Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Forster's Reise um die Welt
1773.
April.
Federn artig durchwebt war; dem Capitain aber gab er noch überdies ein Stück
Lapis nephriticus, oder Neu-Seeländischen grünen Talkstein, *) der wie die
Klinge eines Beils geschliffen war. Ehe er einen Fus auf die Brücke setzte, trat
er seitwärts, steckte ein Stück von einer Vogelhaut, an welcher noch weiße Fe-
dern saßen, statt eines Gehänges, in das eine Ohr, und brach von einem Busche
einen grünen Zweig ab. Mit diesem in der Hand gieng er nunmehro vorwärts;
stand aber still, als er so weit gekommen war, daß er die Seitenwände des
Schiffes eben erreichen konnte und schlug an diese, so wie an das daran befe-
stigte Tauwerk des Hauptmastes, zu wiederholtenmalen mit dem grünen Zweige.
Hierauf fieng er an, eine Art von Anrede- oder Gebeths- oder Beschwörungs-
Formel, gleichsam im Tacte, als nach einem poetischen Sylbenmaaß, herzusagen,
und hielt die Augen unverrückt auf die Stelle geheftet, welche er zuvor mit dem
Zweige berührt hatte. Er redete lauter als gewöhnlich und sein ganzes Betragen
war ernsthaft und feyerlich. Während dieser Ceremonie, welche ohngefähr 2 bis
3 Minuten dauerte, blieb das Mädchen, die sonst immer lachte und tanzte, ganz
still und ernsthaft neben ihm stehen, ohne ein Wort dazwischen zu sprechen. Bey
Endigung der Rede schlug er die Seiten des Schiffs nochmals, warf seinen Zweig
zwischen die Wandketten und stieg an Bord. Diese Art feyerliche Anreden
zu halten und, wie wir's auslegten, Frieden zu stiften, ist bey allen Völkern
der Südsee üblich. Beyde, der Mann und das Mädchen, welche Speere in den
Händen hatten, wurden sodann aufs Berdeck des Hintertheils (Quarter deck)
gebracht. Hier bewunderten sie alles was ihnen vorkam, besonders zogen etliche
Gänse, die in einem Gegitter eingesperrt waren, ihre ganze Aufmerksamkeit an
sich. Auch machten sie sich viel mit einer schönen Katze zu schaffen, streichelten sie
aber immer verkehrt, daß die Haare in die Höhe zu stehen kamen, ob ihnen
gleich gezeigt wurde, wie man sie eigentlich streichen müsse. Doch thaten sie es
vermuthlich, um das schöne dickgewachsene Haar dieses Thieres zu bewundern.
Der Mann sahe alles, was ihm neu war, mit Erstaunen an; allein seine Auf-
merksamkeit verweilte nie länger als einen einzigen Augenblick bey einem und dem-
selben Gegenstande, daher ihm auch viele unsrer Kunstwerke eben so unbegreiflich,
als die Werke der Natur vorgekommen seyn müssen. Die vielfach auf einander

*) S. Hawkesworths Gesch. der engl. See-Reisen in 4. dritter Band, pag. 54.

Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
April.
Federn artig durchwebt war; dem Capitain aber gab er noch uͤberdies ein Stuͤck
Lapis nephriticus, oder Neu-Seelaͤndiſchen gruͤnen Talkſtein, *) der wie die
Klinge eines Beils geſchliffen war. Ehe er einen Fus auf die Bruͤcke ſetzte, trat
er ſeitwaͤrts, ſteckte ein Stuͤck von einer Vogelhaut, an welcher noch weiße Fe-
dern ſaßen, ſtatt eines Gehaͤnges, in das eine Ohr, und brach von einem Buſche
einen gruͤnen Zweig ab. Mit dieſem in der Hand gieng er nunmehro vorwaͤrts;
ſtand aber ſtill, als er ſo weit gekommen war, daß er die Seitenwaͤnde des
Schiffes eben erreichen konnte und ſchlug an dieſe, ſo wie an das daran befe-
ſtigte Tauwerk des Hauptmaſtes, zu wiederholtenmalen mit dem gruͤnen Zweige.
Hierauf fieng er an, eine Art von Anrede- oder Gebeths- oder Beſchwoͤrungs-
Formel, gleichſam im Tacte, als nach einem poetiſchen Sylbenmaaß, herzuſagen,
und hielt die Augen unverruͤckt auf die Stelle geheftet, welche er zuvor mit dem
Zweige beruͤhrt hatte. Er redete lauter als gewoͤhnlich und ſein ganzes Betragen
war ernſthaft und feyerlich. Waͤhrend dieſer Ceremonie, welche ohngefaͤhr 2 bis
3 Minuten dauerte, blieb das Maͤdchen, die ſonſt immer lachte und tanzte, ganz
ſtill und ernſthaft neben ihm ſtehen, ohne ein Wort dazwiſchen zu ſprechen. Bey
Endigung der Rede ſchlug er die Seiten des Schiffs nochmals, warf ſeinen Zweig
zwiſchen die Wandketten und ſtieg an Bord. Dieſe Art feyerliche Anreden
zu halten und, wie wir’s auslegten, Frieden zu ſtiften, iſt bey allen Voͤlkern
der Suͤdſee uͤblich. Beyde, der Mann und das Maͤdchen, welche Speere in den
Haͤnden hatten, wurden ſodann aufs Berdeck des Hintertheils (Quarter deck)
gebracht. Hier bewunderten ſie alles was ihnen vorkam, beſonders zogen etliche
Gaͤnſe, die in einem Gegitter eingeſperrt waren, ihre ganze Aufmerkſamkeit an
ſich. Auch machten ſie ſich viel mit einer ſchoͤnen Katze zu ſchaffen, ſtreichelten ſie
aber immer verkehrt, daß die Haare in die Hoͤhe zu ſtehen kamen, ob ihnen
gleich gezeigt wurde, wie man ſie eigentlich ſtreichen muͤſſe. Doch thaten ſie es
vermuthlich, um das ſchoͤne dickgewachſene Haar dieſes Thieres zu bewundern.
Der Mann ſahe alles, was ihm neu war, mit Erſtaunen an; allein ſeine Auf-
merkſamkeit verweilte nie laͤnger als einen einzigen Augenblick bey einem und dem-
ſelben Gegenſtande, daher ihm auch viele unſrer Kunſtwerke eben ſo unbegreiflich,
als die Werke der Natur vorgekommen ſeyn muͤſſen. Die vielfach auf einander

*) S. Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen in 4. dritter Band, pag. 54.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0173" n="122"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><persName>For&#x017F;ter&#x2019;s</persName> Rei&#x017F;e um die Welt</hi></fw><lb/><note place="left">1773.<lb/>
April.</note>Federn artig durchwebt war; dem Capitain aber gab er noch u&#x0364;berdies ein Stu&#x0364;ck<lb/><hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Lapis nephriticus,</hi></hi> oder Neu-Seela&#x0364;ndi&#x017F;chen gru&#x0364;nen Talk&#x017F;tein, <note place="foot" n="*)">S. <persName>Hawkesworths</persName> Ge&#x017F;ch. der engl. See-Rei&#x017F;en in 4. dritter Band, <hi rendition="#aq">pag.</hi> 54.</note> der wie die<lb/>
Klinge eines Beils ge&#x017F;chliffen war. Ehe er einen Fus auf die Bru&#x0364;cke &#x017F;etzte, trat<lb/>
er &#x017F;eitwa&#x0364;rts, &#x017F;teckte ein Stu&#x0364;ck von einer Vogelhaut, an welcher noch weiße Fe-<lb/>
dern &#x017F;aßen, &#x017F;tatt eines Geha&#x0364;nges, in das eine Ohr, und brach von einem Bu&#x017F;che<lb/>
einen gru&#x0364;nen Zweig ab. Mit die&#x017F;em in der Hand gieng er nunmehro vorwa&#x0364;rts;<lb/>
&#x017F;tand aber &#x017F;till, als er &#x017F;o weit gekommen war, daß er die Seitenwa&#x0364;nde des<lb/>
Schiffes eben erreichen konnte und &#x017F;chlug an die&#x017F;e, &#x017F;o wie an das daran befe-<lb/>
&#x017F;tigte Tauwerk des Hauptma&#x017F;tes, zu wiederholtenmalen mit dem gru&#x0364;nen Zweige.<lb/>
Hierauf fieng er an, eine Art von Anrede- oder Gebeths- oder Be&#x017F;chwo&#x0364;rungs-<lb/>
Formel, gleich&#x017F;am im Tacte, als nach einem poeti&#x017F;chen Sylbenmaaß, herzu&#x017F;agen,<lb/>
und hielt die Augen unverru&#x0364;ckt auf die Stelle geheftet, welche er zuvor mit dem<lb/>
Zweige beru&#x0364;hrt hatte. Er redete lauter als gewo&#x0364;hnlich und &#x017F;ein ganzes Betragen<lb/>
war ern&#x017F;thaft und feyerlich. Wa&#x0364;hrend die&#x017F;er Ceremonie, welche ohngefa&#x0364;hr 2 bis<lb/>
3 Minuten dauerte, blieb das Ma&#x0364;dchen, die &#x017F;on&#x017F;t immer lachte und tanzte, ganz<lb/>
&#x017F;till und ern&#x017F;thaft neben ihm &#x017F;tehen, ohne ein Wort dazwi&#x017F;chen zu &#x017F;prechen. Bey<lb/>
Endigung der Rede &#x017F;chlug er die Seiten des Schiffs nochmals, warf &#x017F;einen Zweig<lb/>
zwi&#x017F;chen die Wandketten und &#x017F;tieg an Bord. Die&#x017F;e Art feyerliche Anreden<lb/>
zu halten und, wie wir&#x2019;s auslegten, Frieden zu &#x017F;tiften, i&#x017F;t bey allen Vo&#x0364;lkern<lb/>
der <placeName>Su&#x0364;d&#x017F;ee</placeName> u&#x0364;blich. Beyde, der Mann und das Ma&#x0364;dchen, welche Speere in den<lb/>
Ha&#x0364;nden hatten, wurden &#x017F;odann aufs Berdeck des Hintertheils (<hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Quarter deck</hi></hi>)<lb/>
gebracht. Hier bewunderten &#x017F;ie alles was ihnen vorkam, be&#x017F;onders zogen etliche<lb/>
Ga&#x0364;n&#x017F;e, die in einem Gegitter einge&#x017F;perrt waren, ihre ganze Aufmerk&#x017F;amkeit an<lb/>
&#x017F;ich. Auch machten &#x017F;ie &#x017F;ich viel mit einer &#x017F;cho&#x0364;nen Katze zu &#x017F;chaffen, &#x017F;treichelten &#x017F;ie<lb/>
aber immer verkehrt, daß die Haare in die Ho&#x0364;he zu &#x017F;tehen kamen, ob ihnen<lb/>
gleich gezeigt wurde, wie man &#x017F;ie eigentlich &#x017F;treichen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Doch thaten &#x017F;ie es<lb/>
vermuthlich, um das &#x017F;cho&#x0364;ne dickgewach&#x017F;ene Haar die&#x017F;es Thieres zu bewundern.<lb/>
Der Mann &#x017F;ahe alles, was ihm neu war, mit Er&#x017F;taunen an; allein &#x017F;eine Auf-<lb/>
merk&#x017F;amkeit verweilte nie la&#x0364;nger als einen einzigen Augenblick bey einem und dem-<lb/>
&#x017F;elben Gegen&#x017F;tande, daher ihm auch viele un&#x017F;rer Kun&#x017F;twerke eben &#x017F;o unbegreiflich,<lb/>
als die Werke der Natur vorgekommen &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Die vielfach auf einander<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0173] Forſter’s Reiſe um die Welt Federn artig durchwebt war; dem Capitain aber gab er noch uͤberdies ein Stuͤck Lapis nephriticus, oder Neu-Seelaͤndiſchen gruͤnen Talkſtein, *) der wie die Klinge eines Beils geſchliffen war. Ehe er einen Fus auf die Bruͤcke ſetzte, trat er ſeitwaͤrts, ſteckte ein Stuͤck von einer Vogelhaut, an welcher noch weiße Fe- dern ſaßen, ſtatt eines Gehaͤnges, in das eine Ohr, und brach von einem Buſche einen gruͤnen Zweig ab. Mit dieſem in der Hand gieng er nunmehro vorwaͤrts; ſtand aber ſtill, als er ſo weit gekommen war, daß er die Seitenwaͤnde des Schiffes eben erreichen konnte und ſchlug an dieſe, ſo wie an das daran befe- ſtigte Tauwerk des Hauptmaſtes, zu wiederholtenmalen mit dem gruͤnen Zweige. Hierauf fieng er an, eine Art von Anrede- oder Gebeths- oder Beſchwoͤrungs- Formel, gleichſam im Tacte, als nach einem poetiſchen Sylbenmaaß, herzuſagen, und hielt die Augen unverruͤckt auf die Stelle geheftet, welche er zuvor mit dem Zweige beruͤhrt hatte. Er redete lauter als gewoͤhnlich und ſein ganzes Betragen war ernſthaft und feyerlich. Waͤhrend dieſer Ceremonie, welche ohngefaͤhr 2 bis 3 Minuten dauerte, blieb das Maͤdchen, die ſonſt immer lachte und tanzte, ganz ſtill und ernſthaft neben ihm ſtehen, ohne ein Wort dazwiſchen zu ſprechen. Bey Endigung der Rede ſchlug er die Seiten des Schiffs nochmals, warf ſeinen Zweig zwiſchen die Wandketten und ſtieg an Bord. Dieſe Art feyerliche Anreden zu halten und, wie wir’s auslegten, Frieden zu ſtiften, iſt bey allen Voͤlkern der Suͤdſee uͤblich. Beyde, der Mann und das Maͤdchen, welche Speere in den Haͤnden hatten, wurden ſodann aufs Berdeck des Hintertheils (Quarter deck) gebracht. Hier bewunderten ſie alles was ihnen vorkam, beſonders zogen etliche Gaͤnſe, die in einem Gegitter eingeſperrt waren, ihre ganze Aufmerkſamkeit an ſich. Auch machten ſie ſich viel mit einer ſchoͤnen Katze zu ſchaffen, ſtreichelten ſie aber immer verkehrt, daß die Haare in die Hoͤhe zu ſtehen kamen, ob ihnen gleich gezeigt wurde, wie man ſie eigentlich ſtreichen muͤſſe. Doch thaten ſie es vermuthlich, um das ſchoͤne dickgewachſene Haar dieſes Thieres zu bewundern. Der Mann ſahe alles, was ihm neu war, mit Erſtaunen an; allein ſeine Auf- merkſamkeit verweilte nie laͤnger als einen einzigen Augenblick bey einem und dem- ſelben Gegenſtande, daher ihm auch viele unſrer Kunſtwerke eben ſo unbegreiflich, als die Werke der Natur vorgekommen ſeyn muͤſſen. Die vielfach auf einander 1773. April. *) S. Hawkesworths Geſch. der engl. See-Reiſen in 4. dritter Band, pag. 54.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/173
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/173>, abgerufen am 11.05.2024.