Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

in den Jahren 1772 bis 1775.
aus geheilt werden müssen, es sey denn, daß die Krankheit äußerst bösartig1773.
Junius.

und unheilbar gewesen wäre. Wir hatten aber, ganz im Gegentheil, nicht
einen einzigen venerischen Patienten am Bord, und man wird doch wohl nim-
mermehr vermuthen, daß das Gift diese ganze Zeit über habe verborgen bleiben
können, unter Leuten die nichts als eingesalzene Speisen zu essen und nichts
als spirituöse Getränke zu trinken hatten, dabey auch Nässe und Kälte nebst
allem übrigen Ungemach des südlichen Clima ausstehen mußten? Aus allen die-
sen Umständen machten wir den Schluß, daß die venerischen Krankheiten in
Neu-Seeland zu Hause, und nicht von Europäern herein gebracht sind; wir
haben auch im Verfolg unserer Reise, und bis itzt noch, keine Ursach ge-
funden, unsre Meynung hierüber zu ändern. Sollten jedoch, alles Anscheins
ohnerachtet, unsre Vermuthungen irrig seyn, so kömmt alsdenn auf Rech-
nung der gesittetern Europäischen Nationen eine Schandthat mehr, und das
unglückliche Volk, welches sie mit diesem Gifte angesteckt haben, wird und muß
ihr Andenken dafür verfluchen. Der Schaden den sie diesem Theile des
menschlichen Geschlechts dadurch zugefügt haben, kann nimmermehr und auf kei-
ne Weise, weder entschuldigt noch wieder gut gemacht werden. Zwar sie haben
die Befriedigung ihrer Lüste erkauft und bezahlet, allein das kann um so we-
niger für eine Entschädigung des Unrechts gelten, weil selbst der Lohn den sie
dafür ausgetheilt, (das Eisenwerk) neue strafbare Folgen veranlaßt, und die
moralischen Grundsätze dieses Volks vernichtet hat, indeß die schändliche Krank-
heit doch nur den Körper schwächt und zu Grunde richtet. Ein Volk, das seiner
rohen Wildheit, hitzigen Temperaments und grausamen Gewohnheiten ohnerach-
tet, tapfer, edelmüthig, gastfrey und keiner Arglist fähig ist, verdient dop-
pelt Mitleid, wenn selbst die Liebe, der süßesten und glücklichsten Empfindun-
gen Quelle, ihnen die schrecklichste Geissel des Lebens werden ohne ihr Ver-
schulden werden muß. --

Bis zum Anfang des Julius blieb der Wind immer so veränderlich, als
ich zuvor schon angezeigt habe. Er war wider den Lauf der Sonne mehr als vier-
mal um den ganzen Compas herumgelaufen. Diese ganze Zeit über sahen wir
häufig Albatrosse, Sturmvögel und Seekraut. Auch erblickten wir fast alle

Z 3

in den Jahren 1772 bis 1775.
aus geheilt werden muͤſſen, es ſey denn, daß die Krankheit aͤußerſt boͤsartig1773.
Junius.

und unheilbar geweſen waͤre. Wir hatten aber, ganz im Gegentheil, nicht
einen einzigen veneriſchen Patienten am Bord, und man wird doch wohl nim-
mermehr vermuthen, daß das Gift dieſe ganze Zeit uͤber habe verborgen bleiben
koͤnnen, unter Leuten die nichts als eingeſalzene Speiſen zu eſſen und nichts
als ſpirituoͤſe Getraͤnke zu trinken hatten, dabey auch Naͤſſe und Kaͤlte nebſt
allem uͤbrigen Ungemach des ſuͤdlichen Clima ausſtehen mußten? Aus allen die-
ſen Umſtaͤnden machten wir den Schluß, daß die veneriſchen Krankheiten in
Neu-Seeland zu Hauſe, und nicht von Europaͤern herein gebracht ſind; wir
haben auch im Verfolg unſerer Reiſe, und bis itzt noch, keine Urſach ge-
funden, unſre Meynung hieruͤber zu aͤndern. Sollten jedoch, alles Anſcheins
ohnerachtet, unſre Vermuthungen irrig ſeyn, ſo koͤmmt alsdenn auf Rech-
nung der geſittetern Europaͤiſchen Nationen eine Schandthat mehr, und das
ungluͤckliche Volk, welches ſie mit dieſem Gifte angeſteckt haben, wird und muß
ihr Andenken dafuͤr verfluchen. Der Schaden den ſie dieſem Theile des
menſchlichen Geſchlechts dadurch zugefuͤgt haben, kann nimmermehr und auf kei-
ne Weiſe, weder entſchuldigt noch wieder gut gemacht werden. Zwar ſie haben
die Befriedigung ihrer Luͤſte erkauft und bezahlet, allein das kann um ſo we-
niger fuͤr eine Entſchaͤdigung des Unrechts gelten, weil ſelbſt der Lohn den ſie
dafuͤr ausgetheilt, (das Eiſenwerk) neue ſtrafbare Folgen veranlaßt, und die
moraliſchen Grundſaͤtze dieſes Volks vernichtet hat, indeß die ſchaͤndliche Krank-
heit doch nur den Koͤrper ſchwaͤcht und zu Grunde richtet. Ein Volk, das ſeiner
rohen Wildheit, hitzigen Temperaments und grauſamen Gewohnheiten ohnerach-
tet, tapfer, edelmuͤthig, gaſtfrey und keiner Argliſt faͤhig iſt, verdient dop-
pelt Mitleid, wenn ſelbſt die Liebe, der ſuͤßeſten und gluͤcklichſten Empfindun-
gen Quelle, ihnen die ſchrecklichſte Geiſſel des Lebens werden ohne ihr Ver-
ſchulden werden muß. —

Bis zum Anfang des Julius blieb der Wind immer ſo veraͤnderlich, als
ich zuvor ſchon angezeigt habe. Er war wider den Lauf der Sonne mehr als vier-
mal um den ganzen Compas herumgelaufen. Dieſe ganze Zeit uͤber ſahen wir
haͤufig Albatroſſe, Sturmvoͤgel und Seekraut. Auch erblickten wir faſt alle

Z 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0234" n="181"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">in den Jahren 1772 bis 1775.</hi></fw><lb/>
aus geheilt werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, es &#x017F;ey denn, daß die Krankheit a&#x0364;ußer&#x017F;t bo&#x0364;sartig<note place="right">1773.<lb/>
Junius.</note><lb/>
und unheilbar gewe&#x017F;en wa&#x0364;re. Wir hatten aber, ganz im Gegentheil, nicht<lb/>
einen einzigen veneri&#x017F;chen Patienten am Bord, und man wird doch wohl nim-<lb/>
mermehr vermuthen, daß das Gift die&#x017F;e ganze Zeit u&#x0364;ber habe verborgen bleiben<lb/>
ko&#x0364;nnen, unter Leuten die nichts als einge&#x017F;alzene Spei&#x017F;en zu e&#x017F;&#x017F;en und nichts<lb/>
als &#x017F;pirituo&#x0364;&#x017F;e Getra&#x0364;nke zu trinken hatten, dabey auch Na&#x0364;&#x017F;&#x017F;e und Ka&#x0364;lte neb&#x017F;t<lb/>
allem u&#x0364;brigen Ungemach des &#x017F;u&#x0364;dlichen Clima aus&#x017F;tehen mußten? Aus allen die-<lb/>
&#x017F;en Um&#x017F;ta&#x0364;nden machten wir den Schluß, daß die veneri&#x017F;chen Krankheiten in<lb/><placeName>Neu-Seeland</placeName> zu Hau&#x017F;e, und <hi rendition="#fr">nicht von Europa&#x0364;ern</hi> herein gebracht &#x017F;ind; wir<lb/>
haben auch im Verfolg un&#x017F;erer Rei&#x017F;e, und bis itzt noch, keine Ur&#x017F;ach ge-<lb/>
funden, un&#x017F;re Meynung hieru&#x0364;ber zu a&#x0364;ndern. Sollten jedoch, alles An&#x017F;cheins<lb/>
ohnerachtet, un&#x017F;re Vermuthungen irrig &#x017F;eyn, &#x017F;o ko&#x0364;mmt alsdenn auf Rech-<lb/>
nung der <hi rendition="#fr">ge&#x017F;ittetern</hi> Europa&#x0364;i&#x017F;chen Nationen eine Schandthat mehr, und das<lb/>
unglu&#x0364;ckliche Volk, welches &#x017F;ie mit die&#x017F;em Gifte ange&#x017F;teckt haben, wird und muß<lb/>
ihr Andenken dafu&#x0364;r verfluchen. Der Schaden den &#x017F;ie die&#x017F;em Theile des<lb/>
men&#x017F;chlichen Ge&#x017F;chlechts dadurch zugefu&#x0364;gt haben, kann nimmermehr und auf kei-<lb/>
ne Wei&#x017F;e, weder ent&#x017F;chuldigt noch wieder gut gemacht werden. Zwar &#x017F;ie haben<lb/>
die Befriedigung ihrer Lu&#x0364;&#x017F;te <hi rendition="#fr">erkauft</hi> und <hi rendition="#fr">bezahlet,</hi> allein das kann um &#x017F;o we-<lb/>
niger fu&#x0364;r eine Ent&#x017F;cha&#x0364;digung des Unrechts gelten, weil &#x017F;elb&#x017F;t der Lohn den &#x017F;ie<lb/>
dafu&#x0364;r ausgetheilt, (das Ei&#x017F;enwerk) neue &#x017F;trafbare Folgen veranlaßt, und die<lb/>
morali&#x017F;chen Grund&#x017F;a&#x0364;tze die&#x017F;es Volks vernichtet hat, indeß die &#x017F;cha&#x0364;ndliche Krank-<lb/>
heit doch nur den Ko&#x0364;rper &#x017F;chwa&#x0364;cht und zu Grunde richtet. Ein Volk, das &#x017F;einer<lb/>
rohen Wildheit, hitzigen Temperaments und grau&#x017F;amen Gewohnheiten ohnerach-<lb/>
tet, tapfer, edelmu&#x0364;thig, ga&#x017F;tfrey und keiner Argli&#x017F;t fa&#x0364;hig i&#x017F;t, verdient dop-<lb/>
pelt Mitleid, wenn &#x017F;elb&#x017F;t die Liebe, der &#x017F;u&#x0364;ße&#x017F;ten und glu&#x0364;cklich&#x017F;ten Empfindun-<lb/>
gen Quelle, ihnen die &#x017F;chrecklich&#x017F;te Gei&#x017F;&#x017F;el des Lebens werden ohne ihr Ver-<lb/>
&#x017F;chulden werden muß. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Bis zum Anfang des Julius blieb der Wind immer &#x017F;o vera&#x0364;nderlich, als<lb/>
ich zuvor &#x017F;chon angezeigt habe. Er war wider den Lauf der Sonne mehr als vier-<lb/>
mal um den ganzen Compas herumgelaufen. Die&#x017F;e ganze Zeit u&#x0364;ber &#x017F;ahen wir<lb/>
ha&#x0364;ufig <hi rendition="#fr">Albatro&#x017F;&#x017F;e,</hi> Sturmvo&#x0364;gel und Seekraut. Auch erblickten wir fa&#x017F;t alle<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Z 3</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[181/0234] in den Jahren 1772 bis 1775. aus geheilt werden muͤſſen, es ſey denn, daß die Krankheit aͤußerſt boͤsartig und unheilbar geweſen waͤre. Wir hatten aber, ganz im Gegentheil, nicht einen einzigen veneriſchen Patienten am Bord, und man wird doch wohl nim- mermehr vermuthen, daß das Gift dieſe ganze Zeit uͤber habe verborgen bleiben koͤnnen, unter Leuten die nichts als eingeſalzene Speiſen zu eſſen und nichts als ſpirituoͤſe Getraͤnke zu trinken hatten, dabey auch Naͤſſe und Kaͤlte nebſt allem uͤbrigen Ungemach des ſuͤdlichen Clima ausſtehen mußten? Aus allen die- ſen Umſtaͤnden machten wir den Schluß, daß die veneriſchen Krankheiten in Neu-Seeland zu Hauſe, und nicht von Europaͤern herein gebracht ſind; wir haben auch im Verfolg unſerer Reiſe, und bis itzt noch, keine Urſach ge- funden, unſre Meynung hieruͤber zu aͤndern. Sollten jedoch, alles Anſcheins ohnerachtet, unſre Vermuthungen irrig ſeyn, ſo koͤmmt alsdenn auf Rech- nung der geſittetern Europaͤiſchen Nationen eine Schandthat mehr, und das ungluͤckliche Volk, welches ſie mit dieſem Gifte angeſteckt haben, wird und muß ihr Andenken dafuͤr verfluchen. Der Schaden den ſie dieſem Theile des menſchlichen Geſchlechts dadurch zugefuͤgt haben, kann nimmermehr und auf kei- ne Weiſe, weder entſchuldigt noch wieder gut gemacht werden. Zwar ſie haben die Befriedigung ihrer Luͤſte erkauft und bezahlet, allein das kann um ſo we- niger fuͤr eine Entſchaͤdigung des Unrechts gelten, weil ſelbſt der Lohn den ſie dafuͤr ausgetheilt, (das Eiſenwerk) neue ſtrafbare Folgen veranlaßt, und die moraliſchen Grundſaͤtze dieſes Volks vernichtet hat, indeß die ſchaͤndliche Krank- heit doch nur den Koͤrper ſchwaͤcht und zu Grunde richtet. Ein Volk, das ſeiner rohen Wildheit, hitzigen Temperaments und grauſamen Gewohnheiten ohnerach- tet, tapfer, edelmuͤthig, gaſtfrey und keiner Argliſt faͤhig iſt, verdient dop- pelt Mitleid, wenn ſelbſt die Liebe, der ſuͤßeſten und gluͤcklichſten Empfindun- gen Quelle, ihnen die ſchrecklichſte Geiſſel des Lebens werden ohne ihr Ver- ſchulden werden muß. — 1773. Junius. Bis zum Anfang des Julius blieb der Wind immer ſo veraͤnderlich, als ich zuvor ſchon angezeigt habe. Er war wider den Lauf der Sonne mehr als vier- mal um den ganzen Compas herumgelaufen. Dieſe ganze Zeit uͤber ſahen wir haͤufig Albatroſſe, Sturmvoͤgel und Seekraut. Auch erblickten wir faſt alle Z 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/234
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/234>, abgerufen am 21.11.2024.