François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.ihrer Väter, das Erbe, welches deren Namen in die In wenigen Wochen waren Ludwig Nordheim Manche unserer heimischen Zeitgenossen werden ihrer Väter, das Erbe, welches deren Namen in die In wenigen Wochen waren Ludwig Nordheim Manche unſerer heimiſchen Zeitgenoſſen werden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0230" n="226"/> ihrer Väter, das Erbe, welches deren Namen in die<lb/> Zukunft leitete, auf die Familie eines Mannes über¬<lb/> tragen, der als Bedienſteter in ihrem Lohn und Brode<lb/> ſtand. Wer reines Blut in ſeinen Adern fühlte,<lb/> brachte ein Hoch aus auf die alte Reckenburgerin.</p><lb/> <p>In wenigen Wochen waren Ludwig Nordheim<lb/> und Hardine Müller ein Paar. Die unruhige Span¬<lb/> nung aber ſteigerte ſich, als ſchon am Tage nach der<lb/> Hochzeit ſich die Neuigkeit verbreitete, daß das Fräulein<lb/> von Reckenburg ein Teſtament übergeben habe. Sie<lb/> hatte es ohne notariellen Beiſtand abgefaßt, Siegelung<lb/> und jedwede gerichtliche Einmiſchung in die zur Zeit<lb/> ihres Todes beſtehende Verwaltung unterſagt, bis nach<lb/> dreißigtägiger Friſt die Eröffnung ſtattgefunden haben<lb/> werde. Mit dieſer letzten Clauſel mochte es allerdings<lb/> Weile haben. Die Teſtatorin war an Geiſt wie Körper<lb/> kerngeſund, kein Haar auf ihrem Haupte ergraut, der<lb/> ſtolze Nacken nicht um eine Linie gekrümmt. Sie zählte<lb/> ſechszig Jahre, vielleicht auch mehr, aber ſie ſchien auf<lb/> ein Jahrhundert angelegt.</p><lb/> <p>Manche unſerer heimiſchen Zeitgenoſſen werden<lb/> ſich daher des allſeitigen Staunens, ja Erſtarrens er¬<lb/> innern — dem Herausgeber zittert heute noch die<lb/> Hand, nun er bei dieſem Wendepunkt angelangt iſt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [226/0230]
ihrer Väter, das Erbe, welches deren Namen in die
Zukunft leitete, auf die Familie eines Mannes über¬
tragen, der als Bedienſteter in ihrem Lohn und Brode
ſtand. Wer reines Blut in ſeinen Adern fühlte,
brachte ein Hoch aus auf die alte Reckenburgerin.
In wenigen Wochen waren Ludwig Nordheim
und Hardine Müller ein Paar. Die unruhige Span¬
nung aber ſteigerte ſich, als ſchon am Tage nach der
Hochzeit ſich die Neuigkeit verbreitete, daß das Fräulein
von Reckenburg ein Teſtament übergeben habe. Sie
hatte es ohne notariellen Beiſtand abgefaßt, Siegelung
und jedwede gerichtliche Einmiſchung in die zur Zeit
ihres Todes beſtehende Verwaltung unterſagt, bis nach
dreißigtägiger Friſt die Eröffnung ſtattgefunden haben
werde. Mit dieſer letzten Clauſel mochte es allerdings
Weile haben. Die Teſtatorin war an Geiſt wie Körper
kerngeſund, kein Haar auf ihrem Haupte ergraut, der
ſtolze Nacken nicht um eine Linie gekrümmt. Sie zählte
ſechszig Jahre, vielleicht auch mehr, aber ſie ſchien auf
ein Jahrhundert angelegt.
Manche unſerer heimiſchen Zeitgenoſſen werden
ſich daher des allſeitigen Staunens, ja Erſtarrens er¬
innern — dem Herausgeber zittert heute noch die
Hand, nun er bei dieſem Wendepunkt angelangt iſt
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