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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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nicht zu schluchzen wie ein Knabe: "Alle gegen Einen!
Wenn Alle so gegen Einen anstürmen!"

Gern wäre er fortgelaufen, aber doch hielt es
ihn wieder wie mit Zangen. Die Erfahrung von
gestern, daß man ihn so garnicht nöthig habe und er
die Andern so sehr, so sehr, kam wieder, aber heut
mit einer qualvollen Schärfe, die ihn ganz durchbeizte.
So kam er nach Hause. Alles Verlangen nach Speise
und Trank war von ihm gewichen. Er schleppte sich
die Treppe hinauf und warf sich todtmüde aufs
Sopha. So tief war er getroffen, daß er wie ein
körperlich Verwundeter vor Ermattung einschlief und
fest und traumlos schlummerte stundenlang.

Mit der unklaren Empfindung eines großen Glücks,
einer um ihn verbreiteten Wonne kam ihm die Besin¬
nung zurück. Sie sang wieder. Heut schien es noch
ferner als in der Nacht, es legte sich so vieles Tages¬
geräusch dazwischen. Doch selbst aus solcher Weite klang
es wunderbar beruhigend, wie der Ausdruck der tiefen
Uebereinstimmung unter der scheinbar so verschiedenen,
so widerstrebenden Wesenwelt. Es war kein deutsches
Lied, irgend ein alter italienischer Hymnus. Ein
leidenschaftliches Flehen und Werben um Gnade, ein
stammelndes Geloben der Hingebung, ein sich Auf¬
lösen und Zerfließen in der Gottheit. Ach, wie sie
schön war! Er sah sie wieder, sie trug die Züge der
Gestalt, die sich das Mitleid nannte, aber sie stand

nicht zu ſchluchzen wie ein Knabe: „Alle gegen Einen!
Wenn Alle ſo gegen Einen anſtürmen!“

Gern wäre er fortgelaufen, aber doch hielt es
ihn wieder wie mit Zangen. Die Erfahrung von
geſtern, daß man ihn ſo garnicht nöthig habe und er
die Andern ſo ſehr, ſo ſehr, kam wieder, aber heut
mit einer qualvollen Schärfe, die ihn ganz durchbeizte.
So kam er nach Hauſe. Alles Verlangen nach Speiſe
und Trank war von ihm gewichen. Er ſchleppte ſich
die Treppe hinauf und warf ſich todtmüde aufs
Sopha. So tief war er getroffen, daß er wie ein
körperlich Verwundeter vor Ermattung einſchlief und
feſt und traumlos ſchlummerte ſtundenlang.

Mit der unklaren Empfindung eines großen Glücks,
einer um ihn verbreiteten Wonne kam ihm die Beſin¬
nung zurück. Sie ſang wieder. Heut ſchien es noch
ferner als in der Nacht, es legte ſich ſo vieles Tages¬
geräuſch dazwiſchen. Doch ſelbſt aus ſolcher Weite klang
es wunderbar beruhigend, wie der Ausdruck der tiefen
Uebereinſtimmung unter der ſcheinbar ſo verſchiedenen,
ſo widerſtrebenden Weſenwelt. Es war kein deutſches
Lied, irgend ein alter italieniſcher Hymnus. Ein
leidenſchaftliches Flehen und Werben um Gnade, ein
ſtammelndes Geloben der Hingebung, ein ſich Auf¬
löſen und Zerfließen in der Gottheit. Ach, wie ſie
ſchön war! Er ſah ſie wieder, ſie trug die Züge der
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[16/0032] nicht zu ſchluchzen wie ein Knabe: „Alle gegen Einen! Wenn Alle ſo gegen Einen anſtürmen!“ Gern wäre er fortgelaufen, aber doch hielt es ihn wieder wie mit Zangen. Die Erfahrung von geſtern, daß man ihn ſo garnicht nöthig habe und er die Andern ſo ſehr, ſo ſehr, kam wieder, aber heut mit einer qualvollen Schärfe, die ihn ganz durchbeizte. So kam er nach Hauſe. Alles Verlangen nach Speiſe und Trank war von ihm gewichen. Er ſchleppte ſich die Treppe hinauf und warf ſich todtmüde aufs Sopha. So tief war er getroffen, daß er wie ein körperlich Verwundeter vor Ermattung einſchlief und feſt und traumlos ſchlummerte ſtundenlang. Mit der unklaren Empfindung eines großen Glücks, einer um ihn verbreiteten Wonne kam ihm die Beſin¬ nung zurück. Sie ſang wieder. Heut ſchien es noch ferner als in der Nacht, es legte ſich ſo vieles Tages¬ geräuſch dazwiſchen. Doch ſelbſt aus ſolcher Weite klang es wunderbar beruhigend, wie der Ausdruck der tiefen Uebereinſtimmung unter der ſcheinbar ſo verſchiedenen, ſo widerſtrebenden Weſenwelt. Es war kein deutſches Lied, irgend ein alter italieniſcher Hymnus. Ein leidenſchaftliches Flehen und Werben um Gnade, ein ſtammelndes Geloben der Hingebung, ein ſich Auf¬ löſen und Zerfließen in der Gottheit. Ach, wie ſie ſchön war! Er ſah ſie wieder, ſie trug die Züge der Geſtalt, die ſich das Mitleid nannte, aber ſie ſtand

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/32>, abgerufen am 21.11.2024.