Freilich werden nicht alle lebendig, die eine dreiste Hand anrührt, und wenn solche Versuche in Vergessenheit sinken, so ist das kein Verlust zu nennen.
Es wird mich hiernach Niemand be- schuldigen, daß ich die Lecture zu einer trok- kenen Schul- und Erziehungsanstalt habe machen wollen. Jch darf sagen, ihr sei in dieser Betrachtung, vorzugsweise von allen Bildungsmitteln für das gesellige Leben, ein freier, geistiger Einfluß zuerkannt, und Grund- sätze aufgestellt worden, welche den leichten Gewinden belletristischer Unterhaltung, unver- welkliches Dasein geben. Selbst der so oft herabgewürdigte, in seiner Bestimmung ver- kannte Roman, tritt in dem Sinne, wie ich es meine, in sein ursprüngliches Recht, das Leben von dem Leben, das Dramatische in ihm, das Wechselgespräch der innern und äußern Welt des Menschen, mit höherer Wahrheit zurückzuspiegeln. Und wenn er auf solche Weise den Müttern weniger gefährlich dünkt, so werden mich die Töchter auch nur zu loben haben, denn sicherlich will ich ihrer
Freilich werden nicht alle lebendig, die eine dreiſte Hand anruͤhrt, und wenn ſolche Verſuche in Vergeſſenheit ſinken, ſo iſt das kein Verluſt zu nennen.
Es wird mich hiernach Niemand be- ſchuldigen, daß ich die Lecture zu einer trok- kenen Schul- und Erziehungsanſtalt habe machen wollen. Jch darf ſagen, ihr ſei in dieſer Betrachtung, vorzugsweiſe von allen Bildungsmitteln fuͤr das geſellige Leben, ein freier, geiſtiger Einfluß zuerkannt, und Grund- ſaͤtze aufgeſtellt worden, welche den leichten Gewinden belletriſtiſcher Unterhaltung, unver- welkliches Daſein geben. Selbſt der ſo oft herabgewuͤrdigte, in ſeiner Beſtimmung ver- kannte Roman, tritt in dem Sinne, wie ich es meine, in ſein urſpruͤngliches Recht, das Leben von dem Leben, das Dramatiſche in ihm, das Wechſelgeſpraͤch der innern und aͤußern Welt des Menſchen, mit hoͤherer Wahrheit zuruͤckzuſpiegeln. Und wenn er auf ſolche Weiſe den Muͤttern weniger gefaͤhrlich duͤnkt, ſo werden mich die Toͤchter auch nur zu loben haben, denn ſicherlich will ich ihrer
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0076"n="72"/><p>Freilich werden nicht alle lebendig, die<lb/>
eine dreiſte Hand anruͤhrt, und wenn ſolche<lb/>
Verſuche in Vergeſſenheit ſinken, ſo iſt das<lb/>
kein Verluſt zu nennen.</p><lb/><p>Es wird mich hiernach Niemand be-<lb/>ſchuldigen, daß ich die Lecture zu einer trok-<lb/>
kenen Schul- und Erziehungsanſtalt habe<lb/>
machen wollen. Jch darf ſagen, ihr ſei in<lb/>
dieſer Betrachtung, vorzugsweiſe von allen<lb/>
Bildungsmitteln fuͤr das geſellige Leben, ein<lb/>
freier, geiſtiger Einfluß zuerkannt, und Grund-<lb/>ſaͤtze aufgeſtellt worden, welche den leichten<lb/>
Gewinden belletriſtiſcher Unterhaltung, unver-<lb/>
welkliches Daſein geben. Selbſt der ſo oft<lb/>
herabgewuͤrdigte, in ſeiner Beſtimmung ver-<lb/>
kannte Roman, tritt in dem Sinne, wie ich<lb/>
es meine, in ſein urſpruͤngliches Recht, das<lb/>
Leben von dem Leben, das Dramatiſche in<lb/>
ihm, das Wechſelgeſpraͤch der innern und<lb/>
aͤußern Welt des Menſchen, mit hoͤherer<lb/>
Wahrheit zuruͤckzuſpiegeln. Und wenn er auf<lb/>ſolche Weiſe den Muͤttern weniger gefaͤhrlich<lb/>
duͤnkt, ſo werden mich die Toͤchter auch nur<lb/>
zu loben haben, denn ſicherlich will ich ihrer<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[72/0076]
Freilich werden nicht alle lebendig, die
eine dreiſte Hand anruͤhrt, und wenn ſolche
Verſuche in Vergeſſenheit ſinken, ſo iſt das
kein Verluſt zu nennen.
Es wird mich hiernach Niemand be-
ſchuldigen, daß ich die Lecture zu einer trok-
kenen Schul- und Erziehungsanſtalt habe
machen wollen. Jch darf ſagen, ihr ſei in
dieſer Betrachtung, vorzugsweiſe von allen
Bildungsmitteln fuͤr das geſellige Leben, ein
freier, geiſtiger Einfluß zuerkannt, und Grund-
ſaͤtze aufgeſtellt worden, welche den leichten
Gewinden belletriſtiſcher Unterhaltung, unver-
welkliches Daſein geben. Selbſt der ſo oft
herabgewuͤrdigte, in ſeiner Beſtimmung ver-
kannte Roman, tritt in dem Sinne, wie ich
es meine, in ſein urſpruͤngliches Recht, das
Leben von dem Leben, das Dramatiſche in
ihm, das Wechſelgeſpraͤch der innern und
aͤußern Welt des Menſchen, mit hoͤherer
Wahrheit zuruͤckzuſpiegeln. Und wenn er auf
ſolche Weiſe den Muͤttern weniger gefaͤhrlich
duͤnkt, ſo werden mich die Toͤchter auch nur
zu loben haben, denn ſicherlich will ich ihrer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Fouqué, Caroline de La Motte-: Die Frauen in der großen Welt. Berlin, 1826, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_frauen_1826/76>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.