lächelte zum erstenmale unter meinem Dach, -- vielleicht zum erstenmale im Leben.
"Das Kind friert. Es braucht Wärme!" sagte ich, und von dem Tage ab wohnte und schlief es in meinem Erkerthurm, der gegen die Mittags- und Abendsonne gelegen und allein von der langen, glän¬ zenden Zimmerflucht warm, und allenfalls wohnlich eingerichtet war.
Nun aß ich mit der Kleinen an einem Tisch, nun sah ich sie Morgens und Abends in ihrem Bett, nun merkte ich auf die Entwickelung des zarten Keimes. Lange freilich noch nicht mit der bewußten Liebe des Gärtners, der ein Samenkorn zum Pflänzchen auf¬ erzieht, aber doch mit einer Art von neugierigem Ver¬ langen: ob es wohl zur Blüthe kommen wird? Sie wurde täglich weißer, runder, gefälliger anzusehen. Manchmal rief ich überrascht: die Dorl! Aber sie drehte sich nicht wie die Dorl, lachte nicht, schwatzte nicht, spielte nicht wie sie, und der große, schwarze Hund war ihr einziger, aber treuergebener Freund.
Ich hatte mit dem Prediger einen Unterrichts¬ versuch verabredet, der nach Neujahr mit dem schwäch¬ lichen Geiste angestellt werden sollte. Am Nachmittag des Weihnachtsheiligabends kam er zu mir, die Kleine
lächelte zum erſtenmale unter meinem Dach, — vielleicht zum erſtenmale im Leben.
„Das Kind friert. Es braucht Wärme!“ ſagte ich, und von dem Tage ab wohnte und ſchlief es in meinem Erkerthurm, der gegen die Mittags- und Abendſonne gelegen und allein von der langen, glän¬ zenden Zimmerflucht warm, und allenfalls wohnlich eingerichtet war.
Nun aß ich mit der Kleinen an einem Tiſch, nun ſah ich ſie Morgens und Abends in ihrem Bett, nun merkte ich auf die Entwickelung des zarten Keimes. Lange freilich noch nicht mit der bewußten Liebe des Gärtners, der ein Samenkorn zum Pflänzchen auf¬ erzieht, aber doch mit einer Art von neugierigem Ver¬ langen: ob es wohl zur Blüthe kommen wird? Sie wurde täglich weißer, runder, gefälliger anzuſehen. Manchmal rief ich überraſcht: die Dorl! Aber ſie drehte ſich nicht wie die Dorl, lachte nicht, ſchwatzte nicht, ſpielte nicht wie ſie, und der große, ſchwarze Hund war ihr einziger, aber treuergebener Freund.
Ich hatte mit dem Prediger einen Unterrichts¬ verſuch verabredet, der nach Neujahr mit dem ſchwäch¬ lichen Geiſte angeſtellt werden ſollte. Am Nachmittag des Weihnachtsheiligabends kam er zu mir, die Kleine
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lächelte zum erſtenmale unter meinem Dach, —
vielleicht zum erſtenmale im Leben.
„Das Kind friert. Es braucht Wärme!“ ſagte
ich, und von dem Tage ab wohnte und ſchlief es in
meinem Erkerthurm, der gegen die Mittags- und
Abendſonne gelegen und allein von der langen, glän¬
zenden Zimmerflucht warm, und allenfalls wohnlich
eingerichtet war.
Nun aß ich mit der Kleinen an einem Tiſch, nun
ſah ich ſie Morgens und Abends in ihrem Bett, nun
merkte ich auf die Entwickelung des zarten Keimes.
Lange freilich noch nicht mit der bewußten Liebe des
Gärtners, der ein Samenkorn zum Pflänzchen auf¬
erzieht, aber doch mit einer Art von neugierigem Ver¬
langen: ob es wohl zur Blüthe kommen wird? Sie
wurde täglich weißer, runder, gefälliger anzuſehen.
Manchmal rief ich überraſcht: die Dorl! Aber ſie
drehte ſich nicht wie die Dorl, lachte nicht, ſchwatzte
nicht, ſpielte nicht wie ſie, und der große, ſchwarze
Hund war ihr einziger, aber treuergebener Freund.
Ich hatte mit dem Prediger einen Unterrichts¬
verſuch verabredet, der nach Neujahr mit dem ſchwäch¬
lichen Geiſte angeſtellt werden ſollte. Am Nachmittag
des Weihnachtsheiligabends kam er zu mir, die Kleine
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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/253>, abgerufen am 16.02.2025.
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