Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

heuer, um so günstiger für mich. Ich hätte in be¬
deutender Umgebung ein Jahr der Vorbereitung ge¬
wonnen. Uebermorgen bin ich auf dem Wege nach
Berlin."

Der Redner machte eine Pause und ich hörte ein
fröhliches Aufathmen an meiner Seite. Dorothee
hatte das Messer fallen lassen und blinzelte schelmisch
zu mir in die Höh'. Es war alles ganz anders ge¬
kommen, als ich prophezeit. Mosjö Per--se ging in
den Krieg, um ein berühmter Doctor zu werden; er
dachte nicht an sein Dörtchen und an einen häus¬
lichen Herd.

Aber Mosjö hatte nur wieder einmal schwer
Athem geschöpft; er war noch lange nicht zu Ende.
Eine Blutwoge drang ihm zu Kopf, um ebenso jach
wieder zu sinken; er setzte sich, denn seine Kniee
zitterten. Was mochte diese gefaßte Natur so bäng¬
lich bewegen?

Er wendete sich jetzt zu meiner Nachbarin und
seine Stimme vibrirte so seelenvoll, daß ich sie kaum
für die seinige halten konnte. "Ich weiß nicht, Jung¬
frau Dorothee, ob auch Sie das Streben geahnt
haben, das mich, neben jenem ernsten, seit Jahren er¬
füllt hat. Sie lächelten wie über ein Scherzwort,

heuer, um ſo günſtiger für mich. Ich hätte in be¬
deutender Umgebung ein Jahr der Vorbereitung ge¬
wonnen. Uebermorgen bin ich auf dem Wege nach
Berlin.“

Der Redner machte eine Pauſe und ich hörte ein
fröhliches Aufathmen an meiner Seite. Dorothee
hatte das Meſſer fallen laſſen und blinzelte ſchelmiſch
zu mir in die Höh'. Es war alles ganz anders ge¬
kommen, als ich prophezeit. Mosjö Per—ſé ging in
den Krieg, um ein berühmter Doctor zu werden; er
dachte nicht an ſein Dörtchen und an einen häus¬
lichen Herd.

Aber Mosjö hatte nur wieder einmal ſchwer
Athem geſchöpft; er war noch lange nicht zu Ende.
Eine Blutwoge drang ihm zu Kopf, um ebenſo jach
wieder zu ſinken; er ſetzte ſich, denn ſeine Kniee
zitterten. Was mochte dieſe gefaßte Natur ſo bäng¬
lich bewegen?

Er wendete ſich jetzt zu meiner Nachbarin und
ſeine Stimme vibrirte ſo ſeelenvoll, daß ich ſie kaum
für die ſeinige halten konnte. „Ich weiß nicht, Jung¬
frau Dorothee, ob auch Sie das Streben geahnt
haben, das mich, neben jenem ernſten, ſeit Jahren er¬
füllt hat. Sie lächelten wie über ein Scherzwort,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0140" n="133"/>
heuer, um &#x017F;o gün&#x017F;tiger für mich. Ich hätte in be¬<lb/>
deutender Umgebung ein Jahr der Vorbereitung ge¬<lb/>
wonnen. Uebermorgen bin ich auf dem Wege nach<lb/>
Berlin.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Redner machte eine Pau&#x017F;e und ich hörte ein<lb/>
fröhliches Aufathmen an meiner Seite. Dorothee<lb/>
hatte das Me&#x017F;&#x017F;er fallen la&#x017F;&#x017F;en und blinzelte &#x017F;chelmi&#x017F;ch<lb/>
zu mir in die Höh'. Es war alles ganz anders ge¬<lb/>
kommen, als ich prophezeit. Mosjö Per&#x2014;&#x017F;<hi rendition="#aq">é</hi> ging in<lb/>
den Krieg, um ein berühmter Doctor zu werden; er<lb/>
dachte nicht an &#x017F;ein Dörtchen und an einen häus¬<lb/>
lichen Herd.</p><lb/>
        <p>Aber Mosjö hatte nur wieder einmal &#x017F;chwer<lb/>
Athem ge&#x017F;chöpft; er war noch lange nicht zu Ende.<lb/>
Eine Blutwoge drang ihm zu Kopf, um eben&#x017F;o jach<lb/>
wieder zu &#x017F;inken; er &#x017F;etzte &#x017F;ich, denn &#x017F;eine Kniee<lb/>
zitterten. Was mochte die&#x017F;e gefaßte Natur &#x017F;o bäng¬<lb/>
lich bewegen?</p><lb/>
        <p>Er wendete &#x017F;ich jetzt zu meiner Nachbarin und<lb/>
&#x017F;eine Stimme vibrirte &#x017F;o &#x017F;eelenvoll, daß ich &#x017F;ie kaum<lb/>
für die &#x017F;einige halten konnte. &#x201E;Ich weiß nicht, Jung¬<lb/>
frau Dorothee, ob auch Sie das Streben geahnt<lb/>
haben, das mich, neben jenem ern&#x017F;ten, &#x017F;eit Jahren er¬<lb/>
füllt hat. Sie lächelten wie über ein Scherzwort,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0140] heuer, um ſo günſtiger für mich. Ich hätte in be¬ deutender Umgebung ein Jahr der Vorbereitung ge¬ wonnen. Uebermorgen bin ich auf dem Wege nach Berlin.“ Der Redner machte eine Pauſe und ich hörte ein fröhliches Aufathmen an meiner Seite. Dorothee hatte das Meſſer fallen laſſen und blinzelte ſchelmiſch zu mir in die Höh'. Es war alles ganz anders ge¬ kommen, als ich prophezeit. Mosjö Per—ſé ging in den Krieg, um ein berühmter Doctor zu werden; er dachte nicht an ſein Dörtchen und an einen häus¬ lichen Herd. Aber Mosjö hatte nur wieder einmal ſchwer Athem geſchöpft; er war noch lange nicht zu Ende. Eine Blutwoge drang ihm zu Kopf, um ebenſo jach wieder zu ſinken; er ſetzte ſich, denn ſeine Kniee zitterten. Was mochte dieſe gefaßte Natur ſo bäng¬ lich bewegen? Er wendete ſich jetzt zu meiner Nachbarin und ſeine Stimme vibrirte ſo ſeelenvoll, daß ich ſie kaum für die ſeinige halten konnte. „Ich weiß nicht, Jung¬ frau Dorothee, ob auch Sie das Streben geahnt haben, das mich, neben jenem ernſten, ſeit Jahren er¬ füllt hat. Sie lächelten wie über ein Scherzwort,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/140
Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/140>, abgerufen am 15.05.2024.