Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

Forster's Reise um die Welt
1774.
Septem-
ber.
Fuß hoch über der Erde, und ruhet auf langen Wurzeln, die, aus vorgedachter
Höhe in schnurgerader Linie schräg nach dem Boden herab gehen, dabey so rund als
wären sie gedrechselt, und so elastisch, als eine gespannte Bogen Senne sind. Aus
der Rinde dieser Bäume werden vermuthlich jene Stückgen braunen Zeugs verfer-
tigt, welche im Putz der Neu-Caledonier eine so auffallende Figur machen. Unsere
neue Bekannten lehrten uns eine Menge Wörter aus ihrer Sprache; sie hat aber
gar keine Aehnlichkeit mit irgend einer andern, und das ist gewiß mehr als hinrei-
chend um selbst den größten und eifrigsten Genealogen von Muthmaßungen über ihre
Herkunft abzuschrecken. In Betracht des Characters dieser guten Leute, merkten
wir bald, daß ihre Güte des Herzens und ihre Friedfertigkeit zum Theil mit
natürlicher Trägheit verbunden war. Wenn wir spatzieren giengen, so folgten
sie uns selten nach; kamen wir vor ihren Hütten vorüber, ohne zuerst zu reden,
so liessen auch sie es gut seyn, und schienen sich gar nicht um uns zu kümmern.
Nur die Weiber bezeigten etwas mehr Neugierde, und versteckten sich bisweilen
ins Gebüsch um uns von fern her ansichtig zu werden; herankommen durften sie
aber nicht anders als in Gesellschaft der Mannspersonen.

Daß wir Vögel schossen, erregte bey den Einwohnern nicht das min-
deste Aufsehen oder Bestürzung. Im Gegentheil, wenn wir uns ihren Woh-
nungen näherten, so pflegten sich die jungen Leute von selbst nach Vögeln um-
zusehen, und sie uns anzuzeigen. Mir kam es vor, als ob sie zu dieser Jah-
reszeit wenig Beschäftigung haben mußten, denn das Feld war schon bestellt,
und Pisangs und Arum Wurzeln für die künftige Erndte bereits angepflanzt.
Eben deshalb mochten sie auch jetzt weniger als zu jeder andern Zeit im Stande
seyn uns Lebensmittel abzulassen, welches sie sonst, ihrer freundschaftlichen und gut-
herzigen Gemüthsart nach, wohl gethan haben würden. Wenigstens wäre es
sehr lieblos, wenn ich anders urtheilen und ihnen allein die Gastfreyheit ab-
sprechen wollte, die doch allen übrigen Bewohnern des Süd-Meeres in so
hohem Grade eigen ist, und um deren willen sie dem Seefahrenden Fremden
so schätzbar sind.

Wir verweilten auf diesem Spatziergange bis gegen Mittag, und kehr-
ten alsdenn, mit einer Bootsladung frischen Wassers, ans Schif zurück. Nur
eine kleine Parthey von unsern Leuten mußte am Ufer bleiben, um die übrigen le-

Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Septem-
ber.
Fuß hoch uͤber der Erde, und ruhet auf langen Wurzeln, die, aus vorgedachter
Hoͤhe in ſchnurgerader Linie ſchraͤg nach dem Boden herab gehen, dabey ſo rund als
waͤren ſie gedrechſelt, und ſo elaſtiſch, als eine geſpannte Bogen Senne ſind. Aus
der Rinde dieſer Baͤume werden vermuthlich jene Stuͤckgen braunen Zeugs verfer-
tigt, welche im Putz der Neu-Caledonier eine ſo auffallende Figur machen. Unſere
neue Bekannten lehrten uns eine Menge Woͤrter aus ihrer Sprache; ſie hat aber
gar keine Aehnlichkeit mit irgend einer andern, und das iſt gewiß mehr als hinrei-
chend um ſelbſt den groͤßten und eifrigſten Genealogen von Muthmaßungen uͤber ihre
Herkunft abzuſchrecken. In Betracht des Characters dieſer guten Leute, merkten
wir bald, daß ihre Guͤte des Herzens und ihre Friedfertigkeit zum Theil mit
natuͤrlicher Traͤgheit verbunden war. Wenn wir ſpatzieren giengen, ſo folgten
ſie uns ſelten nach; kamen wir vor ihren Huͤtten voruͤber, ohne zuerſt zu reden,
ſo lieſſen auch ſie es gut ſeyn, und ſchienen ſich gar nicht um uns zu kuͤmmern.
Nur die Weiber bezeigten etwas mehr Neugierde, und verſteckten ſich bisweilen
ins Gebuͤſch um uns von fern her anſichtig zu werden; herankommen durften ſie
aber nicht anders als in Geſellſchaft der Mannsperſonen.

Daß wir Voͤgel ſchoſſen, erregte bey den Einwohnern nicht das min-
deſte Aufſehen oder Beſtuͤrzung. Im Gegentheil, wenn wir uns ihren Woh-
nungen naͤherten, ſo pflegten ſich die jungen Leute von ſelbſt nach Voͤgeln um-
zuſehen, und ſie uns anzuzeigen. Mir kam es vor, als ob ſie zu dieſer Jah-
reszeit wenig Beſchaͤftigung haben mußten, denn das Feld war ſchon beſtellt,
und Piſangs und Arum Wurzeln fuͤr die kuͤnftige Erndte bereits angepflanzt.
Eben deshalb mochten ſie auch jetzt weniger als zu jeder andern Zeit im Stande
ſeyn uns Lebensmittel abzulaſſen, welches ſie ſonſt, ihrer freundſchaftlichen und gut-
herzigen Gemuͤthsart nach, wohl gethan haben wuͤrden. Wenigſtens waͤre es
ſehr lieblos, wenn ich anders urtheilen und ihnen allein die Gaſtfreyheit ab-
ſprechen wollte, die doch allen uͤbrigen Bewohnern des Suͤd-Meeres in ſo
hohem Grade eigen iſt, und um deren willen ſie dem Seefahrenden Fremden
ſo ſchaͤtzbar ſind.

Wir verweilten auf dieſem Spatziergange bis gegen Mittag, und kehr-
ten alsdenn, mit einer Bootsladung friſchen Waſſers, ans Schif zuruͤck. Nur
eine kleine Parthey von unſern Leuten mußte am Ufer bleiben, um die uͤbrigen le-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0326" n="310"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><persName>For&#x017F;ter&#x2019;s</persName> Rei&#x017F;e um die Welt</hi></fw><lb/><note place="left">1774.<lb/>
Septem-<lb/>
ber.</note>Fuß hoch u&#x0364;ber der Erde, und ruhet auf langen Wurzeln, die, aus vorgedachter<lb/>
Ho&#x0364;he in &#x017F;chnurgerader Linie &#x017F;chra&#x0364;g nach dem Boden herab gehen, dabey &#x017F;o rund als<lb/>
wa&#x0364;ren &#x017F;ie gedrech&#x017F;elt, und &#x017F;o ela&#x017F;ti&#x017F;ch, als eine ge&#x017F;pannte Bogen Senne &#x017F;ind. Aus<lb/>
der Rinde die&#x017F;er Ba&#x0364;ume werden vermuthlich jene Stu&#x0364;ckgen braunen Zeugs verfer-<lb/>
tigt, welche im Putz der <hi rendition="#fr">Neu-Caledonier</hi> eine &#x017F;o auffallende Figur machen. Un&#x017F;ere<lb/>
neue Bekannten lehrten uns eine Menge Wo&#x0364;rter aus ihrer Sprache; &#x017F;ie hat aber<lb/>
gar keine Aehnlichkeit mit irgend einer andern, und das i&#x017F;t gewiß mehr als hinrei-<lb/>
chend um &#x017F;elb&#x017F;t den gro&#x0364;ßten und eifrig&#x017F;ten Genealogen von Muthmaßungen u&#x0364;ber ihre<lb/>
Herkunft abzu&#x017F;chrecken. In Betracht des Characters die&#x017F;er guten Leute, merkten<lb/>
wir bald, daß ihre Gu&#x0364;te des Herzens und ihre Friedfertigkeit zum Theil mit<lb/>
natu&#x0364;rlicher Tra&#x0364;gheit verbunden war. Wenn wir &#x017F;patzieren giengen, &#x017F;o folgten<lb/>
&#x017F;ie uns &#x017F;elten nach; kamen wir vor ihren Hu&#x0364;tten voru&#x0364;ber, ohne zuer&#x017F;t zu reden,<lb/>
&#x017F;o lie&#x017F;&#x017F;en auch &#x017F;ie es gut &#x017F;eyn, und &#x017F;chienen &#x017F;ich gar nicht um uns zu ku&#x0364;mmern.<lb/>
Nur die Weiber bezeigten etwas mehr Neugierde, und ver&#x017F;teckten &#x017F;ich bisweilen<lb/>
ins Gebu&#x0364;&#x017F;ch um uns von fern her an&#x017F;ichtig zu werden; herankommen durften &#x017F;ie<lb/>
aber nicht anders als in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft der Mannsper&#x017F;onen.</p><lb/>
        <p>Daß wir Vo&#x0364;gel &#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en, erregte bey den Einwohnern nicht das min-<lb/>
de&#x017F;te Auf&#x017F;ehen oder Be&#x017F;tu&#x0364;rzung. Im Gegentheil, wenn wir uns ihren Woh-<lb/>
nungen na&#x0364;herten, &#x017F;o pflegten &#x017F;ich die jungen Leute von &#x017F;elb&#x017F;t nach Vo&#x0364;geln um-<lb/>
zu&#x017F;ehen, und &#x017F;ie uns anzuzeigen. Mir kam es vor, als ob &#x017F;ie zu die&#x017F;er Jah-<lb/>
reszeit wenig Be&#x017F;cha&#x0364;ftigung haben mußten, denn das Feld war &#x017F;chon be&#x017F;tellt,<lb/>
und Pi&#x017F;angs und Arum Wurzeln fu&#x0364;r die ku&#x0364;nftige Erndte bereits angepflanzt.<lb/>
Eben deshalb mochten &#x017F;ie auch jetzt weniger als zu jeder andern Zeit im Stande<lb/>
&#x017F;eyn uns Lebensmittel abzula&#x017F;&#x017F;en, welches &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t, ihrer freund&#x017F;chaftlichen und gut-<lb/>
herzigen Gemu&#x0364;thsart nach, wohl gethan haben wu&#x0364;rden. Wenig&#x017F;tens wa&#x0364;re es<lb/>
&#x017F;ehr lieblos, wenn ich anders urtheilen und ihnen <hi rendition="#fr">allein</hi> die Ga&#x017F;tfreyheit ab-<lb/>
&#x017F;prechen wollte, die doch allen u&#x0364;brigen Bewohnern des <placeName>Su&#x0364;d-Meeres</placeName> in &#x017F;o<lb/>
hohem Grade eigen i&#x017F;t, und um deren willen &#x017F;ie dem Seefahrenden Fremden<lb/>
&#x017F;o &#x017F;cha&#x0364;tzbar &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>Wir verweilten auf die&#x017F;em Spatziergange bis gegen Mittag, und kehr-<lb/>
ten alsdenn, mit einer Bootsladung fri&#x017F;chen Wa&#x017F;&#x017F;ers, ans Schif zuru&#x0364;ck. Nur<lb/>
eine kleine Parthey von un&#x017F;ern Leuten mußte am Ufer bleiben, um die u&#x0364;brigen le-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[310/0326] Forſter’s Reiſe um die Welt Fuß hoch uͤber der Erde, und ruhet auf langen Wurzeln, die, aus vorgedachter Hoͤhe in ſchnurgerader Linie ſchraͤg nach dem Boden herab gehen, dabey ſo rund als waͤren ſie gedrechſelt, und ſo elaſtiſch, als eine geſpannte Bogen Senne ſind. Aus der Rinde dieſer Baͤume werden vermuthlich jene Stuͤckgen braunen Zeugs verfer- tigt, welche im Putz der Neu-Caledonier eine ſo auffallende Figur machen. Unſere neue Bekannten lehrten uns eine Menge Woͤrter aus ihrer Sprache; ſie hat aber gar keine Aehnlichkeit mit irgend einer andern, und das iſt gewiß mehr als hinrei- chend um ſelbſt den groͤßten und eifrigſten Genealogen von Muthmaßungen uͤber ihre Herkunft abzuſchrecken. In Betracht des Characters dieſer guten Leute, merkten wir bald, daß ihre Guͤte des Herzens und ihre Friedfertigkeit zum Theil mit natuͤrlicher Traͤgheit verbunden war. Wenn wir ſpatzieren giengen, ſo folgten ſie uns ſelten nach; kamen wir vor ihren Huͤtten voruͤber, ohne zuerſt zu reden, ſo lieſſen auch ſie es gut ſeyn, und ſchienen ſich gar nicht um uns zu kuͤmmern. Nur die Weiber bezeigten etwas mehr Neugierde, und verſteckten ſich bisweilen ins Gebuͤſch um uns von fern her anſichtig zu werden; herankommen durften ſie aber nicht anders als in Geſellſchaft der Mannsperſonen. 1774. Septem- ber. Daß wir Voͤgel ſchoſſen, erregte bey den Einwohnern nicht das min- deſte Aufſehen oder Beſtuͤrzung. Im Gegentheil, wenn wir uns ihren Woh- nungen naͤherten, ſo pflegten ſich die jungen Leute von ſelbſt nach Voͤgeln um- zuſehen, und ſie uns anzuzeigen. Mir kam es vor, als ob ſie zu dieſer Jah- reszeit wenig Beſchaͤftigung haben mußten, denn das Feld war ſchon beſtellt, und Piſangs und Arum Wurzeln fuͤr die kuͤnftige Erndte bereits angepflanzt. Eben deshalb mochten ſie auch jetzt weniger als zu jeder andern Zeit im Stande ſeyn uns Lebensmittel abzulaſſen, welches ſie ſonſt, ihrer freundſchaftlichen und gut- herzigen Gemuͤthsart nach, wohl gethan haben wuͤrden. Wenigſtens waͤre es ſehr lieblos, wenn ich anders urtheilen und ihnen allein die Gaſtfreyheit ab- ſprechen wollte, die doch allen uͤbrigen Bewohnern des Suͤd-Meeres in ſo hohem Grade eigen iſt, und um deren willen ſie dem Seefahrenden Fremden ſo ſchaͤtzbar ſind. Wir verweilten auf dieſem Spatziergange bis gegen Mittag, und kehr- ten alsdenn, mit einer Bootsladung friſchen Waſſers, ans Schif zuruͤck. Nur eine kleine Parthey von unſern Leuten mußte am Ufer bleiben, um die uͤbrigen le-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/326
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/326>, abgerufen am 27.11.2024.