Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.hinter der Thürspalte August mit der "Quintessenz" in der Hand, die wasserblauen Augen kugelrund, die Coteletts gesträubt, Max grinsend und roth vor unterdrücktem Lachen, die beiden Mädchen hinter ihnen, mit Herzklopfen und verschlungenen Armen. Gräßlich, dieser Adolf! was er gesagt hatte: "Tante! Tante! ich liebe Annita!" Die Severins wollten losplatzen und stopften sich Taschentücher vor den Mund. Annita hatte sich dunkelroth von Adelheid losgerissen und in die Ecke geflüchtet. Sowie August seine runden Augen auf sie wandte, versteckte sie ihr Gesicht. Aber sie hatte doch alles gehört: Frau Severin's Beschwichtigungen: "Ja, mein Jung', Du mußt Dich abkühlen, komm, ich geb' Dir 'n Brausenpulver! Was sollst Du Annita nicht leiden mögen? Wir mögen sie ja Alle gern leiden. En gute kleine Deern! je jewiß! Da brauchst Dich doch nich so um anzustellen? Erst trinkst Du 'n Brausepulver, und dann gehst Du schön zu Hause." - - Aber da hatte der Adolf zu heulen und zu schreien angefangen, ganz wie ein Unsinniger und doch wieder wie ein kleiner Junge: "Ich kann nicht nach Hause geh'n, ich muß hier bleiben, ich liebe Annita, ich muß es ihr sagen, Tante, laß mich rein" Es war der aufregendste Augenblick in Annitas Leben gewesen. Sinnlos vor Angst war sie auf die Fensterbank gesprungen, aber Adelheid hatte sie wieder heruntergezogen, und Frau Severin hätte ihn auch hinter der Thürspalte August mit der „Quintessenz“ in der Hand, die wasserblauen Augen kugelrund, die Coteletts gesträubt, Max grinsend und roth vor unterdrücktem Lachen, die beiden Mädchen hinter ihnen, mit Herzklopfen und verschlungenen Armen. Gräßlich, dieser Adolf! was er gesagt hatte: „Tante! Tante! ich liebe Annita!“ Die Severins wollten losplatzen und stopften sich Taschentücher vor den Mund. Annita hatte sich dunkelroth von Adelheid losgerissen und in die Ecke geflüchtet. Sowie August seine runden Augen auf sie wandte, versteckte sie ihr Gesicht. Aber sie hatte doch alles gehört: Frau Severin’s Beschwichtigungen: „Ja, mein Jung’, Du mußt Dich abkühlen, komm, ich geb’ Dir ’n Brausenpulver! Was sollst Du Annita nicht leiden mögen? Wir mögen sie ja Alle gern leiden. En gute kleine Deern! je jewiß! Da brauchst Dich doch nich so um anzustellen? Erst trinkst Du ’n Brausepulver, und dann gehst Du schön zu Hause.“ – – Aber da hatte der Adolf zu heulen und zu schreien angefangen, ganz wie ein Unsinniger und doch wieder wie ein kleiner Junge: „Ich kann nicht nach Hause geh’n, ich muß hier bleiben, ich liebe Annita, ich muß es ihr sagen, Tante, laß mich rein“ Es war der aufregendste Augenblick in Annitas Leben gewesen. Sinnlos vor Angst war sie auf die Fensterbank gesprungen, aber Adelheid hatte sie wieder heruntergezogen, und Frau Severin hätte ihn auch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0224" n="216"/> hinter der Thürspalte August mit der „Quintessenz“ in der Hand, die wasserblauen Augen kugelrund, die Coteletts gesträubt, Max grinsend und roth vor unterdrücktem Lachen, die beiden Mädchen hinter ihnen, mit Herzklopfen und verschlungenen Armen. Gräßlich, dieser Adolf! was er gesagt hatte: „Tante! Tante! ich liebe Annita!“ Die Severins wollten losplatzen und stopften sich Taschentücher vor den Mund. Annita hatte sich dunkelroth von Adelheid losgerissen und in die Ecke geflüchtet. Sowie August seine runden Augen auf sie wandte, versteckte sie ihr Gesicht. Aber sie hatte doch alles gehört: Frau Severin’s Beschwichtigungen:</p> <p>„Ja, mein Jung’, Du mußt Dich abkühlen, komm, ich geb’ Dir ’n Brausenpulver! Was sollst Du Annita nicht leiden mögen? Wir mögen sie ja Alle gern leiden. En gute kleine Deern! je jewiß! Da brauchst Dich doch nich so um anzustellen? Erst trinkst Du ’n Brausepulver, und dann gehst Du schön zu Hause.“ – –</p> <p>Aber da hatte der Adolf zu heulen und zu schreien angefangen, ganz wie ein Unsinniger und doch wieder wie ein kleiner Junge: „Ich kann nicht nach Hause geh’n, ich muß hier bleiben, ich liebe Annita, ich muß es ihr sagen, Tante, laß mich rein“</p> <p>Es war der aufregendste Augenblick in Annitas Leben gewesen. Sinnlos vor Angst war sie auf die Fensterbank gesprungen, aber Adelheid hatte sie wieder heruntergezogen, und Frau Severin hätte ihn auch </p> </div> </body> </text> </TEI> [216/0224]
hinter der Thürspalte August mit der „Quintessenz“ in der Hand, die wasserblauen Augen kugelrund, die Coteletts gesträubt, Max grinsend und roth vor unterdrücktem Lachen, die beiden Mädchen hinter ihnen, mit Herzklopfen und verschlungenen Armen. Gräßlich, dieser Adolf! was er gesagt hatte: „Tante! Tante! ich liebe Annita!“ Die Severins wollten losplatzen und stopften sich Taschentücher vor den Mund. Annita hatte sich dunkelroth von Adelheid losgerissen und in die Ecke geflüchtet. Sowie August seine runden Augen auf sie wandte, versteckte sie ihr Gesicht. Aber sie hatte doch alles gehört: Frau Severin’s Beschwichtigungen:
„Ja, mein Jung’, Du mußt Dich abkühlen, komm, ich geb’ Dir ’n Brausenpulver! Was sollst Du Annita nicht leiden mögen? Wir mögen sie ja Alle gern leiden. En gute kleine Deern! je jewiß! Da brauchst Dich doch nich so um anzustellen? Erst trinkst Du ’n Brausepulver, und dann gehst Du schön zu Hause.“ – –
Aber da hatte der Adolf zu heulen und zu schreien angefangen, ganz wie ein Unsinniger und doch wieder wie ein kleiner Junge: „Ich kann nicht nach Hause geh’n, ich muß hier bleiben, ich liebe Annita, ich muß es ihr sagen, Tante, laß mich rein“
Es war der aufregendste Augenblick in Annitas Leben gewesen. Sinnlos vor Angst war sie auf die Fensterbank gesprungen, aber Adelheid hatte sie wieder heruntergezogen, und Frau Severin hätte ihn auch
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