Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

in den Jahren 1772 bis 1775.
im Jahr 1624 ins Süd-Meer führte, behaupten, daß die an den südlichen1774.
Decem-
ber.

Küsten von Tierra del Fuego, wohnenden Indianer, würkliche Menschen-
fresser sind, die einander, nicht etwa bloß aus Hunger, sondern auch so oft
sie sich eine gute Mahlzeit machen wollten, umbringen. *) Sollte diese gräß-
liche Gewohnheit irgendwo aus würklichen Mangel an Lebensmitteln statt finden,
so könnte sie höchstens bey einer kleinen Anzahl unglücklicher Menschen entstan-
den seyn, die aus ihrer fruchtbaren Heymath in die äußersten wüsten Enden
der Erde wären vertrieben worden. Ein solcher Stamm würde aber unmög-
lich lange bestehen können.

Die armen Pescherähs verließen uns gegen Mittag, und ruderten so
langsam und stillschweigend fort, wie sie angekommen waren. Das Seevolk,
sehr erfreut, daß das Schif sicher vor Anker lag, hatte schon den vorigen Abend
angefangen, das Weynachtsfest zu feyern, und fuhr fort zween Tage lang ohne
Unterlaß zu schwelgen. Sie machtens so arg, daß Capitain Cook endlich den
größten Theil in ein Boot laden, und an Land setzen ließ, damit sie in der fri-
schen Luft desto eher wieder nüchtern würden.

Am 27sten des Morgens, bemannte der Capitain ein Boot mit etlichen
noch halb-berauschten Matrosen, und fuhr nebst meinem Vater und Dr. Sparr-
mann
nach demselben Eiland, wo er am 24sten so gute Jagd gehabt. Er
brachte am Abend eine Anzahl Gänse und andres Geflügel zurück, die gebraten,
und zu unsrer bevorstehenden Abreise auf bewahret wurden. Die Einwohner
kamen unterdessen wieder am Bord, doch hielten sie sich nicht lange auf, weil
wir, ihres unleidlichen Gestanks wegen, uns nichts mit ihnen zu schaffen mach-
ten. Sie riefen ihr Losungswort Pescheräh manchmal mit einer so kläglichen
Stimme, und so gedehnt aus, daß wir glaubten, sie wollten damit betteln,
wenn wir sie aber darauf ansahen, so war in ihren Mienen nicht die geringste Be-
stätigung dieser Vermuthung, nichts begehrendes, nichts als das unbedeutende
Angaffen der tiefsten Dummheit ausgedrückt.

Nachdem wir neuen Vorrath von frischem Wasser und Brennholz einge-
laden, so nahmen wir auch die Zelte an Bord, und segelten am 28ten des Mor-

*) Reeneil des voyages, qui ont servi a l' etablissement de la Compagnie des Indes
orientales Amsterd, 1705. Vol. IV. p.
702.
D d d 3

in den Jahren 1772 bis 1775.
im Jahr 1624 ins Suͤd-Meer fuͤhrte, behaupten, daß die an den ſuͤdlichen1774.
Decem-
ber.

Kuͤſten von Tierra del Fuego, wohnenden Indianer, wuͤrkliche Menſchen-
freſſer ſind, die einander, nicht etwa bloß aus Hunger, ſondern auch ſo oft
ſie ſich eine gute Mahlzeit machen wollten, umbringen. *) Sollte dieſe graͤß-
liche Gewohnheit irgendwo aus wuͤrklichen Mangel an Lebensmitteln ſtatt finden,
ſo koͤnnte ſie hoͤchſtens bey einer kleinen Anzahl ungluͤcklicher Menſchen entſtan-
den ſeyn, die aus ihrer fruchtbaren Heymath in die aͤußerſten wuͤſten Enden
der Erde waͤren vertrieben worden. Ein ſolcher Stamm wuͤrde aber unmoͤg-
lich lange beſtehen koͤnnen.

Die armen Peſcheraͤhs verließen uns gegen Mittag, und ruderten ſo
langſam und ſtillſchweigend fort, wie ſie angekommen waren. Das Seevolk,
ſehr erfreut, daß das Schif ſicher vor Anker lag, hatte ſchon den vorigen Abend
angefangen, das Weynachtsfeſt zu feyern, und fuhr fort zween Tage lang ohne
Unterlaß zu ſchwelgen. Sie machtens ſo arg, daß Capitain Cook endlich den
groͤßten Theil in ein Boot laden, und an Land ſetzen ließ, damit ſie in der fri-
ſchen Luft deſto eher wieder nuͤchtern wuͤrden.

Am 27ſten des Morgens, bemannte der Capitain ein Boot mit etlichen
noch halb-berauſchten Matroſen, und fuhr nebſt meinem Vater und Dr. Sparr-
mann
nach demſelben Eiland, wo er am 24ſten ſo gute Jagd gehabt. Er
brachte am Abend eine Anzahl Gaͤnſe und andres Gefluͤgel zuruͤck, die gebraten,
und zu unſrer bevorſtehenden Abreiſe auf bewahret wurden. Die Einwohner
kamen unterdeſſen wieder am Bord, doch hielten ſie ſich nicht lange auf, weil
wir, ihres unleidlichen Geſtanks wegen, uns nichts mit ihnen zu ſchaffen mach-
ten. Sie riefen ihr Loſungswort Peſcheraͤh manchmal mit einer ſo klaͤglichen
Stimme, und ſo gedehnt aus, daß wir glaubten, ſie wollten damit betteln,
wenn wir ſie aber darauf anſahen, ſo war in ihren Mienen nicht die geringſte Be-
ſtaͤtigung dieſer Vermuthung, nichts begehrendes, nichts als das unbedeutende
Angaffen der tiefſten Dummheit ausgedruͤckt.

Nachdem wir neuen Vorrath von friſchem Waſſer und Brennholz einge-
laden, ſo nahmen wir auch die Zelte an Bord, und ſegelten am 28ten des Mor-

*) Reeneil des voyages, qui ont ſervi à l’ etabliſſement de la Compagnie des Indes
orientales Amſterd, 1705. Vol. IV. p.
702.
D d d 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0415" n="397"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">in den Jahren 1772 bis 1775.</hi></fw><lb/>
im Jahr 1624 ins <placeName>Su&#x0364;d-Meer</placeName> fu&#x0364;hrte, behaupten, daß die an <choice><sic>der</sic><corr>den</corr></choice> &#x017F;u&#x0364;dlichen<note place="right">1774.<lb/>
Decem-<lb/>
ber.</note><lb/>
Ku&#x0364;&#x017F;ten von <hi rendition="#fr"><placeName>Tierra del Fuego</placeName></hi>, wohnenden Indianer, wu&#x0364;rkliche Men&#x017F;chen-<lb/>
fre&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ind, die einander, nicht etwa bloß aus Hunger, &#x017F;ondern auch &#x017F;o oft<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich eine gute Mahlzeit machen wollten, umbringen. <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Reeneil des voyages, qui ont &#x017F;ervi à l&#x2019; etabli&#x017F;&#x017F;ement de la Compagnie des Indes<lb/>
orientales <placeName>Am&#x017F;terd</placeName>, 1705. Vol. IV. p.</hi> 702.</note> Sollte die&#x017F;e gra&#x0364;ß-<lb/>
liche Gewohnheit irgendwo aus wu&#x0364;rklichen Mangel an <choice><sic>Lebensmittel</sic><corr>Lebensmitteln</corr></choice> &#x017F;tatt finden,<lb/>
&#x017F;o ko&#x0364;nnte &#x017F;ie ho&#x0364;ch&#x017F;tens bey einer kleinen Anzahl unglu&#x0364;cklicher Men&#x017F;chen ent&#x017F;tan-<lb/>
den &#x017F;eyn, die aus ihrer fruchtbaren Heymath in die a&#x0364;ußer&#x017F;ten wu&#x0364;&#x017F;ten Enden<lb/>
der Erde wa&#x0364;ren vertrieben worden. Ein &#x017F;olcher Stamm wu&#x0364;rde aber unmo&#x0364;g-<lb/>
lich lange be&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
        <p>Die armen <hi rendition="#fr">Pe&#x017F;chera&#x0364;hs</hi> verließen uns gegen Mittag, und ruderten &#x017F;o<lb/>
lang&#x017F;am und &#x017F;till&#x017F;chweigend fort, wie &#x017F;ie angekommen waren. Das Seevolk,<lb/>
&#x017F;ehr erfreut, daß das Schif &#x017F;icher vor Anker lag, hatte &#x017F;chon den vorigen Abend<lb/>
angefangen, das Weynachtsfe&#x017F;t zu feyern, und fuhr fort zween Tage lang ohne<lb/>
Unterlaß zu &#x017F;chwelgen. Sie machtens &#x017F;o arg, daß Capitain <hi rendition="#fr"><persName>Cook</persName></hi> endlich den<lb/>
gro&#x0364;ßten Theil in ein Boot laden, und an Land &#x017F;etzen ließ, damit &#x017F;ie in der fri-<lb/>
&#x017F;chen Luft de&#x017F;to eher wieder nu&#x0364;chtern wu&#x0364;rden.</p><lb/>
        <p>Am 27&#x017F;ten des Morgens, bemannte der Capitain ein Boot mit etlichen<lb/>
noch halb-berau&#x017F;chten Matro&#x017F;en, und fuhr neb&#x017F;t meinem Vater und Dr. <hi rendition="#fr"><persName>Sparr-<lb/>
mann</persName></hi> nach dem&#x017F;elben Eiland, wo er am 24&#x017F;ten &#x017F;o gute Jagd gehabt. Er<lb/>
brachte am Abend eine Anzahl Ga&#x0364;n&#x017F;e und andres Geflu&#x0364;gel zuru&#x0364;ck, die gebraten,<lb/>
und zu un&#x017F;rer bevor&#x017F;tehenden Abrei&#x017F;e auf bewahret wurden. Die Einwohner<lb/>
kamen unterde&#x017F;&#x017F;en wieder am Bord, doch hielten &#x017F;ie &#x017F;ich nicht lange auf, weil<lb/>
wir, ihres unleidlichen Ge&#x017F;tanks wegen, uns nichts mit ihnen zu &#x017F;chaffen mach-<lb/>
ten. Sie riefen ihr Lo&#x017F;ungswort <hi rendition="#fr">Pe&#x017F;chera&#x0364;h</hi> manchmal mit einer &#x017F;o kla&#x0364;glichen<lb/>
Stimme, und &#x017F;o gedehnt aus, daß wir glaubten, &#x017F;ie wollten damit betteln,<lb/>
wenn wir &#x017F;ie aber darauf an&#x017F;ahen, &#x017F;o war in ihren Mienen nicht die gering&#x017F;te Be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;tigung die&#x017F;er Vermuthung, nichts begehrendes, nichts als das unbedeutende<lb/>
Angaffen der tief&#x017F;ten Dummheit ausgedru&#x0364;ckt.</p><lb/>
        <p>Nachdem wir neuen Vorrath von fri&#x017F;chem Wa&#x017F;&#x017F;er und Brennholz einge-<lb/>
laden, &#x017F;o nahmen wir auch die Zelte an Bord, und &#x017F;egelten am 28ten des Mor-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D d d 3</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0415] in den Jahren 1772 bis 1775. im Jahr 1624 ins Suͤd-Meer fuͤhrte, behaupten, daß die an den ſuͤdlichen Kuͤſten von Tierra del Fuego, wohnenden Indianer, wuͤrkliche Menſchen- freſſer ſind, die einander, nicht etwa bloß aus Hunger, ſondern auch ſo oft ſie ſich eine gute Mahlzeit machen wollten, umbringen. *) Sollte dieſe graͤß- liche Gewohnheit irgendwo aus wuͤrklichen Mangel an Lebensmitteln ſtatt finden, ſo koͤnnte ſie hoͤchſtens bey einer kleinen Anzahl ungluͤcklicher Menſchen entſtan- den ſeyn, die aus ihrer fruchtbaren Heymath in die aͤußerſten wuͤſten Enden der Erde waͤren vertrieben worden. Ein ſolcher Stamm wuͤrde aber unmoͤg- lich lange beſtehen koͤnnen. 1774. Decem- ber. Die armen Peſcheraͤhs verließen uns gegen Mittag, und ruderten ſo langſam und ſtillſchweigend fort, wie ſie angekommen waren. Das Seevolk, ſehr erfreut, daß das Schif ſicher vor Anker lag, hatte ſchon den vorigen Abend angefangen, das Weynachtsfeſt zu feyern, und fuhr fort zween Tage lang ohne Unterlaß zu ſchwelgen. Sie machtens ſo arg, daß Capitain Cook endlich den groͤßten Theil in ein Boot laden, und an Land ſetzen ließ, damit ſie in der fri- ſchen Luft deſto eher wieder nuͤchtern wuͤrden. Am 27ſten des Morgens, bemannte der Capitain ein Boot mit etlichen noch halb-berauſchten Matroſen, und fuhr nebſt meinem Vater und Dr. Sparr- mann nach demſelben Eiland, wo er am 24ſten ſo gute Jagd gehabt. Er brachte am Abend eine Anzahl Gaͤnſe und andres Gefluͤgel zuruͤck, die gebraten, und zu unſrer bevorſtehenden Abreiſe auf bewahret wurden. Die Einwohner kamen unterdeſſen wieder am Bord, doch hielten ſie ſich nicht lange auf, weil wir, ihres unleidlichen Geſtanks wegen, uns nichts mit ihnen zu ſchaffen mach- ten. Sie riefen ihr Loſungswort Peſcheraͤh manchmal mit einer ſo klaͤglichen Stimme, und ſo gedehnt aus, daß wir glaubten, ſie wollten damit betteln, wenn wir ſie aber darauf anſahen, ſo war in ihren Mienen nicht die geringſte Be- ſtaͤtigung dieſer Vermuthung, nichts begehrendes, nichts als das unbedeutende Angaffen der tiefſten Dummheit ausgedruͤckt. Nachdem wir neuen Vorrath von friſchem Waſſer und Brennholz einge- laden, ſo nahmen wir auch die Zelte an Bord, und ſegelten am 28ten des Mor- *) Reeneil des voyages, qui ont ſervi à l’ etabliſſement de la Compagnie des Indes orientales Amſterd, 1705. Vol. IV. p. 702. D d d 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/415
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/415>, abgerufen am 25.11.2024.