Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

aber der zuverlässigste Vermittler und Dir der mildeste
Anwalt sein."

Sie war bei diesen Worten wie vom Donner ge¬
rührt und es dauerte eine Weile, bevor sie der kind¬
lichen Beredtsamkeit Herr geworden war, mit welcher
sie meine Rechtsgrundsätze schon einmal aus dem
Felde geschlagen hatte. "Thun Sie es nicht, Fräu¬
lein Hardine!" rief sie außer sich. "Um Gottes Barm¬
herzigkeit willen thun Sie es nicht! Vor der ganzen
Welt, vor meinem eigenen Vater sogar eine verwor¬
fene, ehrlose Creatur, nur nicht vor den Augen des
arglosen, gütigen Herrn! Und würde er es der gnädi¬
gen Frau Mutter verbergen können, verbergen wollen?
Wie sollte ich vor ihr bestehen und fortan unter
einem Dache mit ihr leben? Sie ist so streng, so
stolz! Auch Sie würden von ihr zu leiden haben,
Fräulein Hardine, Sie erst recht. Und weiß es erst
Einer, wird's ein Lauffeuer. Ich habe es ja nicht
anders verdient, ich müßte es hinnehmen. Aber auch
Sie bekrittelt zu sehen, Sie, die Sie mir ein Engel
gewesen sind, von den eigenen lieben Eltern getadelt,
ich ertrüg' es nicht. -- Und warum das Alles?" fuhr
sie nach einer Pause fort, während welcher ich diesen
unbeachteten Gesichtspunkt hin und her erwogen hatte.

aber der zuverläſſigſte Vermittler und Dir der mildeſte
Anwalt ſein.“

Sie war bei dieſen Worten wie vom Donner ge¬
rührt und es dauerte eine Weile, bevor ſie der kind¬
lichen Beredtſamkeit Herr geworden war, mit welcher
ſie meine Rechtsgrundſätze ſchon einmal aus dem
Felde geſchlagen hatte. „Thun Sie es nicht, Fräu¬
lein Hardine!“ rief ſie außer ſich. „Um Gottes Barm¬
herzigkeit willen thun Sie es nicht! Vor der ganzen
Welt, vor meinem eigenen Vater ſogar eine verwor¬
fene, ehrloſe Creatur, nur nicht vor den Augen des
argloſen, gütigen Herrn! Und würde er es der gnädi¬
gen Frau Mutter verbergen können, verbergen wollen?
Wie ſollte ich vor ihr beſtehen und fortan unter
einem Dache mit ihr leben? Sie iſt ſo ſtreng, ſo
ſtolz! Auch Sie würden von ihr zu leiden haben,
Fräulein Hardine, Sie erſt recht. Und weiß es erſt
Einer, wird's ein Lauffeuer. Ich habe es ja nicht
anders verdient, ich müßte es hinnehmen. Aber auch
Sie bekrittelt zu ſehen, Sie, die Sie mir ein Engel
geweſen ſind, von den eigenen lieben Eltern getadelt,
ich ertrüg' es nicht. — Und warum das Alles?“ fuhr
ſie nach einer Pauſe fort, während welcher ich dieſen
unbeachteten Geſichtspunkt hin und her erwogen hatte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046" n="42"/>
aber der zuverlä&#x017F;&#x017F;ig&#x017F;te Vermittler und Dir der milde&#x017F;te<lb/>
Anwalt &#x017F;ein.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie war bei die&#x017F;en Worten wie vom Donner ge¬<lb/>
rührt und es dauerte eine Weile, bevor &#x017F;ie der kind¬<lb/>
lichen Beredt&#x017F;amkeit Herr geworden war, mit welcher<lb/>
&#x017F;ie meine Rechtsgrund&#x017F;ätze &#x017F;chon einmal aus dem<lb/>
Felde ge&#x017F;chlagen hatte. &#x201E;Thun Sie es nicht, Fräu¬<lb/>
lein Hardine!&#x201C; rief &#x017F;ie außer &#x017F;ich. &#x201E;Um Gottes Barm¬<lb/>
herzigkeit willen thun Sie es nicht! Vor der ganzen<lb/>
Welt, vor meinem eigenen Vater &#x017F;ogar eine verwor¬<lb/>
fene, ehrlo&#x017F;e Creatur, nur nicht vor den Augen des<lb/>
arglo&#x017F;en, gütigen Herrn! Und würde er es der gnädi¬<lb/>
gen Frau Mutter verbergen können, verbergen wollen?<lb/>
Wie &#x017F;ollte ich vor ihr be&#x017F;tehen und fortan unter<lb/>
einem Dache mit ihr leben? Sie i&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;treng, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;tolz! Auch Sie würden von ihr zu leiden haben,<lb/>
Fräulein Hardine, Sie er&#x017F;t recht. Und weiß es er&#x017F;t<lb/>
Einer, wird's ein Lauffeuer. Ich habe es ja nicht<lb/>
anders verdient, ich müßte es hinnehmen. Aber auch<lb/>
Sie bekrittelt zu &#x017F;ehen, Sie, die Sie mir ein Engel<lb/>
gewe&#x017F;en &#x017F;ind, von den eigenen lieben Eltern getadelt,<lb/>
ich ertrüg' es nicht. &#x2014; Und warum das Alles?&#x201C; fuhr<lb/>
&#x017F;ie nach einer Pau&#x017F;e fort, während welcher ich die&#x017F;en<lb/>
unbeachteten Ge&#x017F;ichtspunkt hin und her erwogen hatte.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0046] aber der zuverläſſigſte Vermittler und Dir der mildeſte Anwalt ſein.“ Sie war bei dieſen Worten wie vom Donner ge¬ rührt und es dauerte eine Weile, bevor ſie der kind¬ lichen Beredtſamkeit Herr geworden war, mit welcher ſie meine Rechtsgrundſätze ſchon einmal aus dem Felde geſchlagen hatte. „Thun Sie es nicht, Fräu¬ lein Hardine!“ rief ſie außer ſich. „Um Gottes Barm¬ herzigkeit willen thun Sie es nicht! Vor der ganzen Welt, vor meinem eigenen Vater ſogar eine verwor¬ fene, ehrloſe Creatur, nur nicht vor den Augen des argloſen, gütigen Herrn! Und würde er es der gnädi¬ gen Frau Mutter verbergen können, verbergen wollen? Wie ſollte ich vor ihr beſtehen und fortan unter einem Dache mit ihr leben? Sie iſt ſo ſtreng, ſo ſtolz! Auch Sie würden von ihr zu leiden haben, Fräulein Hardine, Sie erſt recht. Und weiß es erſt Einer, wird's ein Lauffeuer. Ich habe es ja nicht anders verdient, ich müßte es hinnehmen. Aber auch Sie bekrittelt zu ſehen, Sie, die Sie mir ein Engel geweſen ſind, von den eigenen lieben Eltern getadelt, ich ertrüg' es nicht. — Und warum das Alles?“ fuhr ſie nach einer Pauſe fort, während welcher ich dieſen unbeachteten Geſichtspunkt hin und her erwogen hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/46
Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/46>, abgerufen am 21.11.2024.