Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

zehn) und war "Nachbarskind" von mir in einem in der Großen Hamburgerstraße gelegenen Doppelhause, dicht neben dem alten Judenkirchhof. In dem einen Hause, Parterre, wohnte damals mein Onkel August, bei dem ich, wie schon in einem früheren Kapitel erzählt, meine Schulzeit über in Pension war, während das 10jährige Kind, das meine Braut werden sollte, drei Treppen hoch in dem Nachbarhause residierte. Sie war die Adoptivtochter eines noch weiterhin zu charakterisierenden älteren Herren aus dem Sächsischen, der von den Mitbewohnern, lauter kleinen Leuten, der "Herr Rat Kummer" genannt wurde. Nach ihm hieß sie denn auch Emilie Kummer. Ihr eigentlicher Name aber, den sie erst, früh verwaist, bei Gelegenheit ihrer im vierten oder fünften Jahre stattgehabten Adoption abgelegt hatte, war Rouanet.

Als sie geboren wurde, lebte noch in hohem Alter der Großvater Rouanet, durch den die Familie dieses Namens in unserem Lande seßhaft geworden war. Von diesem alten Herrn möchte ich hier zunächst erzählen. Er stammte nicht aus einer Refugie-Familie, sondern hatte Südfrankreich sehr viel später, erst in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, verlassen. In Konflikte mit seiner in Toulouse sehr angesehenen Familie geraten, war er

zehn) und war „Nachbarskind“ von mir in einem in der Großen Hamburgerstraße gelegenen Doppelhause, dicht neben dem alten Judenkirchhof. In dem einen Hause, Parterre, wohnte damals mein Onkel August, bei dem ich, wie schon in einem früheren Kapitel erzählt, meine Schulzeit über in Pension war, während das 10jährige Kind, das meine Braut werden sollte, drei Treppen hoch in dem Nachbarhause residierte. Sie war die Adoptivtochter eines noch weiterhin zu charakterisierenden älteren Herren aus dem Sächsischen, der von den Mitbewohnern, lauter kleinen Leuten, der „Herr Rat Kummer“ genannt wurde. Nach ihm hieß sie denn auch Emilie Kummer. Ihr eigentlicher Name aber, den sie erst, früh verwaist, bei Gelegenheit ihrer im vierten oder fünften Jahre stattgehabten Adoption abgelegt hatte, war Rouanet.

Als sie geboren wurde, lebte noch in hohem Alter der Großvater Rouanet, durch den die Familie dieses Namens in unserem Lande seßhaft geworden war. Von diesem alten Herrn möchte ich hier zunächst erzählen. Er stammte nicht aus einer Refugié-Familie, sondern hatte Südfrankreich sehr viel später, erst in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, verlassen. In Konflikte mit seiner in Toulouse sehr angesehenen Familie geraten, war er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0548" n="539"/>
zehn) und war &#x201E;Nachbarskind&#x201C; von mir in einem in der Großen Hamburgerstraße gelegenen Doppelhause, dicht neben dem alten Judenkirchhof. In dem einen Hause, Parterre, wohnte damals mein Onkel August, bei dem ich, wie schon in einem früheren Kapitel erzählt, meine Schulzeit über in Pension war, während das 10jährige Kind, das meine Braut werden sollte, drei Treppen hoch in dem Nachbarhause residierte. Sie war die Adoptivtochter eines noch weiterhin zu <choice><sic>charaktrisierenden</sic><corr>charakterisierenden</corr></choice> älteren Herren aus dem Sächsischen, der von den Mitbewohnern, lauter kleinen Leuten, der &#x201E;Herr Rat Kummer&#x201C; genannt wurde. Nach ihm hieß sie denn auch Emilie Kummer. Ihr eigentlicher Name aber, den sie erst, früh verwaist, bei Gelegenheit ihrer im vierten oder fünften Jahre stattgehabten Adoption abgelegt hatte, war Rouanet.</p><lb/>
          <p rend="Body Text Indent 2">Als sie geboren wurde, lebte noch in hohem Alter der Großvater Rouanet, durch den die Familie dieses Namens in unserem Lande seßhaft geworden war. Von diesem alten Herrn möchte ich hier zunächst erzählen. Er stammte nicht aus einer Refugié-Familie, sondern hatte Südfrankreich sehr viel später, erst in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, verlassen. In Konflikte mit seiner in Toulouse sehr angesehenen Familie geraten, war er<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[539/0548] zehn) und war „Nachbarskind“ von mir in einem in der Großen Hamburgerstraße gelegenen Doppelhause, dicht neben dem alten Judenkirchhof. In dem einen Hause, Parterre, wohnte damals mein Onkel August, bei dem ich, wie schon in einem früheren Kapitel erzählt, meine Schulzeit über in Pension war, während das 10jährige Kind, das meine Braut werden sollte, drei Treppen hoch in dem Nachbarhause residierte. Sie war die Adoptivtochter eines noch weiterhin zu charakterisierenden älteren Herren aus dem Sächsischen, der von den Mitbewohnern, lauter kleinen Leuten, der „Herr Rat Kummer“ genannt wurde. Nach ihm hieß sie denn auch Emilie Kummer. Ihr eigentlicher Name aber, den sie erst, früh verwaist, bei Gelegenheit ihrer im vierten oder fünften Jahre stattgehabten Adoption abgelegt hatte, war Rouanet. Als sie geboren wurde, lebte noch in hohem Alter der Großvater Rouanet, durch den die Familie dieses Namens in unserem Lande seßhaft geworden war. Von diesem alten Herrn möchte ich hier zunächst erzählen. Er stammte nicht aus einer Refugié-Familie, sondern hatte Südfrankreich sehr viel später, erst in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, verlassen. In Konflikte mit seiner in Toulouse sehr angesehenen Familie geraten, war er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T10:02:20Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T10:02:20Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: dokumentiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
  • Normalisierungen: keine;
  • Seitenumbrüche markiert: ja;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
  • Zeichensetzung: wie Vorlage;
  • Zeilenumbrüche markiert: nein.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/548
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/548>, abgerufen am 22.11.2024.