und Göttinnen sind nicht mehr; Menschen von bestimmtem, individuellem Charakter, Menschen, durch herrschende Leidenschaften und Gemüthsarten bezeichnet, sind an ihre Stelle getreten. Die Kunst musste also ih¬ rem ersten, wahren Endzweck, der Darstel¬ lung des Idealischschönen, ungetreu werden, oder ihre gewohnte Wirkung verfehlen und auf alle Herrschaft über die Gemüther Ver¬ zicht thun. Das Letzte wäre nur in dem Einen Falle möglich gewesen, wenn der Geist des Zeitalters nicht auf den Künstler gewirkt hätte; wenn, von Zeit und Umstän¬ den unabhängig, der künstlerische Genius, in abstrakter Vollkommenheit schwebend, mitten unter Christen ein Grieche geblieben wäre.
Aber Veränderung und Wechsel sind ja die Devisen unseres so schief in seiner Bahn kreiselnden Planeten! Der ewige Reihen¬
und Göttinnen sind nicht mehr; Menschen von bestimmtem, individuellem Charakter, Menschen, durch herrschende Leidenschaften und Gemüthsarten bezeichnet, sind an ihre Stelle getreten. Die Kunst muſste also ih¬ rem ersten, wahren Endzweck, der Darstel¬ lung des Idealischschönen, ungetreu werden, oder ihre gewohnte Wirkung verfehlen und auf alle Herrschaft über die Gemüther Ver¬ zicht thun. Das Letzte wäre nur in dem Einen Falle möglich gewesen, wenn der Geist des Zeitalters nicht auf den Künstler gewirkt hätte; wenn, von Zeit und Umstän¬ den unabhängig, der künstlerische Genius, in abstrakter Vollkommenheit schwebend, mitten unter Christen ein Grieche geblieben wäre.
Aber Veränderung und Wechsel sind ja die Devisen unseres so schief in seiner Bahn kreiselnden Planeten! Der ewige Reihen¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0218"n="206"/>
und Göttinnen sind nicht mehr; Menschen<lb/>
von bestimmtem, individuellem Charakter,<lb/>
Menschen, durch herrschende Leidenschaften<lb/>
und Gemüthsarten bezeichnet, sind an ihre<lb/>
Stelle getreten. Die Kunst muſste also ih¬<lb/>
rem ersten, wahren Endzweck, der Darstel¬<lb/>
lung des Idealischschönen, ungetreu werden,<lb/>
oder ihre gewohnte Wirkung verfehlen und<lb/>
auf alle Herrschaft über die Gemüther Ver¬<lb/>
zicht thun. Das Letzte wäre nur in dem<lb/>
Einen Falle möglich gewesen, wenn der<lb/>
Geist des Zeitalters nicht auf den Künstler<lb/>
gewirkt hätte; wenn, von Zeit und Umstän¬<lb/>
den unabhängig, der künstlerische Genius,<lb/>
in abstrakter Vollkommenheit schwebend,<lb/>
mitten unter Christen ein Grieche geblieben<lb/>
wäre.</p><lb/><p>Aber Veränderung und Wechsel sind ja<lb/>
die Devisen unseres so schief in seiner Bahn<lb/>
kreiselnden Planeten! Der ewige Reihen¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[206/0218]
und Göttinnen sind nicht mehr; Menschen
von bestimmtem, individuellem Charakter,
Menschen, durch herrschende Leidenschaften
und Gemüthsarten bezeichnet, sind an ihre
Stelle getreten. Die Kunst muſste also ih¬
rem ersten, wahren Endzweck, der Darstel¬
lung des Idealischschönen, ungetreu werden,
oder ihre gewohnte Wirkung verfehlen und
auf alle Herrschaft über die Gemüther Ver¬
zicht thun. Das Letzte wäre nur in dem
Einen Falle möglich gewesen, wenn der
Geist des Zeitalters nicht auf den Künstler
gewirkt hätte; wenn, von Zeit und Umstän¬
den unabhängig, der künstlerische Genius,
in abstrakter Vollkommenheit schwebend,
mitten unter Christen ein Grieche geblieben
wäre.
Aber Veränderung und Wechsel sind ja
die Devisen unseres so schief in seiner Bahn
kreiselnden Planeten! Der ewige Reihen¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 1. Berlin, 1791, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein01_1791/218>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.