Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.ganz objektiv, weißt Du, aber es ging nicht, sie fielen beide über mich her und machten mich so klein, so klein, daß ich mich jedes Wortes schämte und endlich als arme Sünderin ohne Abendbrot zu Bette kroch. Seitdem sehen mich beide mit spähenden bekümmerten Blicken an, die Gereiztheit kann jede Minute wieder losbrechen. Sogar die Kinder thun mißtrauisch gegen mich, und bei der Botanikstunde ist Mama jetzt anwesend. "Ich muß doch wissen, was Du den Kleinen für überspanntes Zeug in den Kopf setzt!" Dein traurige Lisbeth. P.S. Nein, Du, Medizin möcht ich nicht studiren, das ist mir zu großartig und düster. Ich möchte Naturwissenschaften, aber recht viel. Ach, es ist zu dumm, es wird ja doch nichts daraus. Wenn Mama besonders lieb mit mir ist, sagt sie: "Glaube mir, ganz wie Du bin ich gewesen, aber dann, als ich mich verheirathete, habe ich gesehen, daß die Männer ganz andere Dinge von uns verlangen!" Ein schöner Trost, nicht? Arme Mama! Axel Lorenzen an Lisbeth Markwort. Kopenhagen, 16. Oktober 1892. Liebe Kleine! Anfangs wollte ich Dir wieder das schreiben, was Du einen "ekligen" Brief nennst, aber dann dachte ich, das würde Dich noch niedergeschlagener ganz objektiv, weißt Du, aber es ging nicht, sie fielen beide über mich her und machten mich so klein, so klein, daß ich mich jedes Wortes schämte und endlich als arme Sünderin ohne Abendbrot zu Bette kroch. Seitdem sehen mich beide mit spähenden bekümmerten Blicken an, die Gereiztheit kann jede Minute wieder losbrechen. Sogar die Kinder thun mißtrauisch gegen mich, und bei der Botanikstunde ist Mama jetzt anwesend. „Ich muß doch wissen, was Du den Kleinen für überspanntes Zeug in den Kopf setzt!“ Dein traurige Lisbeth. P.S. Nein, Du, Medizin möcht ich nicht studiren, das ist mir zu großartig und düster. Ich möchte Naturwissenschaften, aber recht viel. Ach, es ist zu dumm, es wird ja doch nichts daraus. Wenn Mama besonders lieb mit mir ist, sagt sie: „Glaube mir, ganz wie Du bin ich gewesen, aber dann, als ich mich verheirathete, habe ich gesehen, daß die Männer ganz andere Dinge von uns verlangen!“ Ein schöner Trost, nicht? Arme Mama! Axel Lorenzen an Lisbeth Markwort. Kopenhagen, 16. Oktober 1892. Liebe Kleine! Anfangs wollte ich Dir wieder das schreiben, was Du einen „ekligen“ Brief nennst, aber dann dachte ich, das würde Dich noch niedergeschlagener <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div type="letter" n="2"> <p><pb facs="#f0338" n="330"/> ganz objektiv, weißt Du, aber es ging nicht, sie fielen beide über mich her und machten mich so klein, so klein, daß ich mich jedes Wortes schämte und endlich als arme Sünderin ohne Abendbrot zu Bette kroch. Seitdem sehen mich beide mit spähenden bekümmerten Blicken an, die Gereiztheit kann jede Minute wieder losbrechen. Sogar die Kinder thun mißtrauisch gegen mich, und bei der Botanikstunde ist Mama jetzt anwesend. „Ich muß doch wissen, was Du den Kleinen für überspanntes Zeug in den Kopf setzt!“</p> <closer> <salute> <hi rendition="#right">Dein traurige Lisbeth.</hi> </salute> </closer> <postscript> <p>P.S. Nein, Du, Medizin möcht ich nicht studiren, das ist mir zu großartig und düster. Ich möchte Naturwissenschaften, aber recht viel. Ach, es ist zu dumm, es wird ja doch nichts daraus. Wenn Mama besonders lieb mit mir ist, sagt sie: „Glaube mir, ganz wie Du bin ich gewesen, aber dann, als ich mich verheirathete, habe ich gesehen, daß die Männer ganz andere Dinge von uns verlangen!“ Ein schöner Trost, nicht? Arme Mama!</p> </postscript> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div type="letter" n="2"> <head>Axel Lorenzen an Lisbeth Markwort.</head> <opener> <dateline> <hi rendition="#right">Kopenhagen, 16. Oktober 1892.</hi> </dateline> </opener> <p>Liebe Kleine! Anfangs wollte ich Dir wieder das schreiben, was Du einen „ekligen“ Brief nennst, aber dann dachte ich, das würde Dich noch niedergeschlagener </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [330/0338]
ganz objektiv, weißt Du, aber es ging nicht, sie fielen beide über mich her und machten mich so klein, so klein, daß ich mich jedes Wortes schämte und endlich als arme Sünderin ohne Abendbrot zu Bette kroch. Seitdem sehen mich beide mit spähenden bekümmerten Blicken an, die Gereiztheit kann jede Minute wieder losbrechen. Sogar die Kinder thun mißtrauisch gegen mich, und bei der Botanikstunde ist Mama jetzt anwesend. „Ich muß doch wissen, was Du den Kleinen für überspanntes Zeug in den Kopf setzt!“
Dein traurige Lisbeth. P.S. Nein, Du, Medizin möcht ich nicht studiren, das ist mir zu großartig und düster. Ich möchte Naturwissenschaften, aber recht viel. Ach, es ist zu dumm, es wird ja doch nichts daraus. Wenn Mama besonders lieb mit mir ist, sagt sie: „Glaube mir, ganz wie Du bin ich gewesen, aber dann, als ich mich verheirathete, habe ich gesehen, daß die Männer ganz andere Dinge von uns verlangen!“ Ein schöner Trost, nicht? Arme Mama!
Axel Lorenzen an Lisbeth Markwort. Kopenhagen, 16. Oktober 1892. Liebe Kleine! Anfangs wollte ich Dir wieder das schreiben, was Du einen „ekligen“ Brief nennst, aber dann dachte ich, das würde Dich noch niedergeschlagener
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