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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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rung, aber selber eine dankbare Empfindung ward
nicht herausgefordert, denn ich leistete ihr mehr, als
sie gewährte, und ich leistete es ohne Eigennutz. Ge¬
liebt habe ich die einzige Verwandtin so wenig, als sie
mich. Zwischen dem alten Idealisten im Pfarrhause
und der alten Realistin im Thurm entwickelte sich die
Jungfrau als ein herzensarmes Ding, so, ja mehr
noch, wie vordem das Kind in der Schulstube Christ¬
lieb Taube's, neben der kleinen reizenden Dorl.

Als die vorausbestimmte Zeit meiner Heimreise
heranrückte, machte die Gräfin mir und den Eltern
den Vorschlag meiner Rückkehr im nächsten Winter.
Sie sprach ihn aus in weniger herablassender Form,
aber doch nur als eine Gunst, keineswegs als einen
Wunsch. "Wie Du einmal bist," sagte sie, "ist es
gut für Dich, der kleinstädtischen Beschränkung Dei¬
nes Vaterhauses zeitweise entrückt zu werden und
Dich in einer größeren Lebensordnung bewegen zu
lernen."

Verlockender war die Einladung, welche an die
wiederholentlich bewährte Leibpflegerin, "Madame Mül¬
lerin", erging. Sie sollte zwar während des Som¬
mers, der guten gräflichen Saison, mich in die Hei¬
math zurückbegleiten, zum Herbst aber mit mir wie¬

rung, aber ſelber eine dankbare Empfindung ward
nicht herausgefordert, denn ich leiſtete ihr mehr, als
ſie gewährte, und ich leiſtete es ohne Eigennutz. Ge¬
liebt habe ich die einzige Verwandtin ſo wenig, als ſie
mich. Zwiſchen dem alten Idealiſten im Pfarrhauſe
und der alten Realiſtin im Thurm entwickelte ſich die
Jungfrau als ein herzensarmes Ding, ſo, ja mehr
noch, wie vordem das Kind in der Schulſtube Chriſt¬
lieb Taube's, neben der kleinen reizenden Dorl.

Als die vorausbeſtimmte Zeit meiner Heimreiſe
heranrückte, machte die Gräfin mir und den Eltern
den Vorſchlag meiner Rückkehr im nächſten Winter.
Sie ſprach ihn aus in weniger herablaſſender Form,
aber doch nur als eine Gunſt, keineswegs als einen
Wunſch. „Wie Du einmal biſt,“ ſagte ſie, „iſt es
gut für Dich, der kleinſtädtiſchen Beſchränkung Dei¬
nes Vaterhauſes zeitweiſe entrückt zu werden und
Dich in einer größeren Lebensordnung bewegen zu
lernen.“

Verlockender war die Einladung, welche an die
wiederholentlich bewährte Leibpflegerin, „Madame Mül¬
lerin“, erging. Sie ſollte zwar während des Som¬
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[201/0208] rung, aber ſelber eine dankbare Empfindung ward nicht herausgefordert, denn ich leiſtete ihr mehr, als ſie gewährte, und ich leiſtete es ohne Eigennutz. Ge¬ liebt habe ich die einzige Verwandtin ſo wenig, als ſie mich. Zwiſchen dem alten Idealiſten im Pfarrhauſe und der alten Realiſtin im Thurm entwickelte ſich die Jungfrau als ein herzensarmes Ding, ſo, ja mehr noch, wie vordem das Kind in der Schulſtube Chriſt¬ lieb Taube's, neben der kleinen reizenden Dorl. Als die vorausbeſtimmte Zeit meiner Heimreiſe heranrückte, machte die Gräfin mir und den Eltern den Vorſchlag meiner Rückkehr im nächſten Winter. Sie ſprach ihn aus in weniger herablaſſender Form, aber doch nur als eine Gunſt, keineswegs als einen Wunſch. „Wie Du einmal biſt,“ ſagte ſie, „iſt es gut für Dich, der kleinſtädtiſchen Beſchränkung Dei¬ nes Vaterhauſes zeitweiſe entrückt zu werden und Dich in einer größeren Lebensordnung bewegen zu lernen.“ Verlockender war die Einladung, welche an die wiederholentlich bewährte Leibpflegerin, „Madame Mül¬ lerin“, erging. Sie ſollte zwar während des Som¬ mers, der guten gräflichen Saiſon, mich in die Hei¬ math zurückbegleiten, zum Herbſt aber mit mir wie¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/208>, abgerufen am 21.11.2024.