Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Erstes Bändchen. Berlin, 1810.und übersah Menschen ohne hervorstechende Gaben fast gänzlich. Carls Gutmüthigkeit hatte sie bewegt, indeß glaubte sie, mitleidiges Wohlwollen sei nicht das Rechte, was Einer für den Andern empfinden solle. Julius versicherte sie, oft bei dem reichsten Schatz von Kenntnissen, mehr Einseitigkeit und ermüdendes Einerlei, als bei diesem offnen, freien Gemüthe gefunden zu haben. Frei? -- wiederholte Luise, das bestreite ich, er fühlt sich alle Augenblicke einmal beschränkt und hat weder die Mittel, noch sucht er die Wege, sich los zu machen. Liebe Luise, erwiederte Julius, verdamme die Unbeholfnen nicht so gradehin, ein jeder hat seinen Kreis, in welchem er sich frei bewegt; führe ihn da heraus, so steht er wie Carl da, der wenigstens gescheut einlenkt und seine Freiheit dadurch behauptet, daß er nicht mehr will als er kann. Ich weiß wohl, fuhr er fort, daß der Kreis des Einen größer ist als des Andern; allein ein jeder zieht ihn sich am Ende selbst und kann nicht über seine Kräfte hinaus. Manche, die weit ausholten, wurden am Ende auf den Ausgangspunkt zurückgedrängt. Luise hätte dagegen noch Manches einzuwenden gehabt und meinte im Innern, dies sei aller Dumpfheit das Wort geredet; allein sie war wenig zum Streiten aufgelegt, und kämpfte genugsam gegen manche peinliche Vorstellungen, die sie und übersah Menschen ohne hervorstechende Gaben fast gänzlich. Carls Gutmüthigkeit hatte sie bewegt, indeß glaubte sie, mitleidiges Wohlwollen sei nicht das Rechte, was Einer für den Andern empfinden solle. Julius versicherte sie, oft bei dem reichsten Schatz von Kenntnissen, mehr Einseitigkeit und ermüdendes Einerlei, als bei diesem offnen, freien Gemüthe gefunden zu haben. Frei? — wiederholte Luise, das bestreite ich, er fühlt sich alle Augenblicke einmal beschränkt und hat weder die Mittel, noch sucht er die Wege, sich los zu machen. Liebe Luise, erwiederte Julius, verdamme die Unbeholfnen nicht so gradehin, ein jeder hat seinen Kreis, in welchem er sich frei bewegt; führe ihn da heraus, so steht er wie Carl da, der wenigstens gescheut einlenkt und seine Freiheit dadurch behauptet, daß er nicht mehr will als er kann. Ich weiß wohl, fuhr er fort, daß der Kreis des Einen größer ist als des Andern; allein ein jeder zieht ihn sich am Ende selbst und kann nicht über seine Kräfte hinaus. Manche, die weit ausholten, wurden am Ende auf den Ausgangspunkt zurückgedrängt. Luise hätte dagegen noch Manches einzuwenden gehabt und meinte im Innern, dies sei aller Dumpfheit das Wort geredet; allein sie war wenig zum Streiten aufgelegt, und kämpfte genugsam gegen manche peinliche Vorstellungen, die sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0059" n="51"/> und übersah Menschen ohne hervorstechende Gaben fast gänzlich. Carls Gutmüthigkeit hatte sie bewegt, indeß glaubte sie, mitleidiges Wohlwollen sei nicht das Rechte, was Einer für den Andern empfinden solle. Julius versicherte sie, oft bei dem reichsten Schatz von Kenntnissen, mehr Einseitigkeit und ermüdendes Einerlei, als bei diesem offnen, freien Gemüthe gefunden zu haben. Frei? — wiederholte Luise, das bestreite ich, er fühlt sich alle Augenblicke einmal beschränkt und hat weder die Mittel, noch sucht er die Wege, sich los zu machen. Liebe Luise, erwiederte Julius, verdamme die Unbeholfnen nicht so gradehin, ein jeder hat seinen Kreis, in welchem er sich frei bewegt; führe ihn da heraus, so steht er wie Carl da, der wenigstens gescheut einlenkt und seine Freiheit dadurch behauptet, daß er nicht mehr will als er kann. Ich weiß wohl, fuhr er fort, daß der Kreis des Einen größer ist als des Andern; allein ein jeder zieht ihn sich am Ende selbst und kann nicht über seine Kräfte hinaus. Manche, die weit ausholten, wurden am Ende auf den Ausgangspunkt zurückgedrängt. Luise hätte dagegen noch Manches einzuwenden gehabt und meinte im Innern, dies sei aller Dumpfheit das Wort geredet; allein sie war wenig zum Streiten aufgelegt, und kämpfte genugsam gegen manche peinliche Vorstellungen, die sie </p> </div> </body> </text> </TEI> [51/0059]
und übersah Menschen ohne hervorstechende Gaben fast gänzlich. Carls Gutmüthigkeit hatte sie bewegt, indeß glaubte sie, mitleidiges Wohlwollen sei nicht das Rechte, was Einer für den Andern empfinden solle. Julius versicherte sie, oft bei dem reichsten Schatz von Kenntnissen, mehr Einseitigkeit und ermüdendes Einerlei, als bei diesem offnen, freien Gemüthe gefunden zu haben. Frei? — wiederholte Luise, das bestreite ich, er fühlt sich alle Augenblicke einmal beschränkt und hat weder die Mittel, noch sucht er die Wege, sich los zu machen. Liebe Luise, erwiederte Julius, verdamme die Unbeholfnen nicht so gradehin, ein jeder hat seinen Kreis, in welchem er sich frei bewegt; führe ihn da heraus, so steht er wie Carl da, der wenigstens gescheut einlenkt und seine Freiheit dadurch behauptet, daß er nicht mehr will als er kann. Ich weiß wohl, fuhr er fort, daß der Kreis des Einen größer ist als des Andern; allein ein jeder zieht ihn sich am Ende selbst und kann nicht über seine Kräfte hinaus. Manche, die weit ausholten, wurden am Ende auf den Ausgangspunkt zurückgedrängt. Luise hätte dagegen noch Manches einzuwenden gehabt und meinte im Innern, dies sei aller Dumpfheit das Wort geredet; allein sie war wenig zum Streiten aufgelegt, und kämpfte genugsam gegen manche peinliche Vorstellungen, die sie
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins01_1810 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins01_1810/59 |
Zitationshilfe: | Fouqué, Caroline de la Motte-: Die Frau des Falkensteins. Erstes Bändchen. Berlin, 1810, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_falkensteins01_1810/59>, abgerufen am 16.07.2024. |