Zwingendes und so ist es denn gekommen, daß beide Damen auf der Diakonissinnenleiter hoch empor gestiegen sind. Beide wurden Oberinnen. Aurelie von Platen lebt noch als Oberin zu Sonnenburg. Sie gehörte übrigens nicht zu den hannöverschen Platens, sondern zu den ostpreußischen.
An dem ersten Begegnungstage kam es noch zu keiner "Wissenschaftlichkeit", vielmehr wurde nur festgesetzt, daß die Stunden am nächsten Nachmittag beginnen sollten. Und zur festgesetzten Zeit erschien ich denn auch, ein beliebiges Buch in der Hand, drin ich einen kleinen Zettel, mit ein paar Notizen darauf, eingelegt hatte. Diese Notizen enthielten mein Programm, nach dem ich vorhatte zunächst von Pharmakologie zu sprechen und daran anschließend, und zwar am ausgiebigsten, von Chemie. Botanik sollte bloß gestreift, Mineralogie noch leiser berührt werden. Physik fiel aus guten Gründen aus.
Es ging alles ganz vorzüglich, was an dem guten Willen und der großen Gelehrigkeit meiner zwei Schülerinnen lag. Aber ein bestimmtes Verdienst kann ich mir doch auch selber zuschreiben und zwar das Verdienst, daß ich selber so wenig wußte. Das ist, in solchem Falle wie der meinige war, immer ein großer Segen. Je weniger man weiß, je leichter ist es, das, was man zu sagen hat, in Ordnung
Zwingendes und so ist es denn gekommen, daß beide Damen auf der Diakonissinnenleiter hoch empor gestiegen sind. Beide wurden Oberinnen. Aurelie von Platen lebt noch als Oberin zu Sonnenburg. Sie gehörte übrigens nicht zu den hannöverschen Platens, sondern zu den ostpreußischen.
An dem ersten Begegnungstage kam es noch zu keiner „Wissenschaftlichkeit“, vielmehr wurde nur festgesetzt, daß die Stunden am nächsten Nachmittag beginnen sollten. Und zur festgesetzten Zeit erschien ich denn auch, ein beliebiges Buch in der Hand, drin ich einen kleinen Zettel, mit ein paar Notizen darauf, eingelegt hatte. Diese Notizen enthielten mein Programm, nach dem ich vorhatte zunächst von Pharmakologie zu sprechen und daran anschließend, und zwar am ausgiebigsten, von Chemie. Botanik sollte bloß gestreift, Mineralogie noch leiser berührt werden. Physik fiel aus guten Gründen aus.
Es ging alles ganz vorzüglich, was an dem guten Willen und der großen Gelehrigkeit meiner zwei Schülerinnen lag. Aber ein bestimmtes Verdienst kann ich mir doch auch selber zuschreiben und zwar das Verdienst, daß ich selber so wenig wußte. Das ist, in solchem Falle wie der meinige war, immer ein großer Segen. Je weniger man weiß, je leichter ist es, das, was man zu sagen hat, in Ordnung
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Zwingendes und so ist es denn gekommen, daß beide Damen auf der Diakonissinnenleiter hoch empor gestiegen sind. Beide wurden Oberinnen. Aurelie von Platen lebt noch als Oberin zu Sonnenburg. Sie gehörte übrigens nicht zu den hannöverschen Platens, sondern zu den ostpreußischen.</p><lb/><p>An dem ersten Begegnungstage kam es noch zu keiner „Wissenschaftlichkeit“, vielmehr wurde nur festgesetzt, daß die Stunden am nächsten Nachmittag beginnen sollten. Und zur festgesetzten Zeit erschien ich denn auch, ein beliebiges Buch in der Hand, drin ich einen kleinen Zettel, mit ein paar Notizen darauf, eingelegt hatte. Diese Notizen enthielten mein Programm, nach dem ich vorhatte zunächst von Pharmakologie zu sprechen und daran anschließend, und zwar am ausgiebigsten, von Chemie. Botanik sollte bloß gestreift, Mineralogie noch leiser berührt werden. Physik fiel aus guten Gründen aus.</p><lb/><p>Es ging alles ganz vorzüglich, was an dem guten Willen und der großen Gelehrigkeit meiner zwei Schülerinnen lag. Aber ein bestimmtes Verdienst kann ich mir doch auch selber zuschreiben und zwar <hirendition="#g">das</hi> Verdienst, daß ich selber so wenig wußte. Das ist, in solchem Falle wie der meinige war, immer ein großer Segen. Je weniger man weiß, je leichter ist es, das, was man zu sagen hat, in Ordnung<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
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Zwingendes und so ist es denn gekommen, daß beide Damen auf der Diakonissinnenleiter hoch empor gestiegen sind. Beide wurden Oberinnen. Aurelie von Platen lebt noch als Oberin zu Sonnenburg. Sie gehörte übrigens nicht zu den hannöverschen Platens, sondern zu den ostpreußischen.
An dem ersten Begegnungstage kam es noch zu keiner „Wissenschaftlichkeit“, vielmehr wurde nur festgesetzt, daß die Stunden am nächsten Nachmittag beginnen sollten. Und zur festgesetzten Zeit erschien ich denn auch, ein beliebiges Buch in der Hand, drin ich einen kleinen Zettel, mit ein paar Notizen darauf, eingelegt hatte. Diese Notizen enthielten mein Programm, nach dem ich vorhatte zunächst von Pharmakologie zu sprechen und daran anschließend, und zwar am ausgiebigsten, von Chemie. Botanik sollte bloß gestreift, Mineralogie noch leiser berührt werden. Physik fiel aus guten Gründen aus.
Es ging alles ganz vorzüglich, was an dem guten Willen und der großen Gelehrigkeit meiner zwei Schülerinnen lag. Aber ein bestimmtes Verdienst kann ich mir doch auch selber zuschreiben und zwar das Verdienst, daß ich selber so wenig wußte. Das ist, in solchem Falle wie der meinige war, immer ein großer Segen. Je weniger man weiß, je leichter ist es, das, was man zu sagen hat, in Ordnung
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 650. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/659>, abgerufen am 18.06.2024.
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