Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Erstes Bändchen. Berlin, 1810.Dir fremd. Du trittst jetzt an der Hand des edelsten Mannes in einem Augenblick hinein, wo sehr ernste Pflichten Deine Aufmerksamkeit fodern. Wie sollte ich an Deinem Glück zweifeln, wie solltest Du je etwas Wünschenswertheres begehren können? Ich weiß nicht, warum mich dennoch Deine regsame Phantasie, die jedes neue Bild begierig auffaßt, warum mich Dein heftiges Gemüth, selbst in seinen edelsten Aufwallungen, ängstet. Du bist jetzt so oft gedankenvoll; ich sah Dich wohl früher die Hand nach Kleinigkeiten ausstrecken, um sie bald darauf gleichgültig zurückzuziehen. Dein Sinn schweift umher, auch jetzt -- Du hörst mich nicht -- Luise! -- Liebe Mutter, erwiederte jene, ich denke an Julius, und wie es möglich ist, daß er seinen beiden Eltern so unähnlich ward. Möchtest Du ihn anders? fragte Mathilde ernst. Auch ist er ihnen, fuhr sie fort, nicht so unähnlich als Du denkst; ihre gänzlich widersprechende Naturen haben sich sehr glücklich in ihm verschmolzen, und was äußerlich schwer und trübe an ihm haftet, das hat ihm des Grafen absichtsvolle Erziehung gegeben, der, allen natürlichen Anlagen zuwider, einen schlauen Weltmann aus ihm bilden wollte, und eben dadurch den freimüthigen Knaben mißmüthig und unsicher machte. Wie es wohl auf dem Falkenstein aussehen mag? fragte Luise, durch neue Vorstellungen Dir fremd. Du trittst jetzt an der Hand des edelsten Mannes in einem Augenblick hinein, wo sehr ernste Pflichten Deine Aufmerksamkeit fodern. Wie sollte ich an Deinem Glück zweifeln, wie solltest Du je etwas Wünschenswertheres begehren können? Ich weiß nicht, warum mich dennoch Deine regsame Phantasie, die jedes neue Bild begierig auffaßt, warum mich Dein heftiges Gemüth, selbst in seinen edelsten Aufwallungen, ängstet. Du bist jetzt so oft gedankenvoll; ich sah Dich wohl früher die Hand nach Kleinigkeiten ausstrecken, um sie bald darauf gleichgültig zurückzuziehen. Dein Sinn schweift umher, auch jetzt — Du hörst mich nicht — Luise! — Liebe Mutter, erwiederte jene, ich denke an Julius, und wie es möglich ist, daß er seinen beiden Eltern so unähnlich ward. Möchtest Du ihn anders? fragte Mathilde ernst. Auch ist er ihnen, fuhr sie fort, nicht so unähnlich als Du denkst; ihre gänzlich widersprechende Naturen haben sich sehr glücklich in ihm verschmolzen, und was äußerlich schwer und trübe an ihm haftet, das hat ihm des Grafen absichtsvolle Erziehung gegeben, der, allen natürlichen Anlagen zuwider, einen schlauen Weltmann aus ihm bilden wollte, und eben dadurch den freimüthigen Knaben mißmüthig und unsicher machte. Wie es wohl auf dem Falkenstein aussehen mag? fragte Luise, durch neue Vorstellungen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0038" n="30"/> Dir fremd. Du trittst jetzt an der Hand des edelsten Mannes in einem Augenblick hinein, wo sehr ernste Pflichten Deine Aufmerksamkeit fodern. Wie sollte ich an Deinem Glück zweifeln, wie solltest Du je etwas Wünschenswertheres begehren können? Ich weiß nicht, warum mich dennoch Deine regsame Phantasie, die jedes neue Bild begierig auffaßt, warum mich Dein heftiges Gemüth, selbst in seinen edelsten Aufwallungen, ängstet. Du bist jetzt so oft gedankenvoll; ich sah Dich wohl früher die Hand nach Kleinigkeiten ausstrecken, um sie bald darauf gleichgültig zurückzuziehen. Dein Sinn schweift umher, auch jetzt — Du hörst mich nicht — Luise! — Liebe Mutter, erwiederte jene, ich denke an Julius, und wie es möglich ist, daß er seinen beiden Eltern so unähnlich ward. Möchtest Du ihn anders? fragte Mathilde ernst. Auch ist er ihnen, fuhr sie fort, nicht so unähnlich als Du denkst; ihre gänzlich widersprechende Naturen haben sich sehr glücklich in ihm verschmolzen, und was äußerlich schwer und trübe an ihm haftet, das hat ihm des Grafen absichtsvolle Erziehung gegeben, der, allen natürlichen Anlagen zuwider, einen schlauen Weltmann aus ihm bilden wollte, und eben dadurch den freimüthigen Knaben mißmüthig und unsicher machte. Wie es wohl auf dem Falkenstein aussehen mag? fragte Luise, durch neue Vorstellungen </p> </div> </body> </text> </TEI> [30/0038]
Dir fremd. Du trittst jetzt an der Hand des edelsten Mannes in einem Augenblick hinein, wo sehr ernste Pflichten Deine Aufmerksamkeit fodern. Wie sollte ich an Deinem Glück zweifeln, wie solltest Du je etwas Wünschenswertheres begehren können? Ich weiß nicht, warum mich dennoch Deine regsame Phantasie, die jedes neue Bild begierig auffaßt, warum mich Dein heftiges Gemüth, selbst in seinen edelsten Aufwallungen, ängstet. Du bist jetzt so oft gedankenvoll; ich sah Dich wohl früher die Hand nach Kleinigkeiten ausstrecken, um sie bald darauf gleichgültig zurückzuziehen. Dein Sinn schweift umher, auch jetzt — Du hörst mich nicht — Luise! — Liebe Mutter, erwiederte jene, ich denke an Julius, und wie es möglich ist, daß er seinen beiden Eltern so unähnlich ward. Möchtest Du ihn anders? fragte Mathilde ernst. Auch ist er ihnen, fuhr sie fort, nicht so unähnlich als Du denkst; ihre gänzlich widersprechende Naturen haben sich sehr glücklich in ihm verschmolzen, und was äußerlich schwer und trübe an ihm haftet, das hat ihm des Grafen absichtsvolle Erziehung gegeben, der, allen natürlichen Anlagen zuwider, einen schlauen Weltmann aus ihm bilden wollte, und eben dadurch den freimüthigen Knaben mißmüthig und unsicher machte. Wie es wohl auf dem Falkenstein aussehen mag? fragte Luise, durch neue Vorstellungen
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Zitationshilfe: | Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Erstes Bändchen. Berlin, 1810, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins01_1810/38>, abgerufen am 16.07.2024. |