwertigen Arbeiten den Vorzug verdiene. Woraus sich dann in weiterer Folge wie von selbst ergiebt, daß auch der patriotische Dichter vor dem nicht-patriotischen immer einen Pas voraus habe. Durch den Stoff getragen, findet er von vornherein offenere Herzen. Diese weit verbreitete Meinung ist aber meiner Erfahrung nach grundfalsch. Von manch anderem, was sich gegen patriotische Stoffe sagen läßt, ganz abgesehen, ist auch vom persönlich-egoistischen Dichterstandpunkte aus nichts gefährlicher zu behandeln als das „Patrio-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0389"n="380"/>
ihm bis dahin ganz besonders unliebsam begegnet war. An jenem Abend aber umarmte er den armen Dichter und bat ihn um Verzeihung, ihn durch Jahre hin verkannt und verletzt zu haben. Als er – Leo Goldammer – mir davon erzählte, strahlte er. Kuglers Eintreten für ihn, ganz besonders nach jener geglückten Aufführung, hatte zur Voraussetzung, daß Goldammer mit anderen patriotischen Stücken folgen würde. Das unterblieb aber, und ich muß hinzusetzen, ein Glück, daß es unterblieb. Ich glaube, Kugler stand damals noch auf dem Standpunkte, daß sich aus einem patriotischen Stoff <hirendition="#g">immer</hi> was machen lasse, wenn nicht was Gutes, so doch was Mittelgutes, und unter allen Umständen ein Etwas, das, schon um des Stückchens vaterländischer Geschichte willen, vor im übrigen gleichwertigen Arbeiten den Vorzug verdiene. Woraus sich dann in weiterer Folge wie von selbst ergiebt, daß auch der patriotische <hirendition="#g">Dichter</hi> vor dem nicht-patriotischen immer einen Pas voraus habe. Durch den Stoff getragen, findet er von vornherein offenere Herzen. Diese weit verbreitete Meinung ist aber meiner Erfahrung nach grundfalsch. Von manch anderem, was sich gegen patriotische Stoffe sagen läßt, ganz abgesehen, ist auch vom persönlich-egoistischen Dichterstandpunkte aus nichts gefährlicher zu behandeln als das „Patrio-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[380/0389]
ihm bis dahin ganz besonders unliebsam begegnet war. An jenem Abend aber umarmte er den armen Dichter und bat ihn um Verzeihung, ihn durch Jahre hin verkannt und verletzt zu haben. Als er – Leo Goldammer – mir davon erzählte, strahlte er. Kuglers Eintreten für ihn, ganz besonders nach jener geglückten Aufführung, hatte zur Voraussetzung, daß Goldammer mit anderen patriotischen Stücken folgen würde. Das unterblieb aber, und ich muß hinzusetzen, ein Glück, daß es unterblieb. Ich glaube, Kugler stand damals noch auf dem Standpunkte, daß sich aus einem patriotischen Stoff immer was machen lasse, wenn nicht was Gutes, so doch was Mittelgutes, und unter allen Umständen ein Etwas, das, schon um des Stückchens vaterländischer Geschichte willen, vor im übrigen gleichwertigen Arbeiten den Vorzug verdiene. Woraus sich dann in weiterer Folge wie von selbst ergiebt, daß auch der patriotische Dichter vor dem nicht-patriotischen immer einen Pas voraus habe. Durch den Stoff getragen, findet er von vornherein offenere Herzen. Diese weit verbreitete Meinung ist aber meiner Erfahrung nach grundfalsch. Von manch anderem, was sich gegen patriotische Stoffe sagen läßt, ganz abgesehen, ist auch vom persönlich-egoistischen Dichterstandpunkte aus nichts gefährlicher zu behandeln als das „Patrio-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/389>, abgerufen am 19.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.