Namen Freiheit des Geistes adelte? Kann aber der Augenblick solche Gewalt üben, daß selbst die Starken erliegen, wie aufmerksam muß uns das in der jetzigen Periode ma- chen, wo sich so viel Richtungen durchkreu- zen!
Wenn man nun weder dem eigenen Geschmack, noch der Empfehlung Anderer, und zwar der Meisten, trauen soll, welchem Führer hat man durch das krause Labyrinth der Lesewelt zu folgen? Es ist sonderbar! bei allen Wissenschaftlichem, ja selbst bei dem Technischen der Kunst, erröthet man nicht, Unwissenheit oder Schülerhaftigkeit, einzugestehen, Lehre anzunehmen und sich den Bedingungen zu unterwerfen, welche stufenweise zu der richtigen Kenntniß führen können. Nur bei dem, was die Jdee durch unmittelbare Eingebung empfängt und of- fenbaret, scheint der Geist den beglücktern Geistern das Vorrecht der Begabung streitig machen, und mit hitziger Eifersucht das ver- mißte Erbtheil an sich reißen zu wollen. Es ist fast Niemand, der bei Würdigung einer
Namen Freiheit des Geiſtes adelte? Kann aber der Augenblick ſolche Gewalt uͤben, daß ſelbſt die Starken erliegen, wie aufmerkſam muß uns das in der jetzigen Periode ma- chen, wo ſich ſo viel Richtungen durchkreu- zen!
Wenn man nun weder dem eigenen Geſchmack, noch der Empfehlung Anderer, und zwar der Meiſten, trauen ſoll, welchem Fuͤhrer hat man durch das krauſe Labyrinth der Leſewelt zu folgen? Es iſt ſonderbar! bei allen Wiſſenſchaftlichem, ja ſelbſt bei dem Techniſchen der Kunſt, erroͤthet man nicht, Unwiſſenheit oder Schuͤlerhaftigkeit, einzugeſtehen, Lehre anzunehmen und ſich den Bedingungen zu unterwerfen, welche ſtufenweiſe zu der richtigen Kenntniß fuͤhren koͤnnen. Nur bei dem, was die Jdee durch unmittelbare Eingebung empfaͤngt und of- fenbaret, ſcheint der Geiſt den begluͤcktern Geiſtern das Vorrecht der Begabung ſtreitig machen, und mit hitziger Eiferſucht das ver- mißte Erbtheil an ſich reißen zu wollen. Es iſt faſt Niemand, der bei Wuͤrdigung einer
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0066"n="62"/>
Namen Freiheit des Geiſtes adelte? Kann<lb/>
aber der Augenblick ſolche Gewalt uͤben, daß<lb/>ſelbſt die Starken erliegen, wie aufmerkſam<lb/>
muß uns das in der jetzigen Periode ma-<lb/>
chen, wo ſich ſo viel Richtungen durchkreu-<lb/>
zen!</p><lb/><p>Wenn man nun weder dem eigenen<lb/>
Geſchmack, noch der Empfehlung Anderer,<lb/>
und zwar der Meiſten, trauen ſoll, welchem<lb/>
Fuͤhrer hat man durch das krauſe Labyrinth<lb/>
der Leſewelt zu folgen? Es iſt ſonderbar!<lb/>
bei allen Wiſſenſchaftlichem, ja ſelbſt bei<lb/>
dem Techniſchen der Kunſt, erroͤthet man<lb/>
nicht, Unwiſſenheit oder Schuͤlerhaftigkeit,<lb/>
einzugeſtehen, Lehre anzunehmen und ſich<lb/>
den Bedingungen zu unterwerfen, welche<lb/>ſtufenweiſe zu der richtigen Kenntniß fuͤhren<lb/>
koͤnnen. Nur bei dem, was die Jdee durch<lb/>
unmittelbare Eingebung empfaͤngt und of-<lb/>
fenbaret, ſcheint der Geiſt den begluͤcktern<lb/>
Geiſtern das Vorrecht der Begabung ſtreitig<lb/>
machen, und mit hitziger Eiferſucht das ver-<lb/>
mißte Erbtheil an ſich reißen zu wollen. Es<lb/>
iſt faſt Niemand, der bei Wuͤrdigung einer<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[62/0066]
Namen Freiheit des Geiſtes adelte? Kann
aber der Augenblick ſolche Gewalt uͤben, daß
ſelbſt die Starken erliegen, wie aufmerkſam
muß uns das in der jetzigen Periode ma-
chen, wo ſich ſo viel Richtungen durchkreu-
zen!
Wenn man nun weder dem eigenen
Geſchmack, noch der Empfehlung Anderer,
und zwar der Meiſten, trauen ſoll, welchem
Fuͤhrer hat man durch das krauſe Labyrinth
der Leſewelt zu folgen? Es iſt ſonderbar!
bei allen Wiſſenſchaftlichem, ja ſelbſt bei
dem Techniſchen der Kunſt, erroͤthet man
nicht, Unwiſſenheit oder Schuͤlerhaftigkeit,
einzugeſtehen, Lehre anzunehmen und ſich
den Bedingungen zu unterwerfen, welche
ſtufenweiſe zu der richtigen Kenntniß fuͤhren
koͤnnen. Nur bei dem, was die Jdee durch
unmittelbare Eingebung empfaͤngt und of-
fenbaret, ſcheint der Geiſt den begluͤcktern
Geiſtern das Vorrecht der Begabung ſtreitig
machen, und mit hitziger Eiferſucht das ver-
mißte Erbtheil an ſich reißen zu wollen. Es
iſt faſt Niemand, der bei Wuͤrdigung einer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Fouqué, Caroline de La Motte-: Die Frauen in der großen Welt. Berlin, 1826, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_frauen_1826/66>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.