vordem nicht vermißt hatte. Anmuthige Sitzplätze ladeten aller Orten zur Ruhe ein, eine einzige große Fontaine inmitten der Terrasse spendete kühlend die Wassermenge, welche die Ungethüme des Lustgartens in zahllosen Fädchen ausgetröpfelt hatten, und die Singvögel des Waldes flatterten bis an den Rand des Bassins, wo freundliche Kinderhände ihnen Futter streuten. Alles in Allem: unsere Reckenburg, ohne ihren herrschaftlichen Ursprung zu verleugnen, hatte sich in ein Heimwesen mit zeitgemäßem, bürgerlichem Behagen umgewandelt, und wie hätte fortan ein Be¬ dürftiger ohne Labe und Pflege von ihrer Schwelle gewiesen werden sollen, wenn die kleine Hardine für ihn "bitte, bitte" sprach. Gut geartete Kinder geben ja so gern und die kleine Hardine war ein gut geartetes Kind. Als in den ersten dreißiger Jahren die Cholera rings im Lande viele Opfer forderte, und mit einem ihrer Katzensprünge nur unser Recken¬ burg, verschonte, da errichtete das Fräulein ein statt¬ liches Waisenhaus und an dem Einsegnungstage ihrer Pflegetochter wurden fünfzig kleine, vater- und mutter¬ lose Mädchen darin eingeführt.
So ist die kleine Hardine nun ein erwachsenes Dämchen geworden; und ein wechselnder Verkehr mit
vordem nicht vermißt hatte. Anmuthige Sitzplätze ladeten aller Orten zur Ruhe ein, eine einzige große Fontaine inmitten der Terraſſe ſpendete kühlend die Waſſermenge, welche die Ungethüme des Luſtgartens in zahlloſen Fädchen ausgetröpfelt hatten, und die Singvögel des Waldes flatterten bis an den Rand des Baſſins, wo freundliche Kinderhände ihnen Futter ſtreuten. Alles in Allem: unſere Reckenburg, ohne ihren herrſchaftlichen Urſprung zu verleugnen, hatte ſich in ein Heimweſen mit zeitgemäßem, bürgerlichem Behagen umgewandelt, und wie hätte fortan ein Be¬ dürftiger ohne Labe und Pflege von ihrer Schwelle gewieſen werden ſollen, wenn die kleine Hardine für ihn „bitte, bitte“ ſprach. Gut geartete Kinder geben ja ſo gern und die kleine Hardine war ein gut geartetes Kind. Als in den erſten dreißiger Jahren die Cholera rings im Lande viele Opfer forderte, und mit einem ihrer Katzenſprünge nur unſer Recken¬ burg, verſchonte, da errichtete das Fräulein ein ſtatt¬ liches Waiſenhaus und an dem Einſegnungstage ihrer Pflegetochter wurden fünfzig kleine, vater- und mutter¬ loſe Mädchen darin eingeführt.
So iſt die kleine Hardine nun ein erwachſenes Dämchen geworden; und ein wechſelnder Verkehr mit
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0226"n="222"/>
vordem nicht vermißt hatte. Anmuthige Sitzplätze<lb/>
ladeten aller Orten zur Ruhe ein, eine einzige große<lb/>
Fontaine inmitten der Terraſſe ſpendete kühlend die<lb/>
Waſſermenge, welche die Ungethüme des Luſtgartens<lb/>
in zahlloſen Fädchen ausgetröpfelt hatten, und die<lb/>
Singvögel des Waldes flatterten bis an den Rand des<lb/>
Baſſins, wo freundliche Kinderhände ihnen Futter<lb/>ſtreuten. Alles in Allem: unſere Reckenburg, ohne<lb/>
ihren herrſchaftlichen Urſprung zu verleugnen, hatte<lb/>ſich in ein Heimweſen mit zeitgemäßem, bürgerlichem<lb/>
Behagen umgewandelt, und wie hätte fortan ein Be¬<lb/>
dürftiger ohne Labe und Pflege von ihrer Schwelle<lb/>
gewieſen werden ſollen, wenn die kleine Hardine für<lb/>
ihn „bitte, bitte“ſprach. Gut geartete Kinder geben<lb/>
ja ſo gern und die kleine Hardine war ein gut<lb/>
geartetes Kind. Als in den erſten dreißiger Jahren<lb/>
die Cholera rings im Lande viele Opfer forderte,<lb/>
und mit einem ihrer Katzenſprünge nur unſer Recken¬<lb/>
burg, verſchonte, da errichtete das Fräulein ein ſtatt¬<lb/>
liches Waiſenhaus und an dem Einſegnungstage ihrer<lb/>
Pflegetochter wurden fünfzig kleine, vater- und mutter¬<lb/>
loſe Mädchen darin eingeführt.</p><lb/><p>So iſt die kleine Hardine nun ein erwachſenes<lb/>
Dämchen geworden; und ein wechſelnder Verkehr mit<lb/></p></div></body></text></TEI>
[222/0226]
vordem nicht vermißt hatte. Anmuthige Sitzplätze
ladeten aller Orten zur Ruhe ein, eine einzige große
Fontaine inmitten der Terraſſe ſpendete kühlend die
Waſſermenge, welche die Ungethüme des Luſtgartens
in zahlloſen Fädchen ausgetröpfelt hatten, und die
Singvögel des Waldes flatterten bis an den Rand des
Baſſins, wo freundliche Kinderhände ihnen Futter
ſtreuten. Alles in Allem: unſere Reckenburg, ohne
ihren herrſchaftlichen Urſprung zu verleugnen, hatte
ſich in ein Heimweſen mit zeitgemäßem, bürgerlichem
Behagen umgewandelt, und wie hätte fortan ein Be¬
dürftiger ohne Labe und Pflege von ihrer Schwelle
gewieſen werden ſollen, wenn die kleine Hardine für
ihn „bitte, bitte“ ſprach. Gut geartete Kinder geben
ja ſo gern und die kleine Hardine war ein gut
geartetes Kind. Als in den erſten dreißiger Jahren
die Cholera rings im Lande viele Opfer forderte,
und mit einem ihrer Katzenſprünge nur unſer Recken¬
burg, verſchonte, da errichtete das Fräulein ein ſtatt¬
liches Waiſenhaus und an dem Einſegnungstage ihrer
Pflegetochter wurden fünfzig kleine, vater- und mutter¬
loſe Mädchen darin eingeführt.
So iſt die kleine Hardine nun ein erwachſenes
Dämchen geworden; und ein wechſelnder Verkehr mit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/226>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.