Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.in den Jahren 1772 bis 1775. durch ein Boot abholen. Die Wilden hatten den Mord ihres Bruders,1774.August. ihm so wenig als uns, entgelten lassen, sondern schienen vielmehr von unserer Gemüthsart einen zu vortheilhaften Begriff gefaßt zu haben, um das Verbre- chen eines einzigen den übrigen allen beyzumessen. Wie plötzlich und durch was für eine ruchlose That waren die angenehmen Hoffnungen, womit ich mir, noch wenig Augenblicke zuvor, geschmeichelt hatte, nun nicht auf einmal ver- eitelt! Was mußten die Wilden von uns denken? Waren wir jetzt noch besser als andre Fremdlinge? oder verdienten wir nicht weit mehr Abscheu, weil wir uns, unter dem Schein der Freundschaft eingeschlichen hatten, um sie hernach als Menchelmörder zu tödten? Ich muß gestehen, daß meh- rere von unserer Schiffsgesellschaft billig genug dachten, dieses Unglück laut zu beklagen. Dergleichen Uebereilungen waren uns fast aller Orten begeg- net, und der Schade nirgends gut zu machen gewesen. Und hier in Tanna, wo wir uns bis auf den Augenblick unsrer Abreise, gesitteter und vernünftiger denn irgendwo, betragen halten, auch hier mußte dieser Ruhm durch die offen- barste Grausamkeit wieder vernichtet werden! Der Capitain wollte den Solda- ten mit exemplarischer Strenge dafür bestrafen lassen, daß er, der ausdrückli- chen Vorschrift, nach welcher dem Jähzorn der Wilden nie etwas anders als Sanft- muth entgegen gesetzt werden sollte, so offenbar und muthwillig zuwider gehan- delt hatte. Allein, der Officier der am Strande das Commando gehabt, nahm sich des Kerls an, und sagte, er hätte jenen Befehl des Capitains seinen Leuten nicht bekannt gemacht, im Gegentheil ihnen eingeschärft, daß man die Wilden, wenn sie sich im geringsten beygehen ließen zu drohen, geradenweges niederschießen müsse. Auf dieses Geständniß konnte man dem Soldaten nichts weiter anhaben; ob aber der Officier über das Leben der Einwohner zu gebieten habe? -- das ward weiter nicht untersucht. *) Nach Tische fuhren wir wieder aus Land, wo die Matrosen noch zu guter letzt ihr Glück im Fischfange versuch- *) Man wußte, daß der Officier viele vornehme Anverwandte hatte, worunter auch Mini-
ster befindlich waren. Ueberdem scheint es in England nicht viel auf sich zu haben, wenn ein Subaltern seine Schuldigkeit unterläßt, oder gegen die Subordination handelt. Ja man hat sogar Beyspiele, daß ein Officier cum infamia caßirt, und gleichwohl bald nachher Staatsminister geworden ist. Jedes Land hat so seine eigne Weise! in den Jahren 1772 bis 1775. durch ein Boot abholen. Die Wilden hatten den Mord ihres Bruders,1774.Auguſt. ihm ſo wenig als uns, entgelten laſſen, ſondern ſchienen vielmehr von unſerer Gemuͤthsart einen zu vortheilhaften Begriff gefaßt zu haben, um das Verbre- chen eines einzigen den uͤbrigen allen beyzumeſſen. Wie ploͤtzlich und durch was fuͤr eine ruchloſe That waren die angenehmen Hoffnungen, womit ich mir, noch wenig Augenblicke zuvor, geſchmeichelt hatte, nun nicht auf einmal ver- eitelt! Was mußten die Wilden von uns denken? Waren wir jetzt noch beſſer als andre Fremdlinge? oder verdienten wir nicht weit mehr Abſcheu, weil wir uns, unter dem Schein der Freundſchaft eingeſchlichen hatten, um ſie hernach als Menchelmoͤrder zu toͤdten? Ich muß geſtehen, daß meh- rere von unſerer Schiffsgeſellſchaft billig genug dachten, dieſes Ungluͤck laut zu beklagen. Dergleichen Uebereilungen waren uns faſt aller Orten begeg- net, und der Schade nirgends gut zu machen geweſen. Und hier in Tanna, wo wir uns bis auf den Augenblick unſrer Abreiſe, geſitteter und vernuͤnftiger denn irgendwo, betragen halten, auch hier mußte dieſer Ruhm durch die offen- barſte Grauſamkeit wieder vernichtet werden! Der Capitain wollte den Solda- ten mit exemplariſcher Strenge dafuͤr beſtrafen laſſen, daß er, der ausdruͤckli- chen Vorſchrift, nach welcher dem Jaͤhzorn der Wilden nie etwas anders als Sanft- muth entgegen geſetzt werden ſollte, ſo offenbar und muthwillig zuwider gehan- delt hatte. Allein, der Officier der am Strande das Commando gehabt, nahm ſich des Kerls an, und ſagte, er haͤtte jenen Befehl des Capitains ſeinen Leuten nicht bekannt gemacht, im Gegentheil ihnen eingeſchaͤrft, daß man die Wilden, wenn ſie ſich im geringſten beygehen ließen zu drohen, geradenweges niederſchießen muͤſſe. Auf dieſes Geſtaͤndniß konnte man dem Soldaten nichts weiter anhaben; ob aber der Officier uͤber das Leben der Einwohner zu gebieten habe? — das ward weiter nicht unterſucht. *) Nach Tiſche fuhren wir wieder aus Land, wo die Matroſen noch zu guter letzt ihr Gluͤck im Fiſchfange verſuch- *) Man wußte, daß der Officier viele vornehme Anverwandte hatte, worunter auch Mini-
ſter befindlich waren. Ueberdem ſcheint es in England nicht viel auf ſich zu haben, wenn ein Subaltern ſeine Schuldigkeit unterlaͤßt, oder gegen die Subordination handelt. Ja man hat ſogar Beyſpiele, daß ein Officier cum infamia caßirt, und gleichwohl bald nachher Staatsminiſter geworden iſt. Jedes Land hat ſo ſeine eigne Weiſe! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0293" n="279"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">in den Jahren 1772 bis 1775.</hi></fw><lb/> durch ein Boot abholen. Die Wilden hatten den Mord ihres Bruders,<note place="right">1774.<lb/> Auguſt.</note><lb/> ihm ſo wenig als uns, entgelten laſſen, ſondern ſchienen vielmehr von unſerer<lb/> Gemuͤthsart einen zu vortheilhaften Begriff gefaßt zu haben, um das Verbre-<lb/> chen eines einzigen den uͤbrigen allen beyzumeſſen. Wie ploͤtzlich und durch was<lb/> fuͤr eine ruchloſe That waren die angenehmen Hoffnungen, womit ich mir,<lb/> noch wenig Augenblicke zuvor, geſchmeichelt hatte, nun nicht auf einmal ver-<lb/> eitelt! Was mußten die Wilden von uns denken? Waren wir jetzt noch<lb/> beſſer als andre Fremdlinge? oder verdienten wir nicht weit mehr Abſcheu,<lb/> weil wir uns, unter dem Schein der Freundſchaft eingeſchlichen hatten,<lb/> um ſie hernach als Menchelmoͤrder zu toͤdten? Ich muß geſtehen, daß meh-<lb/> rere von unſerer Schiffsgeſellſchaft billig genug dachten, dieſes Ungluͤck<lb/> laut zu beklagen. Dergleichen Uebereilungen waren uns faſt aller Orten begeg-<lb/> net, und der Schade nirgends gut zu machen geweſen. Und hier in <hi rendition="#fr"><placeName>Tanna</placeName></hi>,<lb/> wo wir uns bis auf den Augenblick unſrer Abreiſe, geſitteter und vernuͤnftiger<lb/> denn irgendwo, betragen halten, auch hier mußte dieſer Ruhm durch die offen-<lb/> barſte Grauſamkeit wieder vernichtet werden! Der Capitain wollte den Solda-<lb/> ten mit exemplariſcher Strenge dafuͤr beſtrafen laſſen, daß er, der ausdruͤckli-<lb/> chen Vorſchrift, nach welcher dem Jaͤhzorn der Wilden nie etwas anders als Sanft-<lb/> muth entgegen geſetzt werden ſollte, ſo offenbar und muthwillig zuwider gehan-<lb/> delt hatte. Allein, der Officier der am Strande das Commando gehabt, nahm<lb/> ſich des Kerls an, und ſagte, er haͤtte jenen Befehl des Capitains ſeinen Leuten<lb/> nicht bekannt gemacht, im Gegentheil ihnen eingeſchaͤrft, daß man die<lb/> Wilden, wenn ſie ſich im geringſten beygehen ließen zu drohen, geradenweges<lb/> niederſchießen muͤſſe. Auf dieſes Geſtaͤndniß konnte man dem Soldaten nichts<lb/> weiter anhaben; ob aber der Officier uͤber das Leben der Einwohner zu gebieten<lb/> habe? — das ward weiter nicht unterſucht. <note place="foot" n="*)">Man wußte, daß der Officier viele vornehme Anverwandte hatte, worunter auch Mini-<lb/> ſter befindlich waren. Ueberdem ſcheint es in <placeName>England</placeName> nicht viel auf ſich zu haben, wenn<lb/> ein Subaltern ſeine Schuldigkeit unterlaͤßt, oder gegen die Subordination handelt. Ja<lb/> man hat ſogar Beyſpiele, daß ein Officier <hi rendition="#aq">cum infamia</hi> caßirt, und gleichwohl bald<lb/> nachher Staatsminiſter geworden iſt. Jedes Land hat ſo ſeine eigne Weiſe!</note> Nach Tiſche fuhren wir wieder<lb/> aus Land, wo die Matroſen noch zu guter letzt ihr Gluͤck im Fiſchfange verſuch-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [279/0293]
in den Jahren 1772 bis 1775.
durch ein Boot abholen. Die Wilden hatten den Mord ihres Bruders,
ihm ſo wenig als uns, entgelten laſſen, ſondern ſchienen vielmehr von unſerer
Gemuͤthsart einen zu vortheilhaften Begriff gefaßt zu haben, um das Verbre-
chen eines einzigen den uͤbrigen allen beyzumeſſen. Wie ploͤtzlich und durch was
fuͤr eine ruchloſe That waren die angenehmen Hoffnungen, womit ich mir,
noch wenig Augenblicke zuvor, geſchmeichelt hatte, nun nicht auf einmal ver-
eitelt! Was mußten die Wilden von uns denken? Waren wir jetzt noch
beſſer als andre Fremdlinge? oder verdienten wir nicht weit mehr Abſcheu,
weil wir uns, unter dem Schein der Freundſchaft eingeſchlichen hatten,
um ſie hernach als Menchelmoͤrder zu toͤdten? Ich muß geſtehen, daß meh-
rere von unſerer Schiffsgeſellſchaft billig genug dachten, dieſes Ungluͤck
laut zu beklagen. Dergleichen Uebereilungen waren uns faſt aller Orten begeg-
net, und der Schade nirgends gut zu machen geweſen. Und hier in Tanna,
wo wir uns bis auf den Augenblick unſrer Abreiſe, geſitteter und vernuͤnftiger
denn irgendwo, betragen halten, auch hier mußte dieſer Ruhm durch die offen-
barſte Grauſamkeit wieder vernichtet werden! Der Capitain wollte den Solda-
ten mit exemplariſcher Strenge dafuͤr beſtrafen laſſen, daß er, der ausdruͤckli-
chen Vorſchrift, nach welcher dem Jaͤhzorn der Wilden nie etwas anders als Sanft-
muth entgegen geſetzt werden ſollte, ſo offenbar und muthwillig zuwider gehan-
delt hatte. Allein, der Officier der am Strande das Commando gehabt, nahm
ſich des Kerls an, und ſagte, er haͤtte jenen Befehl des Capitains ſeinen Leuten
nicht bekannt gemacht, im Gegentheil ihnen eingeſchaͤrft, daß man die
Wilden, wenn ſie ſich im geringſten beygehen ließen zu drohen, geradenweges
niederſchießen muͤſſe. Auf dieſes Geſtaͤndniß konnte man dem Soldaten nichts
weiter anhaben; ob aber der Officier uͤber das Leben der Einwohner zu gebieten
habe? — das ward weiter nicht unterſucht. *) Nach Tiſche fuhren wir wieder
aus Land, wo die Matroſen noch zu guter letzt ihr Gluͤck im Fiſchfange verſuch-
1774.
Auguſt.
*) Man wußte, daß der Officier viele vornehme Anverwandte hatte, worunter auch Mini-
ſter befindlich waren. Ueberdem ſcheint es in England nicht viel auf ſich zu haben, wenn
ein Subaltern ſeine Schuldigkeit unterlaͤßt, oder gegen die Subordination handelt. Ja
man hat ſogar Beyſpiele, daß ein Officier cum infamia caßirt, und gleichwohl bald
nachher Staatsminiſter geworden iſt. Jedes Land hat ſo ſeine eigne Weiſe!
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