Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

es Liebe ist. Er begann vor sich hinzusummen: "O fürchte nicht, ich bin verschwiegen!" bis ihm das weitere einfiel und er seine Antwort improvisirte:

O fürchte nicht, ich bin verschwiegen!
Dem eignen Herzen sag ich's kaum;
Mir bangt, er möchte mir entfliegen,
Der flaumenleichte Maientraum.
Man darf die Geister nicht erschrecken:
Ein lautes Wort - sie sind entrückt!
Froh bin ich, daß aus allen Ecken
Mir noch dein Elfenköpfchen nickt.
Und nachts am windumspielten Fenster,
Mit zücht'gen Schleiern angethan,
Seh ich die zierlichsten Gespenster,
Und du, du führst den Reigen an.
Dann breit ich sehnsuchtsvoll die Arme:
O komm zu mir, ich bin dir gut!
Reich mir die Hand, die menschenwarme!
Doch du, du lachst: ich hab kein Blut.

In den Schluß war nun fast gegen seinen Willen doch etwas Ironisches, Bitterliches gekommen. Nun, mochte es dabei sein Bewenden haben. Sie würde schon fühlen, daß es nicht schlimm gemeint war. Seine Empfindung für sie, seine mystische Neigung ins Blaue, Unbegrenzte stieg mächtig an in dieser Nacht. Er war ihr so dankbar für jeden halbvertrauten Vogellaut, der sein Ohr entzückte, für jeden blitzenden Stern, dessen vertrauter Strahl zwischen den schwarzen Zweigen

es Liebe ist. Er begann vor sich hinzusummen: „O fürchte nicht, ich bin verschwiegen!“ bis ihm das weitere einfiel und er seine Antwort improvisirte:

O fürchte nicht, ich bin verschwiegen!
Dem eignen Herzen sag ich’s kaum;
Mir bangt, er möchte mir entfliegen,
Der flaumenleichte Maientraum.
Man darf die Geister nicht erschrecken:
Ein lautes Wort – sie sind entrückt!
Froh bin ich, daß aus allen Ecken
Mir noch dein Elfenköpfchen nickt.
Und nachts am windumspielten Fenster,
Mit zücht’gen Schleiern angethan,
Seh ich die zierlichsten Gespenster,
Und du, du führst den Reigen an.
Dann breit ich sehnsuchtsvoll die Arme:
O komm zu mir, ich bin dir gut!
Reich mir die Hand, die menschenwarme!
Doch du, du lachst: ich hab kein Blut.

In den Schluß war nun fast gegen seinen Willen doch etwas Ironisches, Bitterliches gekommen. Nun, mochte es dabei sein Bewenden haben. Sie würde schon fühlen, daß es nicht schlimm gemeint war. Seine Empfindung für sie, seine mystische Neigung ins Blaue, Unbegrenzte stieg mächtig an in dieser Nacht. Er war ihr so dankbar für jeden halbvertrauten Vogellaut, der sein Ohr entzückte, für jeden blitzenden Stern, dessen vertrauter Strahl zwischen den schwarzen Zweigen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0062" n="54"/>
es Liebe ist. Er begann vor sich hinzusummen: &#x201E;O fürchte nicht, ich bin verschwiegen!&#x201C; bis ihm das weitere einfiel und er seine Antwort improvisirte:</p>
        <lg type="poem">
          <lg>
            <l>O fürchte nicht, ich bin verschwiegen!</l><lb/>
            <l>Dem eignen Herzen sag ich&#x2019;s kaum;</l><lb/>
            <l>Mir bangt, er möchte mir entfliegen,</l><lb/>
            <l>Der flaumenleichte Maientraum.</l><lb/>
          </lg>
          <lg>
            <l>Man darf die Geister nicht erschrecken:</l><lb/>
            <l>Ein lautes Wort &#x2013; sie sind entrückt!</l><lb/>
            <l>Froh bin ich, daß aus allen Ecken</l><lb/>
            <l>Mir noch dein Elfenköpfchen nickt.</l><lb/>
          </lg>
          <lg>
            <l>Und nachts am windumspielten Fenster,</l><lb/>
            <l>Mit zücht&#x2019;gen Schleiern angethan,</l><lb/>
            <l>Seh ich die zierlichsten Gespenster,</l><lb/>
            <l>Und du, du führst den Reigen an.</l><lb/>
          </lg>
          <lg>
            <l>Dann breit ich sehnsuchtsvoll die Arme:</l><lb/>
            <l>O komm zu mir, ich bin dir gut!</l><lb/>
            <l>Reich mir die Hand, die menschenwarme!</l><lb/>
            <l>Doch du, du lachst: ich hab kein Blut.</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
        <p>In den Schluß war nun fast gegen seinen Willen doch etwas Ironisches, Bitterliches gekommen. Nun, mochte es dabei sein Bewenden haben. Sie würde schon fühlen, daß es nicht schlimm gemeint war. Seine Empfindung für sie, seine mystische Neigung ins Blaue, Unbegrenzte stieg mächtig an in dieser Nacht. Er war ihr so dankbar für jeden halbvertrauten Vogellaut, der sein Ohr entzückte, für jeden blitzenden Stern, dessen vertrauter Strahl zwischen den schwarzen Zweigen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0062] es Liebe ist. Er begann vor sich hinzusummen: „O fürchte nicht, ich bin verschwiegen!“ bis ihm das weitere einfiel und er seine Antwort improvisirte: O fürchte nicht, ich bin verschwiegen! Dem eignen Herzen sag ich’s kaum; Mir bangt, er möchte mir entfliegen, Der flaumenleichte Maientraum. Man darf die Geister nicht erschrecken: Ein lautes Wort – sie sind entrückt! Froh bin ich, daß aus allen Ecken Mir noch dein Elfenköpfchen nickt. Und nachts am windumspielten Fenster, Mit zücht’gen Schleiern angethan, Seh ich die zierlichsten Gespenster, Und du, du führst den Reigen an. Dann breit ich sehnsuchtsvoll die Arme: O komm zu mir, ich bin dir gut! Reich mir die Hand, die menschenwarme! Doch du, du lachst: ich hab kein Blut. In den Schluß war nun fast gegen seinen Willen doch etwas Ironisches, Bitterliches gekommen. Nun, mochte es dabei sein Bewenden haben. Sie würde schon fühlen, daß es nicht schlimm gemeint war. Seine Empfindung für sie, seine mystische Neigung ins Blaue, Unbegrenzte stieg mächtig an in dieser Nacht. Er war ihr so dankbar für jeden halbvertrauten Vogellaut, der sein Ohr entzückte, für jeden blitzenden Stern, dessen vertrauter Strahl zwischen den schwarzen Zweigen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/62
Zitationshilfe: Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/62>, abgerufen am 14.05.2024.