Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.in den Jahren 1772 bis 1775. wurde, so gut es übrigens gemeynet war. Unmittelbar nach dem Mit-1774.May. tags-Essen hoben wir den Anker und giengen unter Seegel. O-Tuh bat den Capitain, daß er einige Kanonen abfeuern mögte und hielt bis auf den letzten Mann bey uns aus. Als seine Unterthanen alle fort waren, nahm auch Er Abschied, und umarmte uns, einen nach dem andern, recht herzlich. Das be- täubende Getöse der Kanonen hinderte uns gewissermaßen in jene Art von Trau- rigkeit zu sinken, die bey solchen Gelegenheiten wohl zu erfolgen pflegt, oder der sanften Wehmuth nachzuhängen, zu der wir, bey der Trennung von diesem unschuldigen, gutgesinnten, sanften Volke berechtigt waren. Einer unserer Seeleute suchte sich diese unruhigen Augenblicke zu Nutze zu machen, um un- bemerkt nach der Insel zu entwischen. Man ward ihn aber gewahr, als er darnach hinschwamm und sahe zugleich einige Canots herbeyrudern, die ihn vermuthlich aufnehmen wollten; der Capitain ließ ihm also gleich durch eins von unsern Booten nachsetzen, ihn mit Gewalt zurückbringen und zur Strafe für diesen Ver- such vierzehn Tage lang in Ketten legen. Allem Anschein nach, war die Sache zwischen ihm und den Insulanern förmlich verabredet; denn sie hätten vielleicht eben so viel Nutzen davon gehabt, einen Europäer unter sich zu be- halten, als dieser gefunden haben würde, unter ihnen zu bleiben. Wenn man erwägt, wie groß der Unterschied ist, der zwischen der Lebensart eines gemeinen Matrosen am Bord unsers Schiffes, und dem Zustande eines Be- wohners dieser Insel statt findet; so läßt sich leicht einsehen, daß es jenem nicht zu verdenken war, wenn er einen Versuch wagte, den unzählbaren Müh- seligkeiten einer Reise um die Welt zu entgehen, und wenn er, statt der mancher- ley Unglücksfälle die ihm zur See droheten, ein gemächliches, sorgenfreyes Leben in dem herrlichsten Clima von der Welt, zu ergreifen wünschte. Das höchste Glück, welches er vielleicht in Engelland hätte erreichen können, ver- sprach ihm lange nicht so viel Annehmlichkeiten, als er, bey der bescheidenen Hoffnung, nur so glücklich als ein ganz gemeiner Tahitier zu leben, vor sich sahe. Er durfte sich nicht schmeicheln, bey seiner Zurückkunft nach England von den Mühseligkeiten der Reise um die Welt in Frieden ausruhen zu können, sondern mußte sich vielmehr gefaßt machen, sogleich wieder auf ein andres Schiff abgegeben zu werden, und bey eben so ungesunder, elender Kost, eben L 2
in den Jahren 1772 bis 1775. wurde, ſo gut es uͤbrigens gemeynet war. Unmittelbar nach dem Mit-1774.May. tags-Eſſen hoben wir den Anker und giengen unter Seegel. O-Tuh bat den Capitain, daß er einige Kanonen abfeuern moͤgte und hielt bis auf den letzten Mann bey uns aus. Als ſeine Unterthanen alle fort waren, nahm auch Er Abſchied, und umarmte uns, einen nach dem andern, recht herzlich. Das be- taͤubende Getoͤſe der Kanonen hinderte uns gewiſſermaßen in jene Art von Trau- rigkeit zu ſinken, die bey ſolchen Gelegenheiten wohl zu erfolgen pflegt, oder der ſanften Wehmuth nachzuhaͤngen, zu der wir, bey der Trennung von dieſem unſchuldigen, gutgeſinnten, ſanften Volke berechtigt waren. Einer unſerer Seeleute ſuchte ſich dieſe unruhigen Augenblicke zu Nutze zu machen, um un- bemerkt nach der Inſel zu entwiſchen. Man ward ihn aber gewahr, als er darnach hinſchwamm und ſahe zugleich einige Canots herbeyrudern, die ihn vermuthlich aufnehmen wollten; der Capitain ließ ihm alſo gleich durch eins von unſern Booten nachſetzen, ihn mit Gewalt zuruͤckbringen und zur Strafe fuͤr dieſen Ver- ſuch vierzehn Tage lang in Ketten legen. Allem Anſchein nach, war die Sache zwiſchen ihm und den Inſulanern foͤrmlich verabredet; denn ſie haͤtten vielleicht eben ſo viel Nutzen davon gehabt, einen Europaͤer unter ſich zu be- halten, als dieſer gefunden haben wuͤrde, unter ihnen zu bleiben. Wenn man erwaͤgt, wie groß der Unterſchied iſt, der zwiſchen der Lebensart eines gemeinen Matroſen am Bord unſers Schiffes, und dem Zuſtande eines Be- wohners dieſer Inſel ſtatt findet; ſo laͤßt ſich leicht einſehen, daß es jenem nicht zu verdenken war, wenn er einen Verſuch wagte, den unzaͤhlbaren Muͤh- ſeligkeiten einer Reiſe um die Welt zu entgehen, und wenn er, ſtatt der mancher- ley Ungluͤcksfaͤlle die ihm zur See droheten, ein gemaͤchliches, ſorgenfreyes Leben in dem herrlichſten Clima von der Welt, zu ergreifen wuͤnſchte. Das hoͤchſte Gluͤck, welches er vielleicht in Engelland haͤtte erreichen koͤnnen, ver- ſprach ihm lange nicht ſo viel Annehmlichkeiten, als er, bey der beſcheidenen Hoffnung, nur ſo gluͤcklich als ein ganz gemeiner Tahitier zu leben, vor ſich ſahe. Er durfte ſich nicht ſchmeicheln, bey ſeiner Zuruͤckkunft nach England von den Muͤhſeligkeiten der Reiſe um die Welt in Frieden ausruhen zu koͤnnen, ſondern mußte ſich vielmehr gefaßt machen, ſogleich wieder auf ein andres Schiff abgegeben zu werden, und bey eben ſo ungeſunder, elender Koſt, eben L 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0095" n="83"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">in den Jahren 1772 bis 1775.</hi></fw><lb/> wurde, ſo gut es uͤbrigens gemeynet war. Unmittelbar nach dem Mit-<note place="right">1774.<lb/> May.</note><lb/> tags-Eſſen hoben wir den Anker und giengen unter Seegel. <hi rendition="#fr"><persName>O-Tuh</persName></hi> bat den<lb/> Capitain, daß er einige Kanonen abfeuern moͤgte und hielt bis auf den letzten<lb/> Mann bey uns aus. Als ſeine Unterthanen alle fort waren, nahm auch Er<lb/> Abſchied, und umarmte uns, einen nach dem andern, recht herzlich. Das be-<lb/> taͤubende Getoͤſe der Kanonen hinderte uns gewiſſermaßen in jene Art von Trau-<lb/> rigkeit zu ſinken, die bey ſolchen Gelegenheiten wohl zu erfolgen pflegt, oder der<lb/> ſanften Wehmuth nachzuhaͤngen, zu der wir, bey der Trennung von dieſem<lb/> unſchuldigen, gutgeſinnten, ſanften Volke berechtigt waren. Einer unſerer<lb/> Seeleute ſuchte ſich dieſe unruhigen Augenblicke zu Nutze zu machen, um un-<lb/> bemerkt nach der Inſel zu entwiſchen. Man ward ihn aber gewahr, als er darnach<lb/> hinſchwamm und ſahe zugleich einige Canots herbeyrudern, die ihn vermuthlich<lb/> aufnehmen wollten; der Capitain ließ ihm alſo gleich durch eins von unſern<lb/> Booten nachſetzen, ihn mit Gewalt zuruͤckbringen und zur Strafe fuͤr dieſen Ver-<lb/> ſuch vierzehn Tage lang in Ketten legen. Allem Anſchein nach, war die<lb/> Sache zwiſchen ihm und den Inſulanern foͤrmlich verabredet; denn ſie haͤtten<lb/> vielleicht eben ſo viel Nutzen davon gehabt, einen Europaͤer unter ſich zu be-<lb/> halten, als dieſer gefunden haben wuͤrde, unter <hi rendition="#fr">ihnen</hi> zu bleiben. Wenn<lb/> man erwaͤgt, wie groß der Unterſchied iſt, der zwiſchen der Lebensart eines<lb/> gemeinen Matroſen am Bord unſers Schiffes, und dem Zuſtande eines Be-<lb/> wohners dieſer Inſel ſtatt findet; ſo laͤßt ſich leicht einſehen, daß es jenem<lb/> nicht zu verdenken war, wenn er einen Verſuch wagte, den unzaͤhlbaren Muͤh-<lb/> ſeligkeiten einer Reiſe um die Welt zu entgehen, und wenn er, ſtatt der mancher-<lb/> ley Ungluͤcksfaͤlle die ihm zur See droheten, ein gemaͤchliches, ſorgenfreyes<lb/> Leben in dem herrlichſten Clima von der Welt, zu ergreifen wuͤnſchte. Das<lb/> hoͤchſte Gluͤck, welches er vielleicht in <placeName>Engelland</placeName> haͤtte erreichen koͤnnen, ver-<lb/> ſprach ihm lange nicht ſo viel Annehmlichkeiten, als er, bey der beſcheidenen<lb/> Hoffnung, nur ſo gluͤcklich als ein ganz gemeiner Tahitier zu leben, vor ſich<lb/> ſahe. Er durfte ſich nicht ſchmeicheln, bey ſeiner Zuruͤckkunft nach <placeName>England</placeName><lb/> von den Muͤhſeligkeiten der Reiſe um die Welt in Frieden ausruhen zu koͤnnen,<lb/> ſondern mußte ſich vielmehr gefaßt machen, ſogleich wieder auf ein andres<lb/> Schiff abgegeben zu werden, und bey eben ſo ungeſunder, elender Koſt, eben<lb/> <fw place="bottom" type="sig">L 2</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [83/0095]
in den Jahren 1772 bis 1775.
wurde, ſo gut es uͤbrigens gemeynet war. Unmittelbar nach dem Mit-
tags-Eſſen hoben wir den Anker und giengen unter Seegel. O-Tuh bat den
Capitain, daß er einige Kanonen abfeuern moͤgte und hielt bis auf den letzten
Mann bey uns aus. Als ſeine Unterthanen alle fort waren, nahm auch Er
Abſchied, und umarmte uns, einen nach dem andern, recht herzlich. Das be-
taͤubende Getoͤſe der Kanonen hinderte uns gewiſſermaßen in jene Art von Trau-
rigkeit zu ſinken, die bey ſolchen Gelegenheiten wohl zu erfolgen pflegt, oder der
ſanften Wehmuth nachzuhaͤngen, zu der wir, bey der Trennung von dieſem
unſchuldigen, gutgeſinnten, ſanften Volke berechtigt waren. Einer unſerer
Seeleute ſuchte ſich dieſe unruhigen Augenblicke zu Nutze zu machen, um un-
bemerkt nach der Inſel zu entwiſchen. Man ward ihn aber gewahr, als er darnach
hinſchwamm und ſahe zugleich einige Canots herbeyrudern, die ihn vermuthlich
aufnehmen wollten; der Capitain ließ ihm alſo gleich durch eins von unſern
Booten nachſetzen, ihn mit Gewalt zuruͤckbringen und zur Strafe fuͤr dieſen Ver-
ſuch vierzehn Tage lang in Ketten legen. Allem Anſchein nach, war die
Sache zwiſchen ihm und den Inſulanern foͤrmlich verabredet; denn ſie haͤtten
vielleicht eben ſo viel Nutzen davon gehabt, einen Europaͤer unter ſich zu be-
halten, als dieſer gefunden haben wuͤrde, unter ihnen zu bleiben. Wenn
man erwaͤgt, wie groß der Unterſchied iſt, der zwiſchen der Lebensart eines
gemeinen Matroſen am Bord unſers Schiffes, und dem Zuſtande eines Be-
wohners dieſer Inſel ſtatt findet; ſo laͤßt ſich leicht einſehen, daß es jenem
nicht zu verdenken war, wenn er einen Verſuch wagte, den unzaͤhlbaren Muͤh-
ſeligkeiten einer Reiſe um die Welt zu entgehen, und wenn er, ſtatt der mancher-
ley Ungluͤcksfaͤlle die ihm zur See droheten, ein gemaͤchliches, ſorgenfreyes
Leben in dem herrlichſten Clima von der Welt, zu ergreifen wuͤnſchte. Das
hoͤchſte Gluͤck, welches er vielleicht in Engelland haͤtte erreichen koͤnnen, ver-
ſprach ihm lange nicht ſo viel Annehmlichkeiten, als er, bey der beſcheidenen
Hoffnung, nur ſo gluͤcklich als ein ganz gemeiner Tahitier zu leben, vor ſich
ſahe. Er durfte ſich nicht ſchmeicheln, bey ſeiner Zuruͤckkunft nach England
von den Muͤhſeligkeiten der Reiſe um die Welt in Frieden ausruhen zu koͤnnen,
ſondern mußte ſich vielmehr gefaßt machen, ſogleich wieder auf ein andres
Schiff abgegeben zu werden, und bey eben ſo ungeſunder, elender Koſt, eben
1774.
May.
L 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |