Zu Methfessels amtlichen Obliegenheiten gehörten auch Inspektionen, darunter als Feinstes Inspektionen höherer Töchterschulen. Eine dieser Töchterschulen, zugleich mit einem vornehmen Pensionate verbunden, war ihm schon längst ein Dorn im Auge. Vielleicht, daß er das eine oder das andere gehört hatte, was der Schul- und Pensionsvorsteherin, einer hübschen, stattlichen Dame, nachteilig war. Doch möchte ich dies andererseits bezweifeln, wenigstens die Berechtigung dazu; denn ich habe die Dame selbst noch sehr gut gekannt. Ich wohnte mit ihr in demselben Hause. Nun also, Methfessel kam, um nach dem Rechten zu sehen. Er erschien in einer der oberen Klassen, und während der Unterricht seinen Verlauf nahm, ging er von Platz zu Platz und revidierte die Hefte. Gleich auf der zweiten Reihe saß eine fünfzehnjährige Blondine, reizendes Geschöpf; Methfessel durchblätterte das Diarium, kam bis auf die letzte Seite, warf einen flüchtigen Blick auf das wie mit Blut übergossene junge Ding und steckte das Heft in die Brusttasche. Den anderen Vormittag ließ er sich bei der Mutter melden, einer vornehmen, reichen Dame, selbst noch jung. Er erzählte, was nötig war, und überreichte dann das Heft. Die junge Frau - ihre verhältnismäßige Jugend mag es entschuldigen - ließ sich zu der Unwahrheit hinreißen, "daß sie
Zu Methfessels amtlichen Obliegenheiten gehörten auch Inspektionen, darunter als Feinstes Inspektionen höherer Töchterschulen. Eine dieser Töchterschulen, zugleich mit einem vornehmen Pensionate verbunden, war ihm schon längst ein Dorn im Auge. Vielleicht, daß er das eine oder das andere gehört hatte, was der Schul- und Pensionsvorsteherin, einer hübschen, stattlichen Dame, nachteilig war. Doch möchte ich dies andererseits bezweifeln, wenigstens die Berechtigung dazu; denn ich habe die Dame selbst noch sehr gut gekannt. Ich wohnte mit ihr in demselben Hause. Nun also, Methfessel kam, um nach dem Rechten zu sehen. Er erschien in einer der oberen Klassen, und während der Unterricht seinen Verlauf nahm, ging er von Platz zu Platz und revidierte die Hefte. Gleich auf der zweiten Reihe saß eine fünfzehnjährige Blondine, reizendes Geschöpf; Methfessel durchblätterte das Diarium, kam bis auf die letzte Seite, warf einen flüchtigen Blick auf das wie mit Blut übergossene junge Ding und steckte das Heft in die Brusttasche. Den anderen Vormittag ließ er sich bei der Mutter melden, einer vornehmen, reichen Dame, selbst noch jung. Er erzählte, was nötig war, und überreichte dann das Heft. Die junge Frau – ihre verhältnismäßige Jugend mag es entschuldigen – ließ sich zu der Unwahrheit hinreißen, „daß sie
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0411"n="402"/><p>Zu Methfessels amtlichen Obliegenheiten gehörten auch Inspektionen, darunter als Feinstes Inspektionen höherer Töchterschulen. Eine dieser Töchterschulen, zugleich mit einem vornehmen Pensionate verbunden, war ihm schon längst ein Dorn im Auge. Vielleicht, daß er das eine oder das andere gehört hatte, was der Schul- und Pensionsvorsteherin, einer hübschen, stattlichen Dame, nachteilig war. Doch möchte ich dies andererseits bezweifeln, wenigstens die Berechtigung dazu; denn ich habe die Dame selbst noch sehr gut gekannt. Ich wohnte mit ihr in demselben Hause. Nun also, Methfessel kam, um nach dem Rechten zu sehen. Er erschien in einer der oberen Klassen, und während der Unterricht seinen Verlauf nahm, ging er von Platz zu Platz und revidierte die Hefte. Gleich auf der zweiten Reihe saß eine fünfzehnjährige Blondine, reizendes Geschöpf; Methfessel durchblätterte das Diarium, kam bis auf die letzte Seite, warf einen flüchtigen Blick auf das wie mit Blut übergossene junge Ding und steckte das Heft in die Brusttasche. Den anderen Vormittag ließ er sich bei der Mutter melden, einer vornehmen, reichen Dame, selbst noch jung. Er erzählte, was nötig war, und überreichte dann das Heft. Die junge Frau – ihre verhältnismäßige Jugend mag es entschuldigen – ließ sich zu der Unwahrheit hinreißen, „daß sie<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
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Zu Methfessels amtlichen Obliegenheiten gehörten auch Inspektionen, darunter als Feinstes Inspektionen höherer Töchterschulen. Eine dieser Töchterschulen, zugleich mit einem vornehmen Pensionate verbunden, war ihm schon längst ein Dorn im Auge. Vielleicht, daß er das eine oder das andere gehört hatte, was der Schul- und Pensionsvorsteherin, einer hübschen, stattlichen Dame, nachteilig war. Doch möchte ich dies andererseits bezweifeln, wenigstens die Berechtigung dazu; denn ich habe die Dame selbst noch sehr gut gekannt. Ich wohnte mit ihr in demselben Hause. Nun also, Methfessel kam, um nach dem Rechten zu sehen. Er erschien in einer der oberen Klassen, und während der Unterricht seinen Verlauf nahm, ging er von Platz zu Platz und revidierte die Hefte. Gleich auf der zweiten Reihe saß eine fünfzehnjährige Blondine, reizendes Geschöpf; Methfessel durchblätterte das Diarium, kam bis auf die letzte Seite, warf einen flüchtigen Blick auf das wie mit Blut übergossene junge Ding und steckte das Heft in die Brusttasche. Den anderen Vormittag ließ er sich bei der Mutter melden, einer vornehmen, reichen Dame, selbst noch jung. Er erzählte, was nötig war, und überreichte dann das Heft. Die junge Frau – ihre verhältnismäßige Jugend mag es entschuldigen – ließ sich zu der Unwahrheit hinreißen, „daß sie
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/411>, abgerufen am 27.07.2024.
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