Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.denn auch veranlaßte, meinen Brief direkt nach dem Stettiner Bahnhof zu bringen und ihn dort in den Postwagen eines Eisenbahnzuges zu thun. So kam dies Scriptum am andern Morgen in dem großen Oderbruchdorfe Letschin, wo mein Vater damals wohnte, glücklich an. Von den Sonnabendvorgängen in Berlin wußte man dort kein Sterbenswörtchen, selbst das "Gerücht", das sonst so schnell fliegt, hatte versagt und so war denn die Aufregung, die mein Brief schuf, ungeheuer. In alle Nachbardörfer gingen und ritten die Boten, um die große Sache zu melden, von der ich nicht weiß, ob sie mit Trauer oder Jubel aufgenommen wurde. Mein Vater, selbstverständlich, war an der Spitze der Erregtesten, beschloß sofort zu reisen, "um sich die Geschichte mal anzusehn" und war am einundzwanzigsten früh in Berlin. Wie gewöhnlich stieg er in einem Vorstadtsgasthofe, "wo's keine Kellner gab" ab und war um die Mittagsstunde bei mir. Ich freute mich herzlich ihn zu sehn, denn er war, von allem andern abgesehn, immer jovial und amüsant und keine halbe Stunde, so brachen wir gemeinschaftlich auf. "Sage, kannst du denn so ohne weitres aus dem Geschäft fort?" "Eigentlich nicht. Sonst haben wir grad' um Mittag immer viel zu thun. Aber es ist jetzt, als denn auch veranlaßte, meinen Brief direkt nach dem Stettiner Bahnhof zu bringen und ihn dort in den Postwagen eines Eisenbahnzuges zu thun. So kam dies Scriptum am andern Morgen in dem großen Oderbruchdorfe Letschin, wo mein Vater damals wohnte, glücklich an. Von den Sonnabendvorgängen in Berlin wußte man dort kein Sterbenswörtchen, selbst das „Gerücht“, das sonst so schnell fliegt, hatte versagt und so war denn die Aufregung, die mein Brief schuf, ungeheuer. In alle Nachbardörfer gingen und ritten die Boten, um die große Sache zu melden, von der ich nicht weiß, ob sie mit Trauer oder Jubel aufgenommen wurde. Mein Vater, selbstverständlich, war an der Spitze der Erregtesten, beschloß sofort zu reisen, „um sich die Geschichte mal anzusehn“ und war am einundzwanzigsten früh in Berlin. Wie gewöhnlich stieg er in einem Vorstadtsgasthofe, „wo’s keine Kellner gab“ ab und war um die Mittagsstunde bei mir. Ich freute mich herzlich ihn zu sehn, denn er war, von allem andern abgesehn, immer jovial und amüsant und keine halbe Stunde, so brachen wir gemeinschaftlich auf. „Sage, kannst du denn so ohne weitres aus dem Geschäft fort?“ „Eigentlich nicht. Sonst haben wir grad’ um Mittag immer viel zu thun. Aber es ist jetzt, als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0626" n="617"/> denn auch veranlaßte, meinen Brief direkt nach dem Stettiner Bahnhof zu bringen und ihn dort in den Postwagen eines Eisenbahnzuges zu thun. So kam dies Scriptum am andern Morgen in dem großen Oderbruchdorfe Letschin, wo mein Vater damals wohnte, glücklich an. Von den Sonnabendvorgängen in Berlin wußte man dort kein Sterbenswörtchen, selbst das „Gerücht“, das sonst so schnell fliegt, hatte versagt und so war denn die Aufregung, die mein Brief schuf, ungeheuer. In alle Nachbardörfer gingen und ritten die Boten, um die große Sache zu melden, von der ich nicht weiß, ob sie mit Trauer oder Jubel aufgenommen wurde. Mein Vater, selbstverständlich, war an der Spitze der Erregtesten, beschloß sofort zu reisen, „um sich die Geschichte mal anzusehn“ und war am einundzwanzigsten früh in Berlin. Wie gewöhnlich stieg er in einem Vorstadtsgasthofe, „wo’s keine Kellner gab“ ab und war um die Mittagsstunde bei mir. Ich freute mich herzlich ihn zu sehn, denn er war, von allem andern abgesehn, immer jovial und amüsant und keine halbe Stunde, so brachen wir gemeinschaftlich auf.</p><lb/> <p>„Sage, kannst du denn so ohne weitres aus dem Geschäft fort?“</p><lb/> <p>„Eigentlich nicht. Sonst haben wir grad’ um Mittag immer viel zu thun. Aber es ist jetzt, als<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [617/0626]
denn auch veranlaßte, meinen Brief direkt nach dem Stettiner Bahnhof zu bringen und ihn dort in den Postwagen eines Eisenbahnzuges zu thun. So kam dies Scriptum am andern Morgen in dem großen Oderbruchdorfe Letschin, wo mein Vater damals wohnte, glücklich an. Von den Sonnabendvorgängen in Berlin wußte man dort kein Sterbenswörtchen, selbst das „Gerücht“, das sonst so schnell fliegt, hatte versagt und so war denn die Aufregung, die mein Brief schuf, ungeheuer. In alle Nachbardörfer gingen und ritten die Boten, um die große Sache zu melden, von der ich nicht weiß, ob sie mit Trauer oder Jubel aufgenommen wurde. Mein Vater, selbstverständlich, war an der Spitze der Erregtesten, beschloß sofort zu reisen, „um sich die Geschichte mal anzusehn“ und war am einundzwanzigsten früh in Berlin. Wie gewöhnlich stieg er in einem Vorstadtsgasthofe, „wo’s keine Kellner gab“ ab und war um die Mittagsstunde bei mir. Ich freute mich herzlich ihn zu sehn, denn er war, von allem andern abgesehn, immer jovial und amüsant und keine halbe Stunde, so brachen wir gemeinschaftlich auf.
„Sage, kannst du denn so ohne weitres aus dem Geschäft fort?“
„Eigentlich nicht. Sonst haben wir grad’ um Mittag immer viel zu thun. Aber es ist jetzt, als
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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