1774. März.wundern sollten; über ihr Glück bey unsern kränklichen, ausgehungerten Seeleu- ten? oder über ihre unersättliche Liederlichkeit?
Nachmittags giengen wir wieder ans Land, und ich besuchte die Berge gegen Süden; die sehr leicht zu ersteigen waren, weil sie ausserordentlich sanft in die Höhe giengen. Ich fand eine große Pisang-Pflanzung darauf, und weiter hinauf einige Ruinen von einer verfallnen Mauer, auf welcher vielleicht vor al- ten Zeiten eine Bildsäule gestanden hatte. Von da lief ich über einige Felder, auf denen ich eine Familie beym Ausgraben ihrer Kartoffeln antraf. Ich gieng auf ihre Hütte zu, die so klein war, als ich je eine gesehen. Als ich mich etwas mehr genähert hatte, versammelten sich die Leute um mich her, und ich setzte mich mit- ten unter ihnen nieder. Es waren ohngefähr 6 oder 7 Personen, worunter sich ein Weib und zwey kleine Jungens befanden. Sie überreichten mir etwas von ihrem Zuckerrohr, wofür ich ihnen ein klein Stück Tahitisches Zeug, das sie so- gleich um den Kopf wickelten, zum Gegengeschenk machte. Sie waren bey wei- tem nicht so neugierig, als die Leute auf den Societäts-Inseln, sondern giengen bald wieder an ihre Arbeit, mit der ich sie beschäftigt gefunden hatte. Einige hatten Feder-Hüthe auf, die sie mir zum Tausch gegen ein Stück Zeug von der Größe eines Schnupftuches anboten. Neben der Hütte sahe ich einige Hüh- ner, welches die einzigen waren, die ich bis jetzt lebendig auf der Insel angetrof- fen hatte. Ihr Betragen gegen mich, war dem allgemeinen Charaeter der Süd-See-Völker gemäß, ganz friedlich. Nach den Ausdrücken der Rogge- weinschen Reisebeschreiber scheint es fast, als wenn die Holländer nur zum Zeit- vertreib auf diese armen Leute, die ihnen doch nichts zu leide thaten, gefeuert, und eine große Menge von ihnen, bloß um den übrigen ein Schrecken dadurch einzujagen, niedergeschossen hätten. Es ist leicht möglich, daß die Furcht vor dem mördrischen Europäischen Gewehr, worinn der Spanische Besuch sie viel- leicht bestärkt haben mogte, in ihnen bey unsrer Ankunft wieder erwachte, und sie so furchtsam und scheu in ihrem Betragen gegen uns machte; doch ist auch nicht zu leugnen, daß sie überall in ihren Character etwas sanftes, mit- leidiges und gutherziges haben, welches sie gegen die Fremden so willfährig, und so weit es ihnen das elende Land zu seyn erlaubt, so gastfrey macht.
Forſter’s Reiſe um die Welt
1774. Maͤrz.wundern ſollten; uͤber ihr Gluͤck bey unſern kraͤnklichen, ausgehungerten Seeleu- ten? oder uͤber ihre unerſaͤttliche Liederlichkeit?
Nachmittags giengen wir wieder ans Land, und ich beſuchte die Berge gegen Suͤden; die ſehr leicht zu erſteigen waren, weil ſie auſſerordentlich ſanft in die Hoͤhe giengen. Ich fand eine große Piſang-Pflanzung darauf, und weiter hinauf einige Ruinen von einer verfallnen Mauer, auf welcher vielleicht vor al- ten Zeiten eine Bildſaͤule geſtanden hatte. Von da lief ich uͤber einige Felder, auf denen ich eine Familie beym Ausgraben ihrer Kartoffeln antraf. Ich gieng auf ihre Huͤtte zu, die ſo klein war, als ich je eine geſehen. Als ich mich etwas mehr genaͤhert hatte, verſammelten ſich die Leute um mich her, und ich ſetzte mich mit- ten unter ihnen nieder. Es waren ohngefaͤhr 6 oder 7 Perſonen, worunter ſich ein Weib und zwey kleine Jungens befanden. Sie uͤberreichten mir etwas von ihrem Zuckerrohr, wofuͤr ich ihnen ein klein Stuͤck Tahitiſches Zeug, das ſie ſo- gleich um den Kopf wickelten, zum Gegengeſchenk machte. Sie waren bey wei- tem nicht ſo neugierig, als die Leute auf den Societaͤts-Inſeln, ſondern giengen bald wieder an ihre Arbeit, mit der ich ſie beſchaͤftigt gefunden hatte. Einige hatten Feder-Huͤthe auf, die ſie mir zum Tauſch gegen ein Stuͤck Zeug von der Groͤße eines Schnupftuches anboten. Neben der Huͤtte ſahe ich einige Huͤh- ner, welches die einzigen waren, die ich bis jetzt lebendig auf der Inſel angetrof- fen hatte. Ihr Betragen gegen mich, war dem allgemeinen Charaeter der Suͤd-See-Voͤlker gemaͤß, ganz friedlich. Nach den Ausdruͤcken der Rogge- weinſchen Reiſebeſchreiber ſcheint es faſt, als wenn die Hollaͤnder nur zum Zeit- vertreib auf dieſe armen Leute, die ihnen doch nichts zu leide thaten, gefeuert, und eine große Menge von ihnen, bloß um den uͤbrigen ein Schrecken dadurch einzujagen, niedergeſchoſſen haͤtten. Es iſt leicht moͤglich, daß die Furcht vor dem moͤrdriſchen Europaͤiſchen Gewehr, worinn der Spaniſche Beſuch ſie viel- leicht beſtaͤrkt haben mogte, in ihnen bey unſrer Ankunft wieder erwachte, und ſie ſo furchtſam und ſcheu in ihrem Betragen gegen uns machte; doch iſt auch nicht zu leugnen, daß ſie uͤberall in ihren Character etwas ſanftes, mit- leidiges und gutherziges haben, welches ſie gegen die Fremden ſo willfaͤhrig, und ſo weit es ihnen das elende Land zu ſeyn erlaubt, ſo gaſtfrey macht.
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Forſter’s Reiſe um die Welt
wundern ſollten; uͤber ihr Gluͤck bey unſern kraͤnklichen, ausgehungerten Seeleu-
ten? oder uͤber ihre unerſaͤttliche Liederlichkeit?
1774.
Maͤrz.
Nachmittags giengen wir wieder ans Land, und ich beſuchte die Berge
gegen Suͤden; die ſehr leicht zu erſteigen waren, weil ſie auſſerordentlich ſanft in
die Hoͤhe giengen. Ich fand eine große Piſang-Pflanzung darauf, und weiter
hinauf einige Ruinen von einer verfallnen Mauer, auf welcher vielleicht vor al-
ten Zeiten eine Bildſaͤule geſtanden hatte. Von da lief ich uͤber einige Felder,
auf denen ich eine Familie beym Ausgraben ihrer Kartoffeln antraf. Ich gieng
auf ihre Huͤtte zu, die ſo klein war, als ich je eine geſehen. Als ich mich etwas
mehr genaͤhert hatte, verſammelten ſich die Leute um mich her, und ich ſetzte mich mit-
ten unter ihnen nieder. Es waren ohngefaͤhr 6 oder 7 Perſonen, worunter ſich
ein Weib und zwey kleine Jungens befanden. Sie uͤberreichten mir etwas von
ihrem Zuckerrohr, wofuͤr ich ihnen ein klein Stuͤck Tahitiſches Zeug, das ſie ſo-
gleich um den Kopf wickelten, zum Gegengeſchenk machte. Sie waren bey wei-
tem nicht ſo neugierig, als die Leute auf den Societaͤts-Inſeln, ſondern giengen
bald wieder an ihre Arbeit, mit der ich ſie beſchaͤftigt gefunden hatte. Einige
hatten Feder-Huͤthe auf, die ſie mir zum Tauſch gegen ein Stuͤck Zeug von
der Groͤße eines Schnupftuches anboten. Neben der Huͤtte ſahe ich einige Huͤh-
ner, welches die einzigen waren, die ich bis jetzt lebendig auf der Inſel angetrof-
fen hatte. Ihr Betragen gegen mich, war dem allgemeinen Charaeter der
Suͤd-See-Voͤlker gemaͤß, ganz friedlich. Nach den Ausdruͤcken der Rogge-
weinſchen Reiſebeſchreiber ſcheint es faſt, als wenn die Hollaͤnder nur zum Zeit-
vertreib auf dieſe armen Leute, die ihnen doch nichts zu leide thaten, gefeuert,
und eine große Menge von ihnen, bloß um den uͤbrigen ein Schrecken dadurch
einzujagen, niedergeſchoſſen haͤtten. Es iſt leicht moͤglich, daß die Furcht vor
dem moͤrdriſchen Europaͤiſchen Gewehr, worinn der Spaniſche Beſuch ſie viel-
leicht beſtaͤrkt haben mogte, in ihnen bey unſrer Ankunft wieder erwachte,
und ſie ſo furchtſam und ſcheu in ihrem Betragen gegen uns machte; doch iſt
auch nicht zu leugnen, daß ſie uͤberall in ihren Character etwas ſanftes, mit-
leidiges und gutherziges haben, welches ſie gegen die Fremden ſo willfaͤhrig, und
ſo weit es ihnen das elende Land zu ſeyn erlaubt, ſo gaſtfrey macht.
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/497>, abgerufen am 22.11.2024.
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