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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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"Weil dieses Einschreiten nicht begehrt worden
ist," antwortete er ruhig, "und weil es, unbegehrt, in
so später Stunde zwecklos oder gefahrvoll gewesen
sein würde."

"Es wird, so Gott will, noch zu dieser Stunde
nicht zwecklos sein und die höchste Gefahr abwenden,
nicht herbeiführen," sagte ich, und stürzte aus der Thür.

Nachdem ich den Wirth beauftragt hatte, mir
augenblicklich Extrapost zu bestellen, kehrte ich zu dem
Probst zurück, der nachdenklich neben dem schlafenden
Knaben saß, und dessen Hand in der seinen hielt.
Ich rannte ungeduldig im Zimmer auf und nieder.
Nie im Leben hatte ich mich in ähnlicher Aufregung
gefühlt. Jede Minute des Wartens däuchte mir eine
Ewigkeit, ich hätte mir Flügel anheften und von dan¬
nen fliegen mögen.

"Beruhigen Sie sich, liebes Kind," mahnte end¬
lich der Freund. "Sie erreichen Ihr Haus noch in
dieser Nacht. Einige Minuten früher oder später,
-- allemal früh genug oder zu spät."

"So erzählen Sie," rief ich, und der alte Herr
hob mit absichtlicher Breite also an:

"Da ich Ihren Brief in Jena vorgefunden, ver¬
weilte ich dort noch ein paar Tage in heiterster Stim¬

„Weil dieſes Einſchreiten nicht begehrt worden
iſt,“ antwortete er ruhig, „und weil es, unbegehrt, in
ſo ſpäter Stunde zwecklos oder gefahrvoll geweſen
ſein würde.“

„Es wird, ſo Gott will, noch zu dieſer Stunde
nicht zwecklos ſein und die höchſte Gefahr abwenden,
nicht herbeiführen,“ ſagte ich, und ſtürzte aus der Thür.

Nachdem ich den Wirth beauftragt hatte, mir
augenblicklich Extrapoſt zu beſtellen, kehrte ich zu dem
Probſt zurück, der nachdenklich neben dem ſchlafenden
Knaben ſaß, und deſſen Hand in der ſeinen hielt.
Ich rannte ungeduldig im Zimmer auf und nieder.
Nie im Leben hatte ich mich in ähnlicher Aufregung
gefühlt. Jede Minute des Wartens däuchte mir eine
Ewigkeit, ich hätte mir Flügel anheften und von dan¬
nen fliegen mögen.

„Beruhigen Sie ſich, liebes Kind,“ mahnte end¬
lich der Freund. „Sie erreichen Ihr Haus noch in
dieſer Nacht. Einige Minuten früher oder ſpäter,
— allemal früh genug oder zu ſpät.“

„So erzählen Sie,“ rief ich, und der alte Herr
hob mit abſichtlicher Breite alſo an:

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[70/0074] „Weil dieſes Einſchreiten nicht begehrt worden iſt,“ antwortete er ruhig, „und weil es, unbegehrt, in ſo ſpäter Stunde zwecklos oder gefahrvoll geweſen ſein würde.“ „Es wird, ſo Gott will, noch zu dieſer Stunde nicht zwecklos ſein und die höchſte Gefahr abwenden, nicht herbeiführen,“ ſagte ich, und ſtürzte aus der Thür. Nachdem ich den Wirth beauftragt hatte, mir augenblicklich Extrapoſt zu beſtellen, kehrte ich zu dem Probſt zurück, der nachdenklich neben dem ſchlafenden Knaben ſaß, und deſſen Hand in der ſeinen hielt. Ich rannte ungeduldig im Zimmer auf und nieder. Nie im Leben hatte ich mich in ähnlicher Aufregung gefühlt. Jede Minute des Wartens däuchte mir eine Ewigkeit, ich hätte mir Flügel anheften und von dan¬ nen fliegen mögen. „Beruhigen Sie ſich, liebes Kind,“ mahnte end¬ lich der Freund. „Sie erreichen Ihr Haus noch in dieſer Nacht. Einige Minuten früher oder ſpäter, — allemal früh genug oder zu ſpät.“ „So erzählen Sie,“ rief ich, und der alte Herr hob mit abſichtlicher Breite alſo an: „Da ich Ihren Brief in Jena vorgefunden, ver¬ weilte ich dort noch ein paar Tage in heiterſter Stim¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/74>, abgerufen am 21.11.2024.