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Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.

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einen Menschen, der sie so heiß und unglücklich liebte. Solche Menschen sind niemals dick! Ach, und die Augen! Auf hundert Schritte würde man ihn herauskennen und einander fragen: Wer ist der junge Mann mit den breiten, immer gesenkten Augenlidern? woher dieser düster brennende Blick und das schmerzliche Zucken der Brauen? Ja, wenn sie es wüßten! Aber das war zwischen ihm und ihr; Tante Severin war nicht zu rechnen, denn was verstand sie davon? Sie hatte Adolf nie verstanden! "Wo still ein Herz in Liebe glüht, o rühret, rühret nicht daran!" Aber Tante Severin hatte daran gerührt und "gewiß, es war nicht wohlgethan!" Denn Adolf war nun wieder völlig unsichtbar geworden. Das war ja gut - - insofern - aber wenn er nur jemand hätte, der ihn pflegte, der sich seiner annahm! Es kam ein Tag, wo Annita ihm eine angstvolle, herzklopfende Fensterpromenade machte, nur um zu wissen, ob Max, der täglich bei ihm vorbeiging, auch die Wahrheit berichtet habe. Gottlob, seine Fenster waren dunkel! Er ging schon wieder aus, Max war gerechtfertigt. Ach, wo mochte er nur umherirren in Nacht und Nebel? Der Februarabend war so ungastlich, es regnete nassen Schnee, und in die lauwarme Luft fuhren plötzliche eisigkalte Windstöße: Der Arme! Er war ja doch "drüben" geboren, und ihn fror immer an diesen naßkalten Wintertagen.

Auf einmal fiel ihr ein, sie könne ihm ja vielleicht

einen Menschen, der sie so heiß und unglücklich liebte. Solche Menschen sind niemals dick! Ach, und die Augen! Auf hundert Schritte würde man ihn herauskennen und einander fragen: Wer ist der junge Mann mit den breiten, immer gesenkten Augenlidern? woher dieser düster brennende Blick und das schmerzliche Zucken der Brauen? Ja, wenn sie es wüßten! Aber das war zwischen ihm und ihr; Tante Severin war nicht zu rechnen, denn was verstand sie davon? Sie hatte Adolf nie verstanden! „Wo still ein Herz in Liebe glüht, o rühret, rühret nicht daran!“ Aber Tante Severin hatte daran gerührt und „gewiß, es war nicht wohlgethan!“ Denn Adolf war nun wieder völlig unsichtbar geworden. Das war ja gut – – insofern – aber wenn er nur jemand hätte, der ihn pflegte, der sich seiner annahm! Es kam ein Tag, wo Annita ihm eine angstvolle, herzklopfende Fensterpromenade machte, nur um zu wissen, ob Max, der täglich bei ihm vorbeiging, auch die Wahrheit berichtet habe. Gottlob, seine Fenster waren dunkel! Er ging schon wieder aus, Max war gerechtfertigt. Ach, wo mochte er nur umherirren in Nacht und Nebel? Der Februarabend war so ungastlich, es regnete nassen Schnee, und in die lauwarme Luft fuhren plötzliche eisigkalte Windstöße: Der Arme! Er war ja doch „drüben“ geboren, und ihn fror immer an diesen naßkalten Wintertagen.

Auf einmal fiel ihr ein, sie könne ihm ja vielleicht

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[261/0269] einen Menschen, der sie so heiß und unglücklich liebte. Solche Menschen sind niemals dick! Ach, und die Augen! Auf hundert Schritte würde man ihn herauskennen und einander fragen: Wer ist der junge Mann mit den breiten, immer gesenkten Augenlidern? woher dieser düster brennende Blick und das schmerzliche Zucken der Brauen? Ja, wenn sie es wüßten! Aber das war zwischen ihm und ihr; Tante Severin war nicht zu rechnen, denn was verstand sie davon? Sie hatte Adolf nie verstanden! „Wo still ein Herz in Liebe glüht, o rühret, rühret nicht daran!“ Aber Tante Severin hatte daran gerührt und „gewiß, es war nicht wohlgethan!“ Denn Adolf war nun wieder völlig unsichtbar geworden. Das war ja gut – – insofern – aber wenn er nur jemand hätte, der ihn pflegte, der sich seiner annahm! Es kam ein Tag, wo Annita ihm eine angstvolle, herzklopfende Fensterpromenade machte, nur um zu wissen, ob Max, der täglich bei ihm vorbeiging, auch die Wahrheit berichtet habe. Gottlob, seine Fenster waren dunkel! Er ging schon wieder aus, Max war gerechtfertigt. Ach, wo mochte er nur umherirren in Nacht und Nebel? Der Februarabend war so ungastlich, es regnete nassen Schnee, und in die lauwarme Luft fuhren plötzliche eisigkalte Windstöße: Der Arme! Er war ja doch „drüben“ geboren, und ihn fror immer an diesen naßkalten Wintertagen. Auf einmal fiel ihr ein, sie könne ihm ja vielleicht

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/269>, abgerufen am 22.11.2024.