freiten nicht nach Neigung und Lust, sondern nach Vernunft und elterlichem Willen; der Bettler schlug einen Bogen um Reckenburg, denn er sah keinen Bro¬ samen von des Reichen Tische fallen, und "arbeite wie wir, so wirst Du Dich wohl befinden wie wir, ein Jeder sorge für das Seine," schallte es ihm von der ungastlichen Schwelle entgegen. In der That: wir waren eine sehr ehrsame, aber eine sehr lieblose Colonie!
Die unbestimmte Empfindung von etwas Feh¬ lendem in meinem Werk und Leben dämmerte mir zum erstenmale in jener Pause, wo ich mich des Gelingens hätte freuen sollen. Ich spürte keine Ab¬ spannung, aber eine Art unruhiger Langeweile, und es kamen Stunden, wo ich mir sagte, daß wenn ich noch einmal zu leben anfangen sollte, ich nicht als Arbeitsbiene wieder anfangen möchte. Ich hätte Zer¬ streuungen suchen können, Umgang, großstädtischen Wechsel, hätte reisen können, künstlerische Liebhabe¬ reien pflegen und Gott weiß was sonst noch Alles reiche Leute können. Aber ich kannte mich hinlänglich, um zu wissen, daß das, was mir fehlte, nicht von Außen in mich getragen, daß es aus dem Innern herauswachsen müsse. Was es aber war, das in mir
freiten nicht nach Neigung und Luſt, ſondern nach Vernunft und elterlichem Willen; der Bettler ſchlug einen Bogen um Reckenburg, denn er ſah keinen Bro¬ ſamen von des Reichen Tiſche fallen, und „arbeite wie wir, ſo wirſt Du Dich wohl befinden wie wir, ein Jeder ſorge für das Seine,“ ſchallte es ihm von der ungaſtlichen Schwelle entgegen. In der That: wir waren eine ſehr ehrſame, aber eine ſehr liebloſe Colonie!
Die unbeſtimmte Empfindung von etwas Feh¬ lendem in meinem Werk und Leben dämmerte mir zum erſtenmale in jener Pauſe, wo ich mich des Gelingens hätte freuen ſollen. Ich ſpürte keine Ab¬ ſpannung, aber eine Art unruhiger Langeweile, und es kamen Stunden, wo ich mir ſagte, daß wenn ich noch einmal zu leben anfangen ſollte, ich nicht als Arbeitsbiene wieder anfangen möchte. Ich hätte Zer¬ ſtreuungen ſuchen können, Umgang, großſtädtiſchen Wechſel, hätte reiſen können, künſtleriſche Liebhabe¬ reien pflegen und Gott weiß was ſonſt noch Alles reiche Leute können. Aber ich kannte mich hinlänglich, um zu wiſſen, daß das, was mir fehlte, nicht von Außen in mich getragen, daß es aus dem Innern herauswachſen müſſe. Was es aber war, das in mir
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0172"n="168"/>
freiten nicht nach Neigung und Luſt, ſondern nach<lb/>
Vernunft und elterlichem Willen; der Bettler ſchlug<lb/>
einen Bogen um Reckenburg, denn er ſah keinen Bro¬<lb/>ſamen von des Reichen Tiſche fallen, und „arbeite<lb/>
wie wir, ſo wirſt Du Dich wohl befinden wie wir,<lb/>
ein Jeder ſorge für das Seine,“ſchallte es ihm von<lb/>
der ungaſtlichen Schwelle entgegen. In der That:<lb/>
wir waren eine ſehr ehrſame, aber eine ſehr liebloſe<lb/>
Colonie!</p><lb/><p>Die unbeſtimmte Empfindung von etwas <hirendition="#g">Feh¬<lb/>
lendem</hi> in meinem Werk und Leben dämmerte mir<lb/>
zum erſtenmale in jener Pauſe, wo ich mich des<lb/>
Gelingens hätte freuen ſollen. Ich ſpürte keine Ab¬<lb/>ſpannung, aber eine Art unruhiger Langeweile, und<lb/>
es kamen Stunden, wo ich mir ſagte, daß wenn ich<lb/>
noch einmal zu leben anfangen ſollte, ich nicht als<lb/>
Arbeitsbiene wieder anfangen möchte. Ich hätte Zer¬<lb/>ſtreuungen ſuchen können, Umgang, großſtädtiſchen<lb/>
Wechſel, hätte reiſen können, künſtleriſche Liebhabe¬<lb/>
reien pflegen und Gott weiß was ſonſt noch Alles<lb/>
reiche Leute können. Aber ich kannte mich hinlänglich,<lb/>
um zu wiſſen, daß das, was mir fehlte, nicht von<lb/>
Außen in mich getragen, daß es aus dem Innern<lb/>
herauswachſen müſſe. Was es aber war, das in mir<lb/></p></div></body></text></TEI>
[168/0172]
freiten nicht nach Neigung und Luſt, ſondern nach
Vernunft und elterlichem Willen; der Bettler ſchlug
einen Bogen um Reckenburg, denn er ſah keinen Bro¬
ſamen von des Reichen Tiſche fallen, und „arbeite
wie wir, ſo wirſt Du Dich wohl befinden wie wir,
ein Jeder ſorge für das Seine,“ ſchallte es ihm von
der ungaſtlichen Schwelle entgegen. In der That:
wir waren eine ſehr ehrſame, aber eine ſehr liebloſe
Colonie!
Die unbeſtimmte Empfindung von etwas Feh¬
lendem in meinem Werk und Leben dämmerte mir
zum erſtenmale in jener Pauſe, wo ich mich des
Gelingens hätte freuen ſollen. Ich ſpürte keine Ab¬
ſpannung, aber eine Art unruhiger Langeweile, und
es kamen Stunden, wo ich mir ſagte, daß wenn ich
noch einmal zu leben anfangen ſollte, ich nicht als
Arbeitsbiene wieder anfangen möchte. Ich hätte Zer¬
ſtreuungen ſuchen können, Umgang, großſtädtiſchen
Wechſel, hätte reiſen können, künſtleriſche Liebhabe¬
reien pflegen und Gott weiß was ſonſt noch Alles
reiche Leute können. Aber ich kannte mich hinlänglich,
um zu wiſſen, daß das, was mir fehlte, nicht von
Außen in mich getragen, daß es aus dem Innern
herauswachſen müſſe. Was es aber war, das in mir
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/172>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.