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Fouqué, Caroline de La Motte-: Die Frauen in der großen Welt. Berlin, 1826.

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Namen Freiheit des Geistes adelte? Kann
aber der Augenblick solche Gewalt üben, daß
selbst die Starken erliegen, wie aufmerksam
muß uns das in der jetzigen Periode ma-
chen, wo sich so viel Richtungen durchkreu-
zen!

Wenn man nun weder dem eigenen
Geschmack, noch der Empfehlung Anderer,
und zwar der Meisten, trauen soll, welchem
Führer hat man durch das krause Labyrinth
der Lesewelt zu folgen? Es ist sonderbar!
bei allen Wissenschaftlichem, ja selbst bei
dem Technischen der Kunst, erröthet man
nicht, Unwissenheit oder Schülerhaftigkeit,
einzugestehen, Lehre anzunehmen und sich
den Bedingungen zu unterwerfen, welche
stufenweise zu der richtigen Kenntniß führen
können. Nur bei dem, was die Jdee durch
unmittelbare Eingebung empfängt und of-
fenbaret, scheint der Geist den beglücktern
Geistern das Vorrecht der Begabung streitig
machen, und mit hitziger Eifersucht das ver-
mißte Erbtheil an sich reißen zu wollen. Es
ist fast Niemand, der bei Würdigung einer

Namen Freiheit des Geiſtes adelte? Kann
aber der Augenblick ſolche Gewalt uͤben, daß
ſelbſt die Starken erliegen, wie aufmerkſam
muß uns das in der jetzigen Periode ma-
chen, wo ſich ſo viel Richtungen durchkreu-
zen!

Wenn man nun weder dem eigenen
Geſchmack, noch der Empfehlung Anderer,
und zwar der Meiſten, trauen ſoll, welchem
Fuͤhrer hat man durch das krauſe Labyrinth
der Leſewelt zu folgen? Es iſt ſonderbar!
bei allen Wiſſenſchaftlichem, ja ſelbſt bei
dem Techniſchen der Kunſt, erroͤthet man
nicht, Unwiſſenheit oder Schuͤlerhaftigkeit,
einzugeſtehen, Lehre anzunehmen und ſich
den Bedingungen zu unterwerfen, welche
ſtufenweiſe zu der richtigen Kenntniß fuͤhren
koͤnnen. Nur bei dem, was die Jdee durch
unmittelbare Eingebung empfaͤngt und of-
fenbaret, ſcheint der Geiſt den begluͤcktern
Geiſtern das Vorrecht der Begabung ſtreitig
machen, und mit hitziger Eiferſucht das ver-
mißte Erbtheil an ſich reißen zu wollen. Es
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[62/0066] Namen Freiheit des Geiſtes adelte? Kann aber der Augenblick ſolche Gewalt uͤben, daß ſelbſt die Starken erliegen, wie aufmerkſam muß uns das in der jetzigen Periode ma- chen, wo ſich ſo viel Richtungen durchkreu- zen! Wenn man nun weder dem eigenen Geſchmack, noch der Empfehlung Anderer, und zwar der Meiſten, trauen ſoll, welchem Fuͤhrer hat man durch das krauſe Labyrinth der Leſewelt zu folgen? Es iſt ſonderbar! bei allen Wiſſenſchaftlichem, ja ſelbſt bei dem Techniſchen der Kunſt, erroͤthet man nicht, Unwiſſenheit oder Schuͤlerhaftigkeit, einzugeſtehen, Lehre anzunehmen und ſich den Bedingungen zu unterwerfen, welche ſtufenweiſe zu der richtigen Kenntniß fuͤhren koͤnnen. Nur bei dem, was die Jdee durch unmittelbare Eingebung empfaͤngt und of- fenbaret, ſcheint der Geiſt den begluͤcktern Geiſtern das Vorrecht der Begabung ſtreitig machen, und mit hitziger Eiferſucht das ver- mißte Erbtheil an ſich reißen zu wollen. Es iſt faſt Niemand, der bei Wuͤrdigung einer

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Zitationshilfe: Fouqué, Caroline de La Motte-: Die Frauen in der großen Welt. Berlin, 1826, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_frauen_1826/66>, abgerufen am 25.11.2024.