Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.Forster's Reise um die Welt 1774.April.Matten von Tongatabu, die doch im Grunde den ihrigen völlig ähnlich waren. Un- sre Matrosen machten sich das zu Nutze und hintergiengen sie oft, indem sie ih- nen unter einem andern Nahmen, Matten verkauften, die entweder hier auf der Stelle, oder höchstens auf den andern Societäts-Inseln, eingehandelt waren. Es herrscht also eine große Aehnlichkeit unter den Neigungen der Menschen, vor- nemlich aber bey denenjenigen Völkern, die nicht zu den ganz ungesitteten gehören, Diese Aehnlichkeit äußerte sich noch deutlicher durch die Begierde, womit sie die Erzählungen ihres jungen gereiseten Landsmannes anhörten. Wo er sich nur bli- cken ließ, da drängten sich die Leute haufenweise um ihn her. Die Aeltesten schätz- ten ihn am mehresten und die Vornehmen, selbst die von der königlichen Familie, be- warben sich um seine Gesellschaft. Außer dem Vergnügen ihn zu hören, hatten sie auch den Vortheil, allerhand artige Geschenke zu bekommen, die ihnen selten mehr, als ein Paar gute Worte kosteten. Auf diese Art brachte er seine Zeit am Lande so vergnügt hin, daß wir ihn fast gar nicht am Bord zu sehen bekamen, ausgenommen, wenn er sich etwa dies oder jenes ausbitten, oder das Schiff seinen Bekannten zeigen, und sie bey dem Capitain und anderen von unserer Schiffsgesellschaft einführen wollte. Mit unter kamen seine Erzählungen den Zuhörern so wunderbar vor, daß sie nicht sel- ten für nöthig erachteten, sich der Bestätigung wegen, an uns zu wenden. Der versteinerte Regen, die dichten weißen Felsen und Berge, die in süßes Wasser zerschmolzen, und der immerwährende Tag in der Gegend um den Pol, waren Ar- tikel, von deren Glaubwürdigkeit wir selbst sie nicht genugsam überzeugen konnten. Daß es in Neu-Seeland Menschenfresser gebe, fand eher Glauben; doch konn- ten sie nie anders als mit Furcht und Grausen davon sprechen hören. Zu dieser Beobachtung gab mir Maheine Anlaß, indem er heute, eine ganze Par- thie Leute an Bord brachte, die blos in der Absicht kamen, den Kopf des Neu-Seeländischen Jünglings zu sehen, den Herr Pickersgill in Weingeist aufbewahrt hatte. Er ward ihnen in meiner Gegenwart vorgezeigt, und es schien mir sonderbar, daß sie für diesen Kopf eine eigne Benennung hatten. Sie nannten ihn durchgängig Te-Tae-ai, welches so viel, als Mann-Esser, zu bedeuten scheint. Durch Nachfragen bey den vornehmsten und verständigsten Leuten erfuhr ich, es sey eine alte Sage unter ihnen, daß vor undenklichen Zeiten sich Menschenfresser auf der Insel gefunden, die unter den Einwohnern Forſter’s Reiſe um die Welt 1774.April.Matten von Tongatabu, die doch im Grunde den ihrigen voͤllig aͤhnlich waren. Un- ſre Matroſen machten ſich das zu Nutze und hintergiengen ſie oft, indem ſie ih- nen unter einem andern Nahmen, Matten verkauften, die entweder hier auf der Stelle, oder hoͤchſtens auf den andern Societaͤts-Inſeln, eingehandelt waren. Es herrſcht alſo eine große Aehnlichkeit unter den Neigungen der Menſchen, vor- nemlich aber bey denenjenigen Voͤlkern, die nicht zu den ganz ungeſitteten gehoͤren, Dieſe Aehnlichkeit aͤußerte ſich noch deutlicher durch die Begierde, womit ſie die Erzaͤhlungen ihres jungen gereiſeten Landsmannes anhoͤrten. Wo er ſich nur bli- cken ließ, da draͤngten ſich die Leute haufenweiſe um ihn her. Die Aelteſten ſchaͤtz- ten ihn am mehreſten und die Vornehmen, ſelbſt die von der koͤniglichen Familie, be- warben ſich um ſeine Geſellſchaft. Außer dem Vergnuͤgen ihn zu hoͤren, hatten ſie auch den Vortheil, allerhand artige Geſchenke zu bekommen, die ihnen ſelten mehr, als ein Paar gute Worte koſteten. Auf dieſe Art brachte er ſeine Zeit am Lande ſo vergnuͤgt hin, daß wir ihn faſt gar nicht am Bord zu ſehen bekamen, ausgenommen, wenn er ſich etwa dies oder jenes ausbitten, oder das Schiff ſeinen Bekannten zeigen, und ſie bey dem Capitain und anderen von unſerer Schiffsgeſellſchaft einfuͤhren wollte. Mit unter kamen ſeine Erzaͤhlungen den Zuhoͤrern ſo wunderbar vor, daß ſie nicht ſel- ten fuͤr noͤthig erachteten, ſich der Beſtaͤtigung wegen, an uns zu wenden. Der verſteinerte Regen, die dichten weißen Felſen und Berge, die in ſuͤßes Waſſer zerſchmolzen, und der immerwaͤhrende Tag in der Gegend um den Pol, waren Ar- tikel, von deren Glaubwuͤrdigkeit wir ſelbſt ſie nicht genugſam uͤberzeugen konnten. Daß es in Neu-Seeland Menſchenfreſſer gebe, fand eher Glauben; doch konn- ten ſie nie anders als mit Furcht und Grauſen davon ſprechen hoͤren. Zu dieſer Beobachtung gab mir Maheine Anlaß, indem er heute, eine ganze Par- thie Leute an Bord brachte, die blos in der Abſicht kamen, den Kopf des Neu-Seelaͤndiſchen Juͤnglings zu ſehen, den Herr Pickersgill in Weingeiſt aufbewahrt hatte. Er ward ihnen in meiner Gegenwart vorgezeigt, und es ſchien mir ſonderbar, daß ſie fuͤr dieſen Kopf eine eigne Benennung hatten. Sie nannten ihn durchgaͤngig Te-Tae-ai, welches ſo viel, als Mann-Eſſer, zu bedeuten ſcheint. Durch Nachfragen bey den vornehmſten und verſtaͤndigſten Leuten erfuhr ich, es ſey eine alte Sage unter ihnen, daß vor undenklichen Zeiten ſich Menſchenfreſſer auf der Inſel gefunden, die unter den Einwohnern <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0070" n="58"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><persName>Forſter’s</persName> Reiſe um die Welt</hi></fw><lb/><note place="left">1774.<lb/> April.</note>Matten von <hi rendition="#fr"><placeName>Tongatabu</placeName></hi>, die doch im Grunde den ihrigen voͤllig aͤhnlich waren. Un-<lb/> ſre Matroſen machten ſich das zu Nutze und hintergiengen ſie oft, indem ſie ih-<lb/> nen unter einem andern Nahmen, Matten verkauften, die entweder hier auf der<lb/> Stelle, oder hoͤchſtens auf den andern <placeName>Societaͤts-Inſeln</placeName>, eingehandelt waren. Es<lb/> herrſcht alſo eine große Aehnlichkeit unter den Neigungen der Menſchen, vor-<lb/> nemlich aber bey denenjenigen Voͤlkern, die nicht zu den ganz ungeſitteten gehoͤren,<lb/> Dieſe Aehnlichkeit aͤußerte ſich noch deutlicher durch die Begierde, womit ſie die<lb/> Erzaͤhlungen ihres jungen gereiſeten Landsmannes anhoͤrten. Wo er ſich nur bli-<lb/> cken ließ, da draͤngten ſich die Leute haufenweiſe um ihn her. Die Aelteſten ſchaͤtz-<lb/> ten ihn am mehreſten und die Vornehmen, ſelbſt die von der koͤniglichen Familie, be-<lb/> warben ſich um ſeine Geſellſchaft. Außer dem Vergnuͤgen ihn zu hoͤren, hatten ſie auch<lb/> den Vortheil, allerhand artige Geſchenke zu bekommen, die ihnen ſelten mehr, als ein<lb/> Paar gute Worte koſteten. Auf dieſe Art brachte er ſeine Zeit am Lande ſo vergnuͤgt hin,<lb/> daß wir ihn faſt gar nicht am Bord zu ſehen bekamen, ausgenommen, wenn er ſich<lb/> etwa dies oder jenes ausbitten, oder das Schiff ſeinen Bekannten zeigen, und ſie bey<lb/> dem Capitain und anderen von unſerer Schiffsgeſellſchaft einfuͤhren wollte. Mit<lb/> unter kamen ſeine Erzaͤhlungen den Zuhoͤrern ſo wunderbar vor, daß ſie nicht ſel-<lb/> ten fuͤr noͤthig erachteten, ſich der Beſtaͤtigung wegen, an uns zu wenden. Der<lb/><hi rendition="#fr">verſteinerte Regen</hi>, die dichten weißen Felſen und Berge, die in ſuͤßes Waſſer<lb/> zerſchmolzen, und der immerwaͤhrende Tag in der Gegend um den Pol, waren Ar-<lb/> tikel, von deren Glaubwuͤrdigkeit wir ſelbſt ſie nicht genugſam uͤberzeugen konnten.<lb/> Daß es in <placeName>Neu-Seeland</placeName> Menſchenfreſſer gebe, fand eher Glauben; doch konn-<lb/> ten ſie nie anders als mit Furcht und Grauſen davon ſprechen hoͤren. Zu dieſer<lb/> Beobachtung gab mir <hi rendition="#fr"><persName>Maheine</persName></hi> Anlaß, indem er heute, eine ganze Par-<lb/> thie Leute an Bord brachte, die blos in der Abſicht kamen, den Kopf des<lb/> Neu-Seelaͤndiſchen Juͤnglings zu ſehen, den Herr <hi rendition="#fr"><persName>Pickersgill</persName></hi> in Weingeiſt<lb/> aufbewahrt hatte. Er ward ihnen in meiner Gegenwart vorgezeigt, und es<lb/> ſchien mir ſonderbar, daß ſie fuͤr dieſen Kopf eine eigne Benennung hatten.<lb/> Sie nannten ihn durchgaͤngig <hi rendition="#fr">Te-Tae-ai</hi>, welches ſo viel, als <hi rendition="#fr">Mann-Eſſer</hi>,<lb/> zu bedeuten ſcheint. Durch Nachfragen bey den vornehmſten und verſtaͤndigſten<lb/> Leuten erfuhr ich, es ſey eine alte Sage unter ihnen, daß vor undenklichen<lb/> Zeiten ſich Menſchenfreſſer auf der Inſel gefunden, die unter den Einwohnern<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [58/0070]
Forſter’s Reiſe um die Welt
Matten von Tongatabu, die doch im Grunde den ihrigen voͤllig aͤhnlich waren. Un-
ſre Matroſen machten ſich das zu Nutze und hintergiengen ſie oft, indem ſie ih-
nen unter einem andern Nahmen, Matten verkauften, die entweder hier auf der
Stelle, oder hoͤchſtens auf den andern Societaͤts-Inſeln, eingehandelt waren. Es
herrſcht alſo eine große Aehnlichkeit unter den Neigungen der Menſchen, vor-
nemlich aber bey denenjenigen Voͤlkern, die nicht zu den ganz ungeſitteten gehoͤren,
Dieſe Aehnlichkeit aͤußerte ſich noch deutlicher durch die Begierde, womit ſie die
Erzaͤhlungen ihres jungen gereiſeten Landsmannes anhoͤrten. Wo er ſich nur bli-
cken ließ, da draͤngten ſich die Leute haufenweiſe um ihn her. Die Aelteſten ſchaͤtz-
ten ihn am mehreſten und die Vornehmen, ſelbſt die von der koͤniglichen Familie, be-
warben ſich um ſeine Geſellſchaft. Außer dem Vergnuͤgen ihn zu hoͤren, hatten ſie auch
den Vortheil, allerhand artige Geſchenke zu bekommen, die ihnen ſelten mehr, als ein
Paar gute Worte koſteten. Auf dieſe Art brachte er ſeine Zeit am Lande ſo vergnuͤgt hin,
daß wir ihn faſt gar nicht am Bord zu ſehen bekamen, ausgenommen, wenn er ſich
etwa dies oder jenes ausbitten, oder das Schiff ſeinen Bekannten zeigen, und ſie bey
dem Capitain und anderen von unſerer Schiffsgeſellſchaft einfuͤhren wollte. Mit
unter kamen ſeine Erzaͤhlungen den Zuhoͤrern ſo wunderbar vor, daß ſie nicht ſel-
ten fuͤr noͤthig erachteten, ſich der Beſtaͤtigung wegen, an uns zu wenden. Der
verſteinerte Regen, die dichten weißen Felſen und Berge, die in ſuͤßes Waſſer
zerſchmolzen, und der immerwaͤhrende Tag in der Gegend um den Pol, waren Ar-
tikel, von deren Glaubwuͤrdigkeit wir ſelbſt ſie nicht genugſam uͤberzeugen konnten.
Daß es in Neu-Seeland Menſchenfreſſer gebe, fand eher Glauben; doch konn-
ten ſie nie anders als mit Furcht und Grauſen davon ſprechen hoͤren. Zu dieſer
Beobachtung gab mir Maheine Anlaß, indem er heute, eine ganze Par-
thie Leute an Bord brachte, die blos in der Abſicht kamen, den Kopf des
Neu-Seelaͤndiſchen Juͤnglings zu ſehen, den Herr Pickersgill in Weingeiſt
aufbewahrt hatte. Er ward ihnen in meiner Gegenwart vorgezeigt, und es
ſchien mir ſonderbar, daß ſie fuͤr dieſen Kopf eine eigne Benennung hatten.
Sie nannten ihn durchgaͤngig Te-Tae-ai, welches ſo viel, als Mann-Eſſer,
zu bedeuten ſcheint. Durch Nachfragen bey den vornehmſten und verſtaͤndigſten
Leuten erfuhr ich, es ſey eine alte Sage unter ihnen, daß vor undenklichen
Zeiten ſich Menſchenfreſſer auf der Inſel gefunden, die unter den Einwohnern
1774.
April.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |