Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.geschwärzten Fingern unter den Pastellfarben umhergreift. Durch das einzige unverhüllte Fenster - die fünf übrigen sind unter Läden und Vorhängen doppelt versiegelt - fällt ein grünlich gedämpfter Ton auf das gesund rothe Gesicht der Baronin, die in einem süßlila Foulardkleid mit tiefem Ausschnitt Modell sitzt. Die Sitzung dauert erst zehn Minuten, und Lore hat schon mehrmals Gelegenheit gehabt, die Geduld zu verlieren. Sie schneidet dann Grimassen, rückt mit dem Kopf, sagt wohl auch ein kurzes Wort, so höflich sie's herausbringt. Die Baronin ist heut so steif wie eine gefrorene Wurst, äugelt an der Malerin herunter bis zu den kleinen festen Lederschuhen, in denen diese sicher und aufrecht steht, sieht fortwährend nach der Thür hinter sich, wobei sie so aus der Pose kommt, daß sie sich allein nicht wieder zurecht finden kann, fächelt sich mit einem Spitzentaschentuch, das etwas löcherig ist, allen Puder vom Gesicht, so daß es um sie stäubt wie in einer Mühle. "Bitte schön, ein bißchen mehr links!" und dann in fast flehendem Ton: "aber nicht wahr, die Nase nicht so einkneifen!" Die Baronin sitzt stumm und kneift sie erst recht zusammen, nicht aus Widerspruch, sonder aus sittlicher Größe, sie muß das heute thun. Da klopft's, und über Lores Gesicht fliegt ein Zornesschatten. Die sechs Tanten rücken an. Jeden Morgen, wenn sie geschwärzten Fingern unter den Pastellfarben umhergreift. Durch das einzige unverhüllte Fenster – die fünf übrigen sind unter Läden und Vorhängen doppelt versiegelt – fällt ein grünlich gedämpfter Ton auf das gesund rothe Gesicht der Baronin, die in einem süßlila Foulardkleid mit tiefem Ausschnitt Modell sitzt. Die Sitzung dauert erst zehn Minuten, und Lore hat schon mehrmals Gelegenheit gehabt, die Geduld zu verlieren. Sie schneidet dann Grimassen, rückt mit dem Kopf, sagt wohl auch ein kurzes Wort, so höflich sie’s herausbringt. Die Baronin ist heut so steif wie eine gefrorene Wurst, äugelt an der Malerin herunter bis zu den kleinen festen Lederschuhen, in denen diese sicher und aufrecht steht, sieht fortwährend nach der Thür hinter sich, wobei sie so aus der Pose kommt, daß sie sich allein nicht wieder zurecht finden kann, fächelt sich mit einem Spitzentaschentuch, das etwas löcherig ist, allen Puder vom Gesicht, so daß es um sie stäubt wie in einer Mühle. „Bitte schön, ein bißchen mehr links!“ und dann in fast flehendem Ton: „aber nicht wahr, die Nase nicht so einkneifen!“ Die Baronin sitzt stumm und kneift sie erst recht zusammen, nicht aus Widerspruch, sonder aus sittlicher Größe, sie muß das heute thun. Da klopft’s, und über Lores Gesicht fliegt ein Zornesschatten. Die sechs Tanten rücken an. Jeden Morgen, wenn sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0132" n="124"/> geschwärzten Fingern unter den Pastellfarben umhergreift. Durch das einzige unverhüllte Fenster – die fünf übrigen sind unter Läden und Vorhängen doppelt versiegelt – fällt ein grünlich gedämpfter Ton auf das gesund rothe Gesicht der Baronin, die in einem süßlila Foulardkleid mit tiefem Ausschnitt Modell sitzt.</p> <p>Die Sitzung dauert erst zehn Minuten, und Lore hat schon mehrmals Gelegenheit gehabt, die Geduld zu verlieren. Sie schneidet dann Grimassen, rückt mit dem Kopf, sagt wohl auch ein kurzes Wort, so höflich sie’s herausbringt. Die Baronin ist heut so steif wie eine gefrorene Wurst, äugelt an der Malerin herunter bis zu den kleinen festen Lederschuhen, in denen diese sicher und aufrecht steht, sieht fortwährend nach der Thür hinter sich, wobei sie so aus der Pose kommt, daß sie sich allein nicht wieder zurecht finden kann, fächelt sich mit einem Spitzentaschentuch, das etwas löcherig ist, allen Puder vom Gesicht, so daß es um sie stäubt wie in einer Mühle.</p> <p>„Bitte schön, ein bißchen mehr links!“ und dann in fast flehendem Ton: „aber nicht wahr, die Nase nicht so einkneifen!“</p> <p>Die Baronin sitzt stumm und kneift sie erst recht zusammen, nicht aus Widerspruch, sonder aus sittlicher Größe, sie muß das heute thun. Da klopft’s, und über Lores Gesicht fliegt ein Zornesschatten. Die sechs Tanten rücken an. Jeden Morgen, wenn sie </p> </div> </body> </text> </TEI> [124/0132]
geschwärzten Fingern unter den Pastellfarben umhergreift. Durch das einzige unverhüllte Fenster – die fünf übrigen sind unter Läden und Vorhängen doppelt versiegelt – fällt ein grünlich gedämpfter Ton auf das gesund rothe Gesicht der Baronin, die in einem süßlila Foulardkleid mit tiefem Ausschnitt Modell sitzt.
Die Sitzung dauert erst zehn Minuten, und Lore hat schon mehrmals Gelegenheit gehabt, die Geduld zu verlieren. Sie schneidet dann Grimassen, rückt mit dem Kopf, sagt wohl auch ein kurzes Wort, so höflich sie’s herausbringt. Die Baronin ist heut so steif wie eine gefrorene Wurst, äugelt an der Malerin herunter bis zu den kleinen festen Lederschuhen, in denen diese sicher und aufrecht steht, sieht fortwährend nach der Thür hinter sich, wobei sie so aus der Pose kommt, daß sie sich allein nicht wieder zurecht finden kann, fächelt sich mit einem Spitzentaschentuch, das etwas löcherig ist, allen Puder vom Gesicht, so daß es um sie stäubt wie in einer Mühle.
„Bitte schön, ein bißchen mehr links!“ und dann in fast flehendem Ton: „aber nicht wahr, die Nase nicht so einkneifen!“
Die Baronin sitzt stumm und kneift sie erst recht zusammen, nicht aus Widerspruch, sonder aus sittlicher Größe, sie muß das heute thun. Da klopft’s, und über Lores Gesicht fliegt ein Zornesschatten. Die sechs Tanten rücken an. Jeden Morgen, wenn sie
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