Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

Daß er im Jahr 1747 Mitglied der von Mitzler gestifteten Societät der musikalischen Wissenschaften wurde, würde kaum bemerkt zu werden verdienen, wenn wir diesem Umstand nicht den vortrefflichen Choral: Vom Himmel hoch etc. zu verdanken hätten. Er übergab diesen Choral der Societät bey seinem Eintritt in dieselbe, und ließ ihn nachher in Kupfer stechen.



IX.

Um so vollendete Kunstwerke liefern zu können, wie sie uns Bach in mancherley Gattungen hinterlassen hat, mußte er nothwendig sehr viel componiren. Wer nicht täglich mit seiner Kunst beschäftigt ist, wird doch, wenn er auch das größte Genie von der Welt wäre, nie ein Werk zu Stande bringen, von welchem der Kenner sagen könnte, daß es durchgehends vollkommen und vollendet sey. Nur ununterbrochene Uebung kann zur wahren Meisterschaft führen. Wenn man aber alle Werke, die während solcher Uebungen hervor gebracht werden, für Meisterstücke halten wollte, weil endlich wirkliche Meisterwerke aus ihnen hervor gehen, so würde man sehr irren. Dieß ist auch der Fall bey Bachs Werken. Obgleich allerdings schon in seinen frühern Versuchen unverkennbare Spuren eines vorzüglichen Genies zu bemerken sind, so enthalten sie doch daneben so viel Unnützes, so viel Einseitiges, Wildes und Geschmackloses, daß sie wenigstens für das große Publicum der Aufbewahrung nicht werth sind, und höchstens für einen solchen Kunstfreund wichtig seyn können, der den Gang, welchen ein solches Genie vom Anfange seiner Ausbildung an genommen hat, näher kennen lernen will.

Zur Absonderung dieser Versuche oder Jugendübungen von den wahren Meisterwerken, hat uns Bach selbst zwey Mittel angegeben, und ein drittes haben wir an der Kunst der kritischen Vergleichung. Bey Erscheinung seines ersten Werks war er schon über vierzig Jahre alt. Was er in einem so reisen Alter der öffentlichen Bekanntmachung selbst werth hielt, hat gewiß die Vermuthung für sich, daß es gut ist. Wir können daher alle seine Werke, die er selbst durch den Stich bekannt gemacht hat, für vorzüglich gut halten.

Daß er im Jahr 1747 Mitglied der von Mitzler gestifteten Societät der musikalischen Wissenschaften wurde, würde kaum bemerkt zu werden verdienen, wenn wir diesem Umstand nicht den vortrefflichen Choral: Vom Himmel hoch etc. zu verdanken hätten. Er übergab diesen Choral der Societät bey seinem Eintritt in dieselbe, und ließ ihn nachher in Kupfer stechen.



IX.

Um so vollendete Kunstwerke liefern zu können, wie sie uns Bach in mancherley Gattungen hinterlassen hat, mußte er nothwendig sehr viel componiren. Wer nicht täglich mit seiner Kunst beschäftigt ist, wird doch, wenn er auch das größte Genie von der Welt wäre, nie ein Werk zu Stande bringen, von welchem der Kenner sagen könnte, daß es durchgehends vollkommen und vollendet sey. Nur ununterbrochene Uebung kann zur wahren Meisterschaft führen. Wenn man aber alle Werke, die während solcher Uebungen hervor gebracht werden, für Meisterstücke halten wollte, weil endlich wirkliche Meisterwerke aus ihnen hervor gehen, so würde man sehr irren. Dieß ist auch der Fall bey Bachs Werken. Obgleich allerdings schon in seinen frühern Versuchen unverkennbare Spuren eines vorzüglichen Genies zu bemerken sind, so enthalten sie doch daneben so viel Unnützes, so viel Einseitiges, Wildes und Geschmackloses, daß sie wenigstens für das große Publicum der Aufbewahrung nicht werth sind, und höchstens für einen solchen Kunstfreund wichtig seyn können, der den Gang, welchen ein solches Genie vom Anfange seiner Ausbildung an genommen hat, näher kennen lernen will.

Zur Absonderung dieser Versuche oder Jugendübungen von den wahren Meisterwerken, hat uns Bach selbst zwey Mittel angegeben, und ein drittes haben wir an der Kunst der kritischen Vergleichung. Bey Erscheinung seines ersten Werks war er schon über vierzig Jahre alt. Was er in einem so reisen Alter der öffentlichen Bekanntmachung selbst werth hielt, hat gewiß die Vermuthung für sich, daß es gut ist. Wir können daher alle seine Werke, die er selbst durch den Stich bekannt gemacht hat, für vorzüglich gut halten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0059" n="49"/>
        <p>Daß er im Jahr 1747 Mitglied der von Mitzler gestifteten Societät der musikalischen Wissenschaften wurde, würde kaum bemerkt zu werden verdienen, wenn wir diesem Umstand nicht den vortrefflichen Choral: <hi rendition="#g">Vom Himmel hoch</hi> etc. zu verdanken hätten. Er übergab diesen Choral der Societät bey seinem Eintritt in dieselbe, und ließ ihn nachher in Kupfer stechen.</p>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      </div>
      <div n="1">
        <head>IX.</head><lb/>
        <p>Um so vollendete Kunstwerke liefern zu können, wie sie uns Bach in mancherley Gattungen hinterlassen hat, mußte er nothwendig sehr viel componiren. Wer nicht täglich mit seiner Kunst beschäftigt ist, wird doch, wenn er auch das größte Genie von der Welt wäre, nie ein Werk zu Stande bringen, von welchem der Kenner sagen könnte, daß es durchgehends vollkommen und vollendet sey. Nur ununterbrochene Uebung kann zur wahren Meisterschaft führen. Wenn man aber alle Werke, die während solcher Uebungen hervor gebracht werden, für Meisterstücke halten wollte, weil endlich wirkliche Meisterwerke aus ihnen hervor gehen, so würde man sehr irren. Dieß ist auch der Fall bey <hi rendition="#g">Bachs</hi> Werken. Obgleich allerdings schon in seinen frühern Versuchen unverkennbare Spuren eines vorzüglichen Genies zu bemerken sind, so enthalten sie doch daneben so viel Unnützes, so viel Einseitiges, Wildes und Geschmackloses, daß sie wenigstens für das große Publicum der Aufbewahrung nicht werth sind, und höchstens für einen solchen Kunstfreund wichtig seyn können, der den Gang, welchen ein solches Genie vom Anfange seiner Ausbildung an genommen hat, näher kennen lernen will.</p>
        <p>Zur Absonderung dieser Versuche oder Jugendübungen von den wahren Meisterwerken, hat uns Bach selbst zwey Mittel angegeben, und ein drittes haben wir an der Kunst der kritischen Vergleichung. Bey Erscheinung seines ersten Werks war er schon über <hi rendition="#g">vierzig</hi> Jahre alt. Was er in einem so reisen Alter der öffentlichen Bekanntmachung selbst werth hielt, hat gewiß die Vermuthung für sich, daß es gut ist. Wir können daher alle seine Werke, die er selbst durch den Stich bekannt gemacht hat, für vorzüglich gut halten.
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[49/0059] Daß er im Jahr 1747 Mitglied der von Mitzler gestifteten Societät der musikalischen Wissenschaften wurde, würde kaum bemerkt zu werden verdienen, wenn wir diesem Umstand nicht den vortrefflichen Choral: Vom Himmel hoch etc. zu verdanken hätten. Er übergab diesen Choral der Societät bey seinem Eintritt in dieselbe, und ließ ihn nachher in Kupfer stechen. IX. Um so vollendete Kunstwerke liefern zu können, wie sie uns Bach in mancherley Gattungen hinterlassen hat, mußte er nothwendig sehr viel componiren. Wer nicht täglich mit seiner Kunst beschäftigt ist, wird doch, wenn er auch das größte Genie von der Welt wäre, nie ein Werk zu Stande bringen, von welchem der Kenner sagen könnte, daß es durchgehends vollkommen und vollendet sey. Nur ununterbrochene Uebung kann zur wahren Meisterschaft führen. Wenn man aber alle Werke, die während solcher Uebungen hervor gebracht werden, für Meisterstücke halten wollte, weil endlich wirkliche Meisterwerke aus ihnen hervor gehen, so würde man sehr irren. Dieß ist auch der Fall bey Bachs Werken. Obgleich allerdings schon in seinen frühern Versuchen unverkennbare Spuren eines vorzüglichen Genies zu bemerken sind, so enthalten sie doch daneben so viel Unnützes, so viel Einseitiges, Wildes und Geschmackloses, daß sie wenigstens für das große Publicum der Aufbewahrung nicht werth sind, und höchstens für einen solchen Kunstfreund wichtig seyn können, der den Gang, welchen ein solches Genie vom Anfange seiner Ausbildung an genommen hat, näher kennen lernen will. Zur Absonderung dieser Versuche oder Jugendübungen von den wahren Meisterwerken, hat uns Bach selbst zwey Mittel angegeben, und ein drittes haben wir an der Kunst der kritischen Vergleichung. Bey Erscheinung seines ersten Werks war er schon über vierzig Jahre alt. Was er in einem so reisen Alter der öffentlichen Bekanntmachung selbst werth hielt, hat gewiß die Vermuthung für sich, daß es gut ist. Wir können daher alle seine Werke, die er selbst durch den Stich bekannt gemacht hat, für vorzüglich gut halten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-04T13:34:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-04T13:34:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-04T13:34:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802/59
Zitationshilfe: Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802/59>, abgerufen am 21.11.2024.