Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Forster's Reise um die Welt
1773.
October.
mögen einhundert und funfzig Mann tragen können. Die Seegel, welche drey-
eckigt sind, bestehen aus starken Matten, in welche zuweilen die Figur einer
Schildkröte, oder eines Hahns, wiewohl nach einer ziemlich unförmlichen Zeich-
nung, eingewürkt ist. *) Da indessen genauere Beschreibungen vom Schiff bau den
mehresten Lesern nur langweilig und blos für Seefahrer lehrreich seyn würden, so
will ich mich darauf nicht einlassen; verlangt aber jemand noch ausführlichern
Unterricht, der kann sich an den Zeichnungen der Durchschnitte und Verhält-
nisse, die Herr Hodges angefertigt hat, und die auch in Kupfer gestochen sind,
weiter Raths erholen. Schon aus dem Wenigen, was ich von der guten
Bauart dieser Seegel-Boote gesagt habe, wird der Leser abnehmen, daß die
Einwohner dieser Inseln weit erfahrnere und bessere Seeleute seyn müssen, als
die Einwohner von Tahiti und den Societäts-Inseln.

Unter der Menge von Leuten, welche um die Schiffe her schwärmten, be-
merkte ich verschiedne, deren Haar an den Spitzen verbrannt zu seyn schien und
gepudert war. Bey genauerer Untersuchung fand sich, daß dieser Puder aus
Muschel- oder Corallen-Kalk zubereitet war, der vermöge seiner fressenden Ei-
genschaft, die Haare angegriffen und gleichsam versengt oder verbrannt hatte.
Der Geschmack am Haarpuder gieng hier so weit, daß man schon auf die Künste-
ley verfallen war, ihm allerhand Farben zu geben, denn einer von den Männern
hatte blaues, und mehrere Leute, sowohl Männer als Weiber, ein orangenfarb-
nes Puder, von Curcuma, gebraucht. Der Heilige Hieronymus, der gegen
die Eitelkeiten seiner Zeiten predigte, warf schon damals den römischen Damen eine
ähnliche Gewohnheit vor: ne irrufet crines & anticipet sibi ignes gehen-
nae!
Die Thorheiten der Menschen sind sich also so ähnlich, daß man die längst
vergeßnen Moden der ehemaligen Bewohner von Europa, noch heut zu Tage
unter den neuern Antipoden wieder findet! Und unsre abgeschmackten Petitmä-
ters, deren ganzer Ehrgeiz darinn besteht, eine neue Mode zu erfinden, können
diese unbedeutende Ehre nicht einmal für sich allein behalten, sondern müssen
ihren Ruhm mit den uncivilisirten Einwohnern einer Insel in der Südsee theilen!


*) Die Abbildung eines Canots in Schoutens Reisen giebt von den Seegel-Booten zu
Tongatabu einen guten Begriff. S. Dalrymple's Collection Vol. II. p. 17. 18.

Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
October.
moͤgen einhundert und funfzig Mann tragen koͤnnen. Die Seegel, welche drey-
eckigt ſind, beſtehen aus ſtarken Matten, in welche zuweilen die Figur einer
Schildkroͤte, oder eines Hahns, wiewohl nach einer ziemlich unfoͤrmlichen Zeich-
nung, eingewuͤrkt iſt. *) Da indeſſen genauere Beſchreibungen vom Schiff bau den
mehreſten Leſern nur langweilig und blos fuͤr Seefahrer lehrreich ſeyn wuͤrden, ſo
will ich mich darauf nicht einlaſſen; verlangt aber jemand noch ausfuͤhrlichern
Unterricht, der kann ſich an den Zeichnungen der Durchſchnitte und Verhaͤlt-
niſſe, die Herr Hodges angefertigt hat, und die auch in Kupfer geſtochen ſind,
weiter Raths erholen. Schon aus dem Wenigen, was ich von der guten
Bauart dieſer Seegel-Boote geſagt habe, wird der Leſer abnehmen, daß die
Einwohner dieſer Inſeln weit erfahrnere und beſſere Seeleute ſeyn muͤſſen, als
die Einwohner von Tahiti und den Societaͤts-Inſeln.

Unter der Menge von Leuten, welche um die Schiffe her ſchwaͤrmten, be-
merkte ich verſchiedne, deren Haar an den Spitzen verbrannt zu ſeyn ſchien und
gepudert war. Bey genauerer Unterſuchung fand ſich, daß dieſer Puder aus
Muſchel- oder Corallen-Kalk zubereitet war, der vermoͤge ſeiner freſſenden Ei-
genſchaft, die Haare angegriffen und gleichſam verſengt oder verbrannt hatte.
Der Geſchmack am Haarpuder gieng hier ſo weit, daß man ſchon auf die Kuͤnſte-
ley verfallen war, ihm allerhand Farben zu geben, denn einer von den Maͤnnern
hatte blaues, und mehrere Leute, ſowohl Maͤnner als Weiber, ein orangenfarb-
nes Puder, von Curcuma, gebraucht. Der Heilige Hieronymus, der gegen
die Eitelkeiten ſeiner Zeiten predigte, warf ſchon damals den roͤmiſchen Damen eine
aͤhnliche Gewohnheit vor: ne irrufet crines & anticipet ſibi ignes gehen-
næ!
Die Thorheiten der Menſchen ſind ſich alſo ſo aͤhnlich, daß man die laͤngſt
vergeßnen Moden der ehemaligen Bewohner von Europa, noch heut zu Tage
unter den neuern Antipoden wieder findet! Und unſre abgeſchmackten Petitmaͤ-
ters, deren ganzer Ehrgeiz darinn beſteht, eine neue Mode zu erfinden, koͤnnen
dieſe unbedeutende Ehre nicht einmal fuͤr ſich allein behalten, ſondern muͤſſen
ihren Ruhm mit den unciviliſirten Einwohnern einer Inſel in der Suͤdſee theilen!


*) Die Abbildung eines Canots in Schoutens Reiſen giebt von den Seegel-Booten zu
Tongatabu einen guten Begriff. S. Dalrymple’s Collection Vol. II. p. 17. 18.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0407" n="348"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><persName>For&#x017F;ter&#x2019;s</persName> Rei&#x017F;e um die Welt</hi></fw><lb/><note place="left">1773.<lb/>
October.</note>mo&#x0364;gen einhundert und funfzig Mann tragen ko&#x0364;nnen. Die Seegel, welche drey-<lb/>
eckigt &#x017F;ind, be&#x017F;tehen aus &#x017F;tarken Matten, in welche zuweilen die Figur einer<lb/>
Schildkro&#x0364;te, oder eines Hahns, wiewohl nach einer ziemlich unfo&#x0364;rmlichen Zeich-<lb/>
nung, eingewu&#x0364;rkt i&#x017F;t. <note place="foot" n="*)">Die Abbildung eines <hi rendition="#fr">Canots</hi> in <hi rendition="#fr"><persName>Schoutens</persName></hi> Rei&#x017F;en giebt von den Seegel-Booten zu<lb/><hi rendition="#fr"><placeName>Tongatabu</placeName></hi> einen guten Begriff. S. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i"><persName>Dalrymple&#x2019;s</persName></hi> Collection Vol. II. p.</hi> 17. 18.</note> Da inde&#x017F;&#x017F;en genauere Be&#x017F;chreibungen vom Schiff bau den<lb/>
mehre&#x017F;ten Le&#x017F;ern nur langweilig und blos fu&#x0364;r Seefahrer lehrreich &#x017F;eyn wu&#x0364;rden, &#x017F;o<lb/>
will ich mich darauf nicht einla&#x017F;&#x017F;en; verlangt aber jemand noch ausfu&#x0364;hrlichern<lb/>
Unterricht, der kann &#x017F;ich an den Zeichnungen der Durch&#x017F;chnitte und Verha&#x0364;lt-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e, die Herr <hi rendition="#fr"><persName>Hodges</persName></hi> angefertigt hat, und die auch in Kupfer ge&#x017F;tochen &#x017F;ind,<lb/>
weiter Raths erholen. Schon aus dem Wenigen, was ich von der guten<lb/>
Bauart die&#x017F;er Seegel-Boote ge&#x017F;agt habe, wird der Le&#x017F;er abnehmen, daß die<lb/>
Einwohner die&#x017F;er In&#x017F;eln weit erfahrnere und be&#x017F;&#x017F;ere Seeleute &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, als<lb/>
die Einwohner von <hi rendition="#fr"><placeName>Tahiti</placeName></hi> und den <placeName><hi rendition="#fr">Societa&#x0364;ts-</hi>In&#x017F;eln</placeName>.</p><lb/>
        <p>Unter der Menge von Leuten, welche um die Schiffe her &#x017F;chwa&#x0364;rmten, be-<lb/>
merkte ich ver&#x017F;chiedne, deren Haar an den Spitzen verbrannt zu &#x017F;eyn &#x017F;chien und<lb/>
gepudert war. Bey genauerer Unter&#x017F;uchung fand &#x017F;ich, daß die&#x017F;er Puder aus<lb/>
Mu&#x017F;chel- oder Corallen-Kalk zubereitet war, der vermo&#x0364;ge &#x017F;einer fre&#x017F;&#x017F;enden Ei-<lb/>
gen&#x017F;chaft, die Haare angegriffen und gleich&#x017F;am ver&#x017F;engt oder verbrannt hatte.<lb/>
Der Ge&#x017F;chmack am Haarpuder gieng hier &#x017F;o weit, daß man &#x017F;chon auf die Ku&#x0364;n&#x017F;te-<lb/>
ley verfallen war, ihm allerhand Farben zu geben, denn einer von den Ma&#x0364;nnern<lb/>
hatte blaues, und mehrere Leute, &#x017F;owohl Ma&#x0364;nner als Weiber, ein orangenfarb-<lb/>
nes Puder, von Curcuma, gebraucht. Der Heilige <hi rendition="#fr"><persName>Hieronymus</persName></hi>, der gegen<lb/>
die Eitelkeiten &#x017F;einer Zeiten predigte, warf &#x017F;chon damals den ro&#x0364;mi&#x017F;chen Damen eine<lb/>
a&#x0364;hnliche Gewohnheit vor: <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">ne irrufet crines &amp; anticipet &#x017F;ibi ignes gehen-<lb/>
næ!</hi></hi> Die Thorheiten der Men&#x017F;chen &#x017F;ind &#x017F;ich al&#x017F;o &#x017F;o a&#x0364;hnlich, daß man die la&#x0364;ng&#x017F;t<lb/>
vergeßnen Moden der ehemaligen Bewohner von <placeName>Europa</placeName>, noch heut zu Tage<lb/>
unter den neuern Antipoden wieder findet! Und un&#x017F;re abge&#x017F;chmackten Petitma&#x0364;-<lb/>
ters, deren ganzer Ehrgeiz darinn be&#x017F;teht, eine neue Mode zu erfinden, ko&#x0364;nnen<lb/>
die&#x017F;e unbedeutende Ehre nicht einmal fu&#x0364;r &#x017F;ich allein behalten, &#x017F;ondern mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en<lb/>
ihren Ruhm mit den uncivili&#x017F;irten Einwohnern einer In&#x017F;el in der <placeName>Su&#x0364;d&#x017F;ee</placeName> theilen!</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0407] Forſter’s Reiſe um die Welt moͤgen einhundert und funfzig Mann tragen koͤnnen. Die Seegel, welche drey- eckigt ſind, beſtehen aus ſtarken Matten, in welche zuweilen die Figur einer Schildkroͤte, oder eines Hahns, wiewohl nach einer ziemlich unfoͤrmlichen Zeich- nung, eingewuͤrkt iſt. *) Da indeſſen genauere Beſchreibungen vom Schiff bau den mehreſten Leſern nur langweilig und blos fuͤr Seefahrer lehrreich ſeyn wuͤrden, ſo will ich mich darauf nicht einlaſſen; verlangt aber jemand noch ausfuͤhrlichern Unterricht, der kann ſich an den Zeichnungen der Durchſchnitte und Verhaͤlt- niſſe, die Herr Hodges angefertigt hat, und die auch in Kupfer geſtochen ſind, weiter Raths erholen. Schon aus dem Wenigen, was ich von der guten Bauart dieſer Seegel-Boote geſagt habe, wird der Leſer abnehmen, daß die Einwohner dieſer Inſeln weit erfahrnere und beſſere Seeleute ſeyn muͤſſen, als die Einwohner von Tahiti und den Societaͤts-Inſeln. 1773. October. Unter der Menge von Leuten, welche um die Schiffe her ſchwaͤrmten, be- merkte ich verſchiedne, deren Haar an den Spitzen verbrannt zu ſeyn ſchien und gepudert war. Bey genauerer Unterſuchung fand ſich, daß dieſer Puder aus Muſchel- oder Corallen-Kalk zubereitet war, der vermoͤge ſeiner freſſenden Ei- genſchaft, die Haare angegriffen und gleichſam verſengt oder verbrannt hatte. Der Geſchmack am Haarpuder gieng hier ſo weit, daß man ſchon auf die Kuͤnſte- ley verfallen war, ihm allerhand Farben zu geben, denn einer von den Maͤnnern hatte blaues, und mehrere Leute, ſowohl Maͤnner als Weiber, ein orangenfarb- nes Puder, von Curcuma, gebraucht. Der Heilige Hieronymus, der gegen die Eitelkeiten ſeiner Zeiten predigte, warf ſchon damals den roͤmiſchen Damen eine aͤhnliche Gewohnheit vor: ne irrufet crines & anticipet ſibi ignes gehen- næ! Die Thorheiten der Menſchen ſind ſich alſo ſo aͤhnlich, daß man die laͤngſt vergeßnen Moden der ehemaligen Bewohner von Europa, noch heut zu Tage unter den neuern Antipoden wieder findet! Und unſre abgeſchmackten Petitmaͤ- ters, deren ganzer Ehrgeiz darinn beſteht, eine neue Mode zu erfinden, koͤnnen dieſe unbedeutende Ehre nicht einmal fuͤr ſich allein behalten, ſondern muͤſſen ihren Ruhm mit den unciviliſirten Einwohnern einer Inſel in der Suͤdſee theilen! *) Die Abbildung eines Canots in Schoutens Reiſen giebt von den Seegel-Booten zu Tongatabu einen guten Begriff. S. Dalrymple’s Collection Vol. II. p. 17. 18.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/407
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/407>, abgerufen am 23.11.2024.