Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.Forster's Reise um die Welt 1774.October.den Trieb der Rache, vorzüglich, zu Abwendung aller gewaltsamen Unterdrückung. Der Wilde fühlt dieses und eignet sich selbst das Recht zu, Beleidigun- gen zu rächen, dahingegen in der bürgerlichen Gesellschaft gewissen einzelnen Personen, ausschliessenderweise, die Macht anvertraut, und zugleich die Pflicht auferlegt ist, alles Unrecht zu rügen. Indessen ist diese Art das Recht zu handhaben, auch in den gesitteten Ländern Europens, nicht immer, und nicht auf alle Fälle hinreichend. Wenn z. B. dieser Gewährsmann der öffent- lichen Ruhe, dieser allgemeine Rächer des Unrechts, seinen eignen Arm gegen die geheiligten Rechte des gemeinen Wesens aufhebt; müßen alsdenn nicht alle bürgerliche Verbindlichkeiten aufhören, muß nicht ein jeder seine eigenen natürli- chen Rechte selbst verfechten, und den Leidenschaften, als den ursprünglich ange- bohrnen Mitteln zur Selbsterhaltung wieder freyen Lauf gestatten? Eben so ereig- nen sich auch im Privatleben Fälle genug, wo dies billige, nicht zu tadelnde Gefühl der Rache (selbst in einem äusserst wohl eingerichteten Staat,) von großem Nutzen seyn kann. Giebt es nicht eine Menge von Beeinträchtigungen und Beleidigungen oder Beschimpfungen, wogegen kein Gesetz schützt? Oder wie oft geschiehet es nicht, daß die Großen, Macht und Einfluß genug haben, die Gesetze zu verdrehen, und, zum Nachtheil des unglücklichen, freundlosen Armen, zu vereiteln? Derglei- chen Fälle würden nun gewiß noch ungleich häufiger vorkommen und bald in den höchsten Grad der Gewaltthätigkeit übergehen, wenn die Furcht nicht wäre, daß der beleidigte Theil das Recht: sich und sein Eigenthum zu schützen, (wel- ches er andern anvertraut hatte) endlich einmahl in seine eigne Hände zurückneh- men mögte, so bald er nehmlich sehen muß, daß diejenigen, die hierin seine Stelle vertreten sollen, ihre Pflicht so schändlich unterlassen? Wenn ein Räuber sich an meinem Eigenthum vergreift, so darf ich nicht erst zum Richter laufen, son- dern kann, in vielen Fällen, den Bösewicht gleich auf der Stelle dafür züchtigen; auf solche Art haben Stock und Degen manchen Schurken in Furcht und Schran- ken gehalten, der dem Gesetz Trotz bieten durfte. Chi fa sua vendetta, oltra che offende ariost. Forſter’s Reiſe um die Welt 1774.October.den Trieb der Rache, vorzuͤglich, zu Abwendung aller gewaltſamen Unterdruͤckung. Der Wilde fuͤhlt dieſes und eignet ſich ſelbſt das Recht zu, Beleidigun- gen zu raͤchen, dahingegen in der buͤrgerlichen Geſellſchaft gewiſſen einzelnen Perſonen, ausſchlieſſenderweiſe, die Macht anvertraut, und zugleich die Pflicht auferlegt iſt, alles Unrecht zu ruͤgen. Indeſſen iſt dieſe Art das Recht zu handhaben, auch in den geſitteten Laͤndern Europens, nicht immer, und nicht auf alle Faͤlle hinreichend. Wenn z. B. dieſer Gewaͤhrsmann der oͤffent- lichen Ruhe, dieſer allgemeine Raͤcher des Unrechts, ſeinen eignen Arm gegen die geheiligten Rechte des gemeinen Weſens aufhebt; muͤßen alsdenn nicht alle buͤrgerliche Verbindlichkeiten aufhoͤren, muß nicht ein jeder ſeine eigenen natuͤrli- chen Rechte ſelbſt verfechten, und den Leidenſchaften, als den urſpruͤnglich ange- bohrnen Mitteln zur Selbſterhaltung wieder freyen Lauf geſtatten? Eben ſo ereig- nen ſich auch im Privatleben Faͤlle genug, wo dies billige, nicht zu tadelnde Gefuͤhl der Rache (ſelbſt in einem aͤuſſerſt wohl eingerichteten Staat,) von großem Nutzen ſeyn kann. Giebt es nicht eine Menge von Beeintraͤchtigungen und Beleidigungen oder Beſchimpfungen, wogegen kein Geſetz ſchuͤtzt? Oder wie oft geſchiehet es nicht, daß die Großen, Macht und Einfluß genug haben, die Geſetze zu verdrehen, und, zum Nachtheil des ungluͤcklichen, freundloſen Armen, zu vereiteln? Derglei- chen Faͤlle wuͤrden nun gewiß noch ungleich haͤufiger vorkommen und bald in den hoͤchſten Grad der Gewaltthaͤtigkeit uͤbergehen, wenn die Furcht nicht waͤre, daß der beleidigte Theil das Recht: ſich und ſein Eigenthum zu ſchuͤtzen, (wel- ches er andern anvertraut hatte) endlich einmahl in ſeine eigne Haͤnde zuruͤckneh- men moͤgte, ſo bald er nehmlich ſehen muß, daß diejenigen, die hierin ſeine Stelle vertreten ſollen, ihre Pflicht ſo ſchaͤndlich unterlaſſen? Wenn ein Raͤuber ſich an meinem Eigenthum vergreift, ſo darf ich nicht erſt zum Richter laufen, ſon- dern kann, in vielen Faͤllen, den Boͤſewicht gleich auf der Stelle dafuͤr zuͤchtigen; auf ſolche Art haben Stock und Degen manchen Schurken in Furcht und Schran- ken gehalten, der dem Geſetz Trotz bieten durfte. Chi fa ſua vendetta, oltra che offende ariost. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0384" n="366"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><persName>Forſter’s</persName> Reiſe um die Welt</hi></fw><lb/><note place="left">1774.<lb/> October.</note>den Trieb der Rache, vorzuͤglich, zu Abwendung aller gewaltſamen Unterdruͤckung.<lb/> Der Wilde fuͤhlt dieſes und eignet ſich ſelbſt das Recht zu, Beleidigun-<lb/> gen zu raͤchen, dahingegen in der buͤrgerlichen Geſellſchaft gewiſſen einzelnen<lb/> Perſonen, ausſchlieſſenderweiſe, die Macht anvertraut, und zugleich die Pflicht<lb/> auferlegt iſt, alles Unrecht zu ruͤgen. 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Forſter’s Reiſe um die Welt
den Trieb der Rache, vorzuͤglich, zu Abwendung aller gewaltſamen Unterdruͤckung.
Der Wilde fuͤhlt dieſes und eignet ſich ſelbſt das Recht zu, Beleidigun-
gen zu raͤchen, dahingegen in der buͤrgerlichen Geſellſchaft gewiſſen einzelnen
Perſonen, ausſchlieſſenderweiſe, die Macht anvertraut, und zugleich die Pflicht
auferlegt iſt, alles Unrecht zu ruͤgen. Indeſſen iſt dieſe Art das Recht zu
handhaben, auch in den geſitteten Laͤndern Europens, nicht immer, und
nicht auf alle Faͤlle hinreichend. Wenn z. B. dieſer Gewaͤhrsmann der oͤffent-
lichen Ruhe, dieſer allgemeine Raͤcher des Unrechts, ſeinen eignen Arm gegen
die geheiligten Rechte des gemeinen Weſens aufhebt; muͤßen alsdenn nicht alle
buͤrgerliche Verbindlichkeiten aufhoͤren, muß nicht ein jeder ſeine eigenen natuͤrli-
chen Rechte ſelbſt verfechten, und den Leidenſchaften, als den urſpruͤnglich ange-
bohrnen Mitteln zur Selbſterhaltung wieder freyen Lauf geſtatten? Eben ſo ereig-
nen ſich auch im Privatleben Faͤlle genug, wo dies billige, nicht zu tadelnde Gefuͤhl
der Rache (ſelbſt in einem aͤuſſerſt wohl eingerichteten Staat,) von großem Nutzen
ſeyn kann. Giebt es nicht eine Menge von Beeintraͤchtigungen und Beleidigungen
oder Beſchimpfungen, wogegen kein Geſetz ſchuͤtzt? Oder wie oft geſchiehet es nicht,
daß die Großen, Macht und Einfluß genug haben, die Geſetze zu verdrehen,
und, zum Nachtheil des ungluͤcklichen, freundloſen Armen, zu vereiteln? Derglei-
chen Faͤlle wuͤrden nun gewiß noch ungleich haͤufiger vorkommen und bald in
den hoͤchſten Grad der Gewaltthaͤtigkeit uͤbergehen, wenn die Furcht nicht waͤre,
daß der beleidigte Theil das Recht: ſich und ſein Eigenthum zu ſchuͤtzen, (wel-
ches er andern anvertraut hatte) endlich einmahl in ſeine eigne Haͤnde zuruͤckneh-
men moͤgte, ſo bald er nehmlich ſehen muß, daß diejenigen, die hierin ſeine
Stelle vertreten ſollen, ihre Pflicht ſo ſchaͤndlich unterlaſſen? Wenn ein Raͤuber
ſich an meinem Eigenthum vergreift, ſo darf ich nicht erſt zum Richter laufen, ſon-
dern kann, in vielen Faͤllen, den Boͤſewicht gleich auf der Stelle dafuͤr zuͤchtigen;
auf ſolche Art haben Stock und Degen manchen Schurken in Furcht und Schran-
ken gehalten, der dem Geſetz Trotz bieten durfte.
1774.
October.
Chi fa ſua vendetta, oltra che offende
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