Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
Forster's Reise um die Welt

1772.
Julius.

Am 20ten bekamen wir das Vorgebürge Ortegal an der Gallicischen
Küste in Spanien zu Gesicht; welches die Einwohner Ortiguera nennen und
vermuthlich das Promontorium trileucum der Alten ist. Das Land ist
in dieser Gegend bergigt und, an denen Orten, wo man den nackten Felsen
sahe, von weißlichter Farbe; die Gipfel der Berge aber waren mit Waldung
bedeckt. Ich bemerkte auch einige beynahe reife Kornfelder, und etliche Stellen
die mit Haide bedeckt zu seyn schienen. Jedermann am Bord schaute dies Land
mit solcher Sehnsucht an, daß man deutlich abnehmen konnte, der Mensch sey
kein Amphibium. Diesen Gedanken scheint Horaz gefühlt zu haben, wenn
er sagt:


Necquicquam Deus abscidit
Prudens Oceano dissociabili
Terras: si tamen impioe
Non tangenda rates transiliunt vada.

Hor.

Am 22sten sahen wir den Leucht-Thurm bey Corunna, oder, wie es
unsre Seeleute nach ihrer Weise verstümmeln, the Groyn. Wir hatten eine
völlige Windstille; die See war so eben als ein Spiegel, und Kornfelder, um-
zäunte Gründe, kleine Dörfer und adeliche Höfe verschönerten die bergigte
Landschaft: Alles vereinigte sich, die Ueberbleibsel der Seekrankheit zu ver-
treiben und erfüllte uns mit gutem Muth, der freylich bey leerem Magen und
stürmenden Wellen nicht hatte Stand halten können. Des Abends sahen wir
nicht weit von uns eine kleine Taxtane, die uns ein Fischer-Boot von der
spanischen Küste zu seyn schien und in dieser Meinung setzten wir ein Boot aus
um frische Fische einzukaufen. Die ganze Oberfläche des Meeres war mit Tau-
senden von kleinen Krabben bedeckt, die nicht über einen Zoll im Durchschnitt
hatten, und von der Art waren, welche Linnäus Cancer depurator nennt.
Das kleine Fahrzeug selbst war eine französische Tartane, aus Marseille, von
ohngefähr 100 Tonnen, mit Mehl für Ferrol und Corunna beladen. Die
Leute am Bord baten uns um etwas frisches Wasser, weil sie durch widrige
Winde seit zween Monathen verschlagen worden, ihren ganzen Vorrath schon

seit
Forſter’s Reiſe um die Welt

1772.
Julius.

Am 20ten bekamen wir das Vorgebuͤrge Ortegal an der Galliciſchen
Kuͤſte in Spanien zu Geſicht; welches die Einwohner Ortiguera nennen und
vermuthlich das Promontorium trileucum der Alten iſt. Das Land iſt
in dieſer Gegend bergigt und, an denen Orten, wo man den nackten Felſen
ſahe, von weißlichter Farbe; die Gipfel der Berge aber waren mit Waldung
bedeckt. Ich bemerkte auch einige beynahe reife Kornfelder, und etliche Stellen
die mit Haide bedeckt zu ſeyn ſchienen. Jedermann am Bord ſchaute dies Land
mit ſolcher Sehnſucht an, daß man deutlich abnehmen konnte, der Menſch ſey
kein Amphibium. Dieſen Gedanken ſcheint Horaz gefuͤhlt zu haben, wenn
er ſagt:


Necquicquam Deus abſcidit
Prudens Oceano diſſociabili
Terras: ſi tamen impiœ
Non tangenda rates tranſiliunt vada.

Hor.

Am 22ſten ſahen wir den Leucht-Thurm bey Corunna, oder, wie es
unſre Seeleute nach ihrer Weiſe verſtuͤmmeln, the Groyn. Wir hatten eine
voͤllige Windſtille; die See war ſo eben als ein Spiegel, und Kornfelder, um-
zaͤunte Gruͤnde, kleine Doͤrfer und adeliche Hoͤfe verſchoͤnerten die bergigte
Landſchaft: Alles vereinigte ſich, die Ueberbleibſel der Seekrankheit zu ver-
treiben und erfuͤllte uns mit gutem Muth, der freylich bey leerem Magen und
ſtuͤrmenden Wellen nicht hatte Stand halten koͤnnen. Des Abends ſahen wir
nicht weit von uns eine kleine Taxtane, die uns ein Fiſcher-Boot von der
ſpaniſchen Kuͤſte zu ſeyn ſchien und in dieſer Meinung ſetzten wir ein Boot aus
um friſche Fiſche einzukaufen. Die ganze Oberflaͤche des Meeres war mit Tau-
ſenden von kleinen Krabben bedeckt, die nicht uͤber einen Zoll im Durchſchnitt
hatten, und von der Art waren, welche Linnaͤus Cancer depurator nennt.
Das kleine Fahrzeug ſelbſt war eine franzoͤſiſche Tartane, aus Marſeille, von
ohngefaͤhr 100 Tonnen, mit Mehl fuͤr Ferrol und Corunna beladen. Die
Leute am Bord baten uns um etwas friſches Waſſer, weil ſie durch widrige
Winde ſeit zween Monathen verſchlagen worden, ihren ganzen Vorrath ſchon

ſeit
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0053" n="8"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><persName>For&#x017F;ter&#x2019;s</persName> Rei&#x017F;e um die Welt</hi> </fw><lb/>
        <note place="left">1772.<lb/>
Julius.</note>
        <p>Am 20ten bekamen wir das <placeName>Vorgebu&#x0364;rge <hi rendition="#fr">Ortegal</hi></placeName> an der Gallici&#x017F;chen<lb/>
Ku&#x0364;&#x017F;te in <placeName>Spanien</placeName> zu Ge&#x017F;icht; welches die Einwohner <hi rendition="#fr"><placeName>Ortiguera</placeName></hi> nennen und<lb/>
vermuthlich das <hi rendition="#aq"><placeName>Promontorium trileucum</placeName></hi> der Alten i&#x017F;t. Das Land i&#x017F;t<lb/>
in die&#x017F;er Gegend bergigt und, an denen Orten, wo man den nackten Fel&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ahe, von weißlichter Farbe; die Gipfel der Berge aber waren mit Waldung<lb/>
bedeckt. Ich bemerkte auch einige beynahe reife Kornfelder, und etliche Stellen<lb/>
die mit Haide bedeckt zu &#x017F;eyn &#x017F;chienen. Jedermann am Bord &#x017F;chaute dies Land<lb/>
mit &#x017F;olcher Sehn&#x017F;ucht an, daß man deutlich abnehmen konnte, der Men&#x017F;ch &#x017F;ey<lb/>
kein Amphibium. Die&#x017F;en Gedanken &#x017F;cheint <persName>Horaz</persName> gefu&#x0364;hlt zu haben, wenn<lb/>
er &#x017F;agt:</p><lb/>
        <cit>
          <quote> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#i"> <hi rendition="#aq">Necquicquam Deus ab&#x017F;cidit<lb/>
Prudens Oceano di&#x017F;&#x017F;ociabili<lb/>
Terras: &#x017F;i tamen impi&#x0153;<lb/>
Non tangenda rates tran&#x017F;iliunt vada.</hi> </hi> </hi> </quote><lb/>
          <bibl> <hi rendition="#et"> <hi rendition="#i"> <hi rendition="#aq">
                  <persName><hi rendition="#g"><hi rendition="#k">Hor</hi></hi>.</persName>
                </hi> </hi> </hi> </bibl>
        </cit><lb/>
        <p>Am 22&#x017F;ten &#x017F;ahen wir den Leucht-Thurm bey <hi rendition="#fr"><placeName>Corunna</placeName>,</hi> oder, wie es<lb/>
un&#x017F;re Seeleute nach ihrer Wei&#x017F;e ver&#x017F;tu&#x0364;mmeln, <hi rendition="#i"><hi rendition="#aq"><placeName>the Groyn</placeName></hi></hi>. Wir hatten eine<lb/>
vo&#x0364;llige Wind&#x017F;tille; die See war &#x017F;o eben als ein Spiegel, und Kornfelder, um-<lb/>
za&#x0364;unte Gru&#x0364;nde, kleine Do&#x0364;rfer und adeliche Ho&#x0364;fe ver&#x017F;cho&#x0364;nerten die bergigte<lb/>
Land&#x017F;chaft: Alles vereinigte &#x017F;ich, die Ueberbleib&#x017F;el der Seekrankheit zu ver-<lb/>
treiben und erfu&#x0364;llte uns mit gutem Muth, der freylich bey leerem Magen und<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rmenden Wellen nicht hatte Stand halten ko&#x0364;nnen. Des Abends &#x017F;ahen wir<lb/>
nicht weit von uns eine kleine <hi rendition="#fr">Taxtane,</hi> die uns ein Fi&#x017F;cher-Boot von der<lb/>
&#x017F;pani&#x017F;chen Ku&#x0364;&#x017F;te zu &#x017F;eyn &#x017F;chien und in die&#x017F;er Meinung &#x017F;etzten wir ein Boot aus<lb/>
um fri&#x017F;che Fi&#x017F;che einzukaufen. Die ganze Oberfla&#x0364;che des Meeres war mit Tau-<lb/>
&#x017F;enden von kleinen Krabben bedeckt, die nicht u&#x0364;ber einen Zoll im Durch&#x017F;chnitt<lb/>
hatten, und von der Art waren, welche <hi rendition="#fr"><persName>Linna&#x0364;us</persName></hi> <hi rendition="#aq">Cancer depurator</hi> nennt.<lb/>
Das kleine Fahrzeug &#x017F;elb&#x017F;t war eine franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che <hi rendition="#fr">Tartane,</hi> aus <hi rendition="#fr"><placeName>Mar&#x017F;eille</placeName>,</hi> von<lb/>
ohngefa&#x0364;hr 100 Tonnen, mit Mehl fu&#x0364;r <hi rendition="#fr"><placeName>Ferrol</placeName></hi> und <hi rendition="#fr"><placeName>Corunna</placeName></hi> beladen. Die<lb/>
Leute am Bord baten uns um etwas fri&#x017F;ches Wa&#x017F;&#x017F;er, weil &#x017F;ie durch widrige<lb/>
Winde &#x017F;eit zween Monathen ver&#x017F;chlagen worden, ihren ganzen Vorrath &#x017F;chon<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;eit</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0053] Forſter’s Reiſe um die Welt Am 20ten bekamen wir das Vorgebuͤrge Ortegal an der Galliciſchen Kuͤſte in Spanien zu Geſicht; welches die Einwohner Ortiguera nennen und vermuthlich das Promontorium trileucum der Alten iſt. Das Land iſt in dieſer Gegend bergigt und, an denen Orten, wo man den nackten Felſen ſahe, von weißlichter Farbe; die Gipfel der Berge aber waren mit Waldung bedeckt. Ich bemerkte auch einige beynahe reife Kornfelder, und etliche Stellen die mit Haide bedeckt zu ſeyn ſchienen. Jedermann am Bord ſchaute dies Land mit ſolcher Sehnſucht an, daß man deutlich abnehmen konnte, der Menſch ſey kein Amphibium. Dieſen Gedanken ſcheint Horaz gefuͤhlt zu haben, wenn er ſagt: Necquicquam Deus abſcidit Prudens Oceano diſſociabili Terras: ſi tamen impiœ Non tangenda rates tranſiliunt vada. Hor. Am 22ſten ſahen wir den Leucht-Thurm bey Corunna, oder, wie es unſre Seeleute nach ihrer Weiſe verſtuͤmmeln, the Groyn. Wir hatten eine voͤllige Windſtille; die See war ſo eben als ein Spiegel, und Kornfelder, um- zaͤunte Gruͤnde, kleine Doͤrfer und adeliche Hoͤfe verſchoͤnerten die bergigte Landſchaft: Alles vereinigte ſich, die Ueberbleibſel der Seekrankheit zu ver- treiben und erfuͤllte uns mit gutem Muth, der freylich bey leerem Magen und ſtuͤrmenden Wellen nicht hatte Stand halten koͤnnen. Des Abends ſahen wir nicht weit von uns eine kleine Taxtane, die uns ein Fiſcher-Boot von der ſpaniſchen Kuͤſte zu ſeyn ſchien und in dieſer Meinung ſetzten wir ein Boot aus um friſche Fiſche einzukaufen. Die ganze Oberflaͤche des Meeres war mit Tau- ſenden von kleinen Krabben bedeckt, die nicht uͤber einen Zoll im Durchſchnitt hatten, und von der Art waren, welche Linnaͤus Cancer depurator nennt. Das kleine Fahrzeug ſelbſt war eine franzoͤſiſche Tartane, aus Marſeille, von ohngefaͤhr 100 Tonnen, mit Mehl fuͤr Ferrol und Corunna beladen. Die Leute am Bord baten uns um etwas friſches Waſſer, weil ſie durch widrige Winde ſeit zween Monathen verſchlagen worden, ihren ganzen Vorrath ſchon ſeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/53
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/53>, abgerufen am 13.05.2024.