Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.sein Leid vergessen, doch liebte er auch sie mit Angst; Sie hatte eine bescheidene Wohnung gefunden; ſein Leid vergeſſen, doch liebte er auch ſie mit Angſt; Sie hatte eine beſcheidene Wohnung gefunden; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0124" n="108"/> ſein Leid vergeſſen, doch liebte er auch ſie mit Angſt;<lb/> die ſchöne Sicherheit der Jugend war ihm erſchüttert;<lb/> ſeit er das Augenlicht verloren, ſchien ihm aller Be¬<lb/> ſitz vergänglich. — Sobald er Mariannens Stimme<lb/> nicht hörte, überfiel ihn der Schrecken: ſie iſt fort;<lb/> ſo oft er in der Nacht erwachte, rief er angſtvoll<lb/> ihren Namen, daß ſie oft zitternd aus dem Schlafe<lb/> fuhr und horchte, und wenn er zu rufen nicht auf¬<lb/> hörte, an ſeine Kammer ſchlich und ihn beruhigte,<lb/> wie ein fieberndes Kind.</p><lb/> <p>Sie hatte eine beſcheidene Wohnung gefunden;<lb/> der See war nah, und ſchön waren die Stunden<lb/> am Waſſer. Alfred lag auf dem Boden ausgeſtreckt<lb/> in der würzig duftenden Minze; Marianne ſaß auf<lb/> einem Feldſtühlchen neben ihm, vorleſend oder plau¬<lb/> dernd und Alfred mit ihren Augen ſehen laſſend, wie<lb/> ſie es nannten. Er ſah dadurch die Form der wal¬<lb/> digen Ufer, den ſpitzen Kirchthurm des Dorfes, die<lb/> Farbe des Waſſers auf den perlmutterglänzenden<lb/> Steinen, das Funkengeblinzel auf der Oberfläche,<lb/> wenn die Sonne hoch ſtand, die gelben Schwertlilien<lb/> im windgeſchwungenen Schilf, die munteren Waſſer¬<lb/> ſtaare im weißen Wämschen, braunen Röckchen, die<lb/> nicht nur mit den Schwalben um die Wette über die<lb/> Wellen ſtreiften, nein, auch tief hineintauchten und<lb/> auf dem Grunde dahinliefen; endlich das ſonnver¬<lb/> brannte blonde Rudermädchen, Hoffiſchers Magd mit<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [108/0124]
ſein Leid vergeſſen, doch liebte er auch ſie mit Angſt;
die ſchöne Sicherheit der Jugend war ihm erſchüttert;
ſeit er das Augenlicht verloren, ſchien ihm aller Be¬
ſitz vergänglich. — Sobald er Mariannens Stimme
nicht hörte, überfiel ihn der Schrecken: ſie iſt fort;
ſo oft er in der Nacht erwachte, rief er angſtvoll
ihren Namen, daß ſie oft zitternd aus dem Schlafe
fuhr und horchte, und wenn er zu rufen nicht auf¬
hörte, an ſeine Kammer ſchlich und ihn beruhigte,
wie ein fieberndes Kind.
Sie hatte eine beſcheidene Wohnung gefunden;
der See war nah, und ſchön waren die Stunden
am Waſſer. Alfred lag auf dem Boden ausgeſtreckt
in der würzig duftenden Minze; Marianne ſaß auf
einem Feldſtühlchen neben ihm, vorleſend oder plau¬
dernd und Alfred mit ihren Augen ſehen laſſend, wie
ſie es nannten. Er ſah dadurch die Form der wal¬
digen Ufer, den ſpitzen Kirchthurm des Dorfes, die
Farbe des Waſſers auf den perlmutterglänzenden
Steinen, das Funkengeblinzel auf der Oberfläche,
wenn die Sonne hoch ſtand, die gelben Schwertlilien
im windgeſchwungenen Schilf, die munteren Waſſer¬
ſtaare im weißen Wämschen, braunen Röckchen, die
nicht nur mit den Schwalben um die Wette über die
Wellen ſtreiften, nein, auch tief hineintauchten und
auf dem Grunde dahinliefen; endlich das ſonnver¬
brannte blonde Rudermädchen, Hoffiſchers Magd mit
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |