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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871.

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aber gesund und hartsehnig, knapp und reinlich ge¬
kleidet, scharf bei der Arbeit und karg im Genuß.
Das war ein Schaffen ohne Rast; Jeder für sich und
dabei doch Einer fördernd in des Anderen Hand.
Dabei kein Wort, kein umschweifender Blick, kein
Lachen und Schäkern zwischen Burschen und Dirnen,
während die Mahden geschnitten, die Garben gebunden
und verladen wurden. In einem Ameisenhaufen konnte
es nicht stummer und ämsiger vor sich gehen. Selber
die, welche Mittag haltend, am Straßengraben saßen,
verzehrten die schwarzen Brodschnitte und leerten ihren
Krug Dünnbiers schweigend und hastiger, als ander¬
wärts Bauern es pflegen. Keiner lud den wandernden
Krüppel und sein müdes Kind zu Rast und Labe;
kaum daß sie seinen Gruß erwiderten, als er aber gar
nach Schloß Reckenburg und nach Fräulein Hardinen
fragte, da starrten sie, ohne Auskunft zu geben, das
armselige Paar mit verwunderten, schier verächtlichen
Blicken an, als wollten sie sagen: "Was wollt Ihr
faules, verlaufenes Gesindel in der fleißigen, gesegneten
Reckenburger Flur und bei unserem reichen, stolzen
Fräulein Hardine?"

Der "Nach Schloß Reckenburg" bezeichnete Weg
hatte die Wanderer in mannichfaltigem Wechsel stun¬

aber geſund und hartſehnig, knapp und reinlich ge¬
kleidet, ſcharf bei der Arbeit und karg im Genuß.
Das war ein Schaffen ohne Raſt; Jeder für ſich und
dabei doch Einer fördernd in des Anderen Hand.
Dabei kein Wort, kein umſchweifender Blick, kein
Lachen und Schäkern zwiſchen Burſchen und Dirnen,
während die Mahden geſchnitten, die Garben gebunden
und verladen wurden. In einem Ameiſenhaufen konnte
es nicht ſtummer und ämſiger vor ſich gehen. Selber
die, welche Mittag haltend, am Straßengraben ſaßen,
verzehrten die ſchwarzen Brodſchnitte und leerten ihren
Krug Dünnbiers ſchweigend und haſtiger, als ander¬
wärts Bauern es pflegen. Keiner lud den wandernden
Krüppel und ſein müdes Kind zu Raſt und Labe;
kaum daß ſie ſeinen Gruß erwiderten, als er aber gar
nach Schloß Reckenburg und nach Fräulein Hardinen
fragte, da ſtarrten ſie, ohne Auskunft zu geben, das
armſelige Paar mit verwunderten, ſchier verächtlichen
Blicken an, als wollten ſie ſagen: „Was wollt Ihr
faules, verlaufenes Geſindel in der fleißigen, geſegneten
Reckenburger Flur und bei unſerem reichen, ſtolzen
Fräulein Hardine?“

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[55/0062] aber geſund und hartſehnig, knapp und reinlich ge¬ kleidet, ſcharf bei der Arbeit und karg im Genuß. Das war ein Schaffen ohne Raſt; Jeder für ſich und dabei doch Einer fördernd in des Anderen Hand. Dabei kein Wort, kein umſchweifender Blick, kein Lachen und Schäkern zwiſchen Burſchen und Dirnen, während die Mahden geſchnitten, die Garben gebunden und verladen wurden. In einem Ameiſenhaufen konnte es nicht ſtummer und ämſiger vor ſich gehen. Selber die, welche Mittag haltend, am Straßengraben ſaßen, verzehrten die ſchwarzen Brodſchnitte und leerten ihren Krug Dünnbiers ſchweigend und haſtiger, als ander¬ wärts Bauern es pflegen. Keiner lud den wandernden Krüppel und ſein müdes Kind zu Raſt und Labe; kaum daß ſie ſeinen Gruß erwiderten, als er aber gar nach Schloß Reckenburg und nach Fräulein Hardinen fragte, da ſtarrten ſie, ohne Auskunft zu geben, das armſelige Paar mit verwunderten, ſchier verächtlichen Blicken an, als wollten ſie ſagen: „Was wollt Ihr faules, verlaufenes Geſindel in der fleißigen, geſegneten Reckenburger Flur und bei unſerem reichen, ſtolzen Fräulein Hardine?“ Der „Nach Schloß Reckenburg“ bezeichnete Weg hatte die Wanderer in mannichfaltigem Wechſel ſtun¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/62>, abgerufen am 22.11.2024.