Jenseit des Cap Noir, welches unter 54° 30' Südlicher Breite und 37° 33' westlicher Länge liegt, schien das Land mehr zusammen zu hangen, und des andern Morgens fanden wir die Küste überall fest und unge- theilt; die Berge wurden schon dicht an der See merklich höher als zuvor und waren allenthalben mit Schnee bedeckt. Der Wind nahm nach und nach ab, und erstarb gegen Mittag gänzlich, indeß, bey herrlichem Sonnenschein, die Luft ziemlich gelinde blieb. Wasservögel von mancherley Art flatterten ums Schiff und im Wasser gaukelten Seekälber umher. Nachmittags kam ein Trupp von ohngefähr dreyßig Nordkaper (Grampusses) mehrentheils paarweise, ange- schwommen, die sich, bey dem schönen Wetter, ebenfalls lustig machten. Gegen Abend entstand Ostwind, der die Nacht hindurch anhielt, am folgenden Tage aber wieder gänzlich nachließ. An diesem stürmischen Vorgebürge, dessen bloßer Nahme, seit Ansons Zeiten, allen Seeleuten zum Schrecken geworden ist, hatten wir die hestigsten Stürme, nicht aber eine so milde Witterung er- wartet. Desto mehr freute es uns, vermittelst einer ganz entgegengesetzten Er- fahrung jenem Wahn ein Ende machen zu können, denn die Wissenschaften und das menschliche Geschlecht überhaupt gewinnen unendlich viel, wenn alte einge- wurzelte Vorurtheile und Irrthümer ausgerottet werden. Das Thermometer stand heut auf 48 Grad, welches, in der Nachbarschaft so gewaltiger Schnee- Massen, für eine gelinde Temperatur der Luft gelten konnte. Die ersten Entdecker dieser Küste, nannten sie die Küste der Verwüstung (Coast of De- solation) oder die öde Küste, und diese Benennung kommt ihr mit vollem Rech- te zu. Man sieht überall nichts als ungeheure Berge, mit schroffen, Schnee- bedeckten Gipfeln! Kaum die zunächst an der See gelegnen Felsen sind davon ent- blößt, und auch alsdann noch von todtem, unfruchtbaren Ansehen, ohne Gras oder Gebüsch. Hin und wieder giebt es Buchten oder Haven innerhalb denen kleine, grün bewachsene Eylande vorhanden sind. In eine dieser Oesnungen oder Buchten liefen wir, mit Hülfe eines gelinden Ostwindes, heut gegen Abend ein. An der Westseite der Einfahrt stand eine gewaltige senkrechte Felsenmauer, die Capitain Cook, York-Münster benannte, weil er zwischen ihr und jenem gothi- schen Gebäude eine Aehnlichkeit zu finden glaubte. Sie liegt unter dem 55° 30' Südlicher Breite und 70° 28' westlicher Länge. Seitdem wir uns dicht an der
Forſter’s Reiſe um die Welt
1774. Decem- ber.
Jenſeit des Cap Noir, welches unter 54° 30′ Suͤdlicher Breite und 37° 33′ weſtlicher Laͤnge liegt, ſchien das Land mehr zuſammen zu hangen, und des andern Morgens fanden wir die Kuͤſte uͤberall feſt und unge- theilt; die Berge wurden ſchon dicht an der See merklich hoͤher als zuvor und waren allenthalben mit Schnee bedeckt. Der Wind nahm nach und nach ab, und erſtarb gegen Mittag gaͤnzlich, indeß, bey herrlichem Sonnenſchein, die Luft ziemlich gelinde blieb. Waſſervoͤgel von mancherley Art flatterten ums Schiff und im Waſſer gaukelten Seekaͤlber umher. Nachmittags kam ein Trupp von ohngefaͤhr dreyßig Nordkaper (Grampuſſes) mehrentheils paarweiſe, ange- ſchwommen, die ſich, bey dem ſchoͤnen Wetter, ebenfalls luſtig machten. Gegen Abend entſtand Oſtwind, der die Nacht hindurch anhielt, am folgenden Tage aber wieder gaͤnzlich nachließ. An dieſem ſtuͤrmiſchen Vorgebuͤrge, deſſen bloßer Nahme, ſeit Anſons Zeiten, allen Seeleuten zum Schrecken geworden iſt, hatten wir die heſtigſten Stuͤrme, nicht aber eine ſo milde Witterung er- wartet. Deſto mehr freute es uns, vermittelſt einer ganz entgegengeſetzten Er- fahrung jenem Wahn ein Ende machen zu koͤnnen, denn die Wiſſenſchaften und das menſchliche Geſchlecht uͤberhaupt gewinnen unendlich viel, wenn alte einge- wurzelte Vorurtheile und Irrthuͤmer ausgerottet werden. Das Thermometer ſtand heut auf 48 Grad, welches, in der Nachbarſchaft ſo gewaltiger Schnee- Maſſen, fuͤr eine gelinde Temperatur der Luft gelten konnte. Die erſten Entdecker dieſer Kuͤſte, nannten ſie die Kuͤſte der Verwuͤſtung (Coaſt of De- ſolation) oder die oͤde Kuͤſte, und dieſe Benennung kommt ihr mit vollem Rech- te zu. Man ſieht uͤberall nichts als ungeheure Berge, mit ſchroffen, Schnee- bedeckten Gipfeln! Kaum die zunaͤchſt an der See gelegnen Felſen ſind davon ent- bloͤßt, und auch alsdann noch von todtem, unfruchtbaren Anſehen, ohne Gras oder Gebuͤſch. Hin und wieder giebt es Buchten oder Haven innerhalb denen kleine, gruͤn bewachſene Eylande vorhanden ſind. In eine dieſer Oeſnungen oder Buchten liefen wir, mit Huͤlfe eines gelinden Oſtwindes, heut gegen Abend ein. An der Weſtſeite der Einfahrt ſtand eine gewaltige ſenkrechte Felſenmauer, die Capitain Cook, York-Muͤnſter benannte, weil er zwiſchen ihr und jenem gothi- ſchen Gebaͤude eine Aehnlichkeit zu finden glaubte. Sie liegt unter dem 55° 30′ Suͤdlicher Breite und 70° 28′ weſtlicher Laͤnge. Seitdem wir uns dicht an der
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Forſter’s Reiſe um die Welt
Jenſeit des Cap Noir, welches unter 54° 30′ Suͤdlicher Breite und
37° 33′ weſtlicher Laͤnge liegt, ſchien das Land mehr zuſammen zu hangen,
und des andern Morgens fanden wir die Kuͤſte uͤberall feſt und unge-
theilt; die Berge wurden ſchon dicht an der See merklich hoͤher als zuvor und
waren allenthalben mit Schnee bedeckt. Der Wind nahm nach und nach ab,
und erſtarb gegen Mittag gaͤnzlich, indeß, bey herrlichem Sonnenſchein, die Luft
ziemlich gelinde blieb. Waſſervoͤgel von mancherley Art flatterten ums Schiff
und im Waſſer gaukelten Seekaͤlber umher. Nachmittags kam ein Trupp von
ohngefaͤhr dreyßig Nordkaper (Grampuſſes) mehrentheils paarweiſe, ange-
ſchwommen, die ſich, bey dem ſchoͤnen Wetter, ebenfalls luſtig machten. Gegen
Abend entſtand Oſtwind, der die Nacht hindurch anhielt, am folgenden Tage
aber wieder gaͤnzlich nachließ. An dieſem ſtuͤrmiſchen Vorgebuͤrge, deſſen
bloßer Nahme, ſeit Anſons Zeiten, allen Seeleuten zum Schrecken geworden
iſt, hatten wir die heſtigſten Stuͤrme, nicht aber eine ſo milde Witterung er-
wartet. Deſto mehr freute es uns, vermittelſt einer ganz entgegengeſetzten Er-
fahrung jenem Wahn ein Ende machen zu koͤnnen, denn die Wiſſenſchaften und
das menſchliche Geſchlecht uͤberhaupt gewinnen unendlich viel, wenn alte einge-
wurzelte Vorurtheile und Irrthuͤmer ausgerottet werden. Das Thermometer
ſtand heut auf 48 Grad, welches, in der Nachbarſchaft ſo gewaltiger Schnee-
Maſſen, fuͤr eine gelinde Temperatur der Luft gelten konnte. Die erſten
Entdecker dieſer Kuͤſte, nannten ſie die Kuͤſte der Verwuͤſtung (Coaſt of De-
ſolation) oder die oͤde Kuͤſte, und dieſe Benennung kommt ihr mit vollem Rech-
te zu. Man ſieht uͤberall nichts als ungeheure Berge, mit ſchroffen, Schnee-
bedeckten Gipfeln! Kaum die zunaͤchſt an der See gelegnen Felſen ſind davon ent-
bloͤßt, und auch alsdann noch von todtem, unfruchtbaren Anſehen, ohne Gras
oder Gebuͤſch. Hin und wieder giebt es Buchten oder Haven innerhalb denen
kleine, gruͤn bewachſene Eylande vorhanden ſind. In eine dieſer Oeſnungen oder
Buchten liefen wir, mit Huͤlfe eines gelinden Oſtwindes, heut gegen Abend ein.
An der Weſtſeite der Einfahrt ſtand eine gewaltige ſenkrechte Felſenmauer, die
Capitain Cook, York-Muͤnſter benannte, weil er zwiſchen ihr und jenem gothi-
ſchen Gebaͤude eine Aehnlichkeit zu finden glaubte. Sie liegt unter dem 55° 30′
Suͤdlicher Breite und 70° 28′ weſtlicher Laͤnge. Seitdem wir uns dicht an der
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/400>, abgerufen am 24.11.2024.
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