Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.Lebens verfügen. Im Gegentheile, diese Erlebnisse fehlen dem Gedächtniss der Kranken in ihrem gewöhnlichen psychischen Zustande völlig oder sind nur höchst summarisch darin vorhanden. Erst wenn man die Kranken in der Hypnose befragt, stellen sich diese Erinnerungen mit der unverminderten Lebhaftigkeit frischer Geschehnisse ein. So reproducirte eine unserer Kranken in der Hypnose ein halbes Jahr hindurch mit hallucinatorischer Lebhaftigkeit alles, was sie an denselben Tagen des vorhergegangenen Jahres (während einer acuten Hysterie) erregt hatte; ein ihr unbekanntes Tagebuch der Mutter bezeugte die tadellose Richtigkeit der Reproduction. Eine andere Kranke durchlebte theils in der Hypnose, theils in spontanen Anfällen mit hallucinatorischer Deutlichkeit alle Ereignisse einer vor 10 Jahren durchgemachten hysterischen Psychose, für welche sie bis zum Momente des Wiederauftauchens grösstentheils amnestisch gewesen war. Auch einzelne ätiologisch wichtige Erinnerungen von 15-25 jährigem Bestande erwiesen sich bei ihr von erstaunlicher Intactheit und sinnlicher Stärke und wirkten bei ihrer Wiederkehr mit der vollen Affectkraft neuer Erlebnisse. Den Grund hierfür können wir nur darin suchen, dass diese Erinnerungen in allen oben erörterten Beziehungen zur Usur eine Ausnahmsstellung einnehmen. Es zeigt sich nämlich, dass diese Erinnerungen Traumen entsprechen, welche nicht genügend "abreagirt" worden sind, und bei näherem Eingehen auf die Gründe, welche dieses verhindert haben, können wir mindestens zwei Reihen von Bedingungen auffinden, unter denen die Reaction auf das Trauma unterblieben ist. Zur ersten Gruppe rechnen wir jene Fälle, in denen die Kranken auf psychische Traumen nicht reagirt haben, weil die Natur des Traumas eine Reaction ausschloss, wie beim unersetzlich erscheinenden Verlust einer geliebten Person, oder weil die socialen Verhältnisse eine Reaction unmöglich machten, oder weil es sich um Dinge handelte, die der Kranke vergessen wollte, die er darum absichtlich aus seinem bewussten Denken verdrängte, hemmte und unterdrückte. Gerade solche peinliche Dinge findet man dann in der Hypnose als Grundlage hysterischer Phänomene (hysterische Delirien der Heiligen und Nonnen, der enthaltsamen Frauen, der wohlerzogenen Kinder). Die zweite Reihe von Bedingungen wird nicht durch den Inhalt der Erinnerungen, sondern durch die psychischen Zustände bestimmt, Lebens verfügen. Im Gegentheile, diese Erlebnisse fehlen dem Gedächtniss der Kranken in ihrem gewöhnlichen psychischen Zustande völlig oder sind nur höchst summarisch darin vorhanden. Erst wenn man die Kranken in der Hypnose befragt, stellen sich diese Erinnerungen mit der unverminderten Lebhaftigkeit frischer Geschehnisse ein. So reproducirte eine unserer Kranken in der Hypnose ein halbes Jahr hindurch mit hallucinatorischer Lebhaftigkeit alles, was sie an denselben Tagen des vorhergegangenen Jahres (während einer acuten Hysterie) erregt hatte; ein ihr unbekanntes Tagebuch der Mutter bezeugte die tadellose Richtigkeit der Reproduction. Eine andere Kranke durchlebte theils in der Hypnose, theils in spontanen Anfällen mit hallucinatorischer Deutlichkeit alle Ereignisse einer vor 10 Jahren durchgemachten hysterischen Psychose, für welche sie bis zum Momente des Wiederauftauchens grösstentheils amnestisch gewesen war. Auch einzelne ätiologisch wichtige Erinnerungen von 15–25 jährigem Bestande erwiesen sich bei ihr von erstaunlicher Intactheit und sinnlicher Stärke und wirkten bei ihrer Wiederkehr mit der vollen Affectkraft neuer Erlebnisse. Den Grund hierfür können wir nur darin suchen, dass diese Erinnerungen in allen oben erörterten Beziehungen zur Usur eine Ausnahmsstellung einnehmen. Es zeigt sich nämlich, dass diese Erinnerungen Traumen entsprechen, welche nicht genügend „abreagirt“ worden sind, und bei näherem Eingehen auf die Gründe, welche dieses verhindert haben, können wir mindestens zwei Reihen von Bedingungen auffinden, unter denen die Reaction auf das Trauma unterblieben ist. Zur ersten Gruppe rechnen wir jene Fälle, in denen die Kranken auf psychische Traumen nicht reagirt haben, weil die Natur des Traumas eine Reaction ausschloss, wie beim unersetzlich erscheinenden Verlust einer geliebten Person, oder weil die socialen Verhältnisse eine Reaction unmöglich machten, oder weil es sich um Dinge handelte, die der Kranke vergessen wollte, die er darum absichtlich aus seinem bewussten Denken verdrängte, hemmte und unterdrückte. Gerade solche peinliche Dinge findet man dann in der Hypnose als Grundlage hysterischer Phänomene (hysterische Delirien der Heiligen und Nonnen, der enthaltsamen Frauen, der wohlerzogenen Kinder). Die zweite Reihe von Bedingungen wird nicht durch den Inhalt der Erinnerungen, sondern durch die psychischen Zustände bestimmt, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0013" n="7"/> Lebens verfügen. Im Gegentheile, <hi rendition="#g">diese Erlebnisse fehlen dem Gedächtniss der Kranken in ihrem gewöhnlichen psychischen Zustande völlig oder sind nur höchst summarisch darin vorhanden</hi>. Erst wenn man die Kranken in der Hypnose befragt, stellen sich diese Erinnerungen mit der unverminderten Lebhaftigkeit frischer Geschehnisse ein.</p> <p>So reproducirte eine unserer Kranken in der Hypnose ein halbes Jahr hindurch mit hallucinatorischer Lebhaftigkeit alles, was sie an denselben Tagen des vorhergegangenen Jahres (während einer acuten Hysterie) erregt hatte; ein ihr unbekanntes Tagebuch der Mutter bezeugte die tadellose Richtigkeit der Reproduction. Eine andere Kranke durchlebte theils in der Hypnose, theils in spontanen Anfällen mit hallucinatorischer Deutlichkeit alle Ereignisse einer vor 10 Jahren durchgemachten hysterischen Psychose, für welche sie bis zum Momente des Wiederauftauchens grösstentheils amnestisch gewesen war. Auch einzelne ätiologisch wichtige Erinnerungen von 15–25 jährigem Bestande erwiesen sich bei ihr von erstaunlicher Intactheit und sinnlicher Stärke und wirkten bei ihrer Wiederkehr mit der vollen Affectkraft neuer Erlebnisse.</p> <p>Den Grund hierfür können wir nur darin suchen, dass diese Erinnerungen in allen oben erörterten Beziehungen zur Usur eine Ausnahmsstellung einnehmen. <hi rendition="#g">Es zeigt sich nämlich, dass diese Erinnerungen Traumen entsprechen, welche nicht genügend „abreagirt“ worden sind</hi>, und bei näherem Eingehen auf die Gründe, welche dieses verhindert haben, können wir mindestens zwei Reihen von Bedingungen auffinden, unter denen die Reaction auf das Trauma unterblieben ist.</p> <p>Zur ersten Gruppe rechnen wir jene Fälle, in denen die Kranken auf psychische Traumen nicht reagirt haben, weil die Natur des Traumas eine Reaction ausschloss, wie beim unersetzlich erscheinenden Verlust einer geliebten Person, oder weil die socialen Verhältnisse eine Reaction unmöglich machten, oder weil es sich um Dinge handelte, die der Kranke vergessen wollte, die er darum absichtlich aus seinem bewussten Denken verdrängte, hemmte und unterdrückte. Gerade solche peinliche Dinge findet man dann in der Hypnose als Grundlage hysterischer Phänomene (hysterische Delirien der Heiligen und Nonnen, der enthaltsamen Frauen, der wohlerzogenen Kinder).</p> <p>Die zweite Reihe von Bedingungen wird nicht durch den Inhalt der Erinnerungen, sondern durch die psychischen Zustände bestimmt, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [7/0013]
Lebens verfügen. Im Gegentheile, diese Erlebnisse fehlen dem Gedächtniss der Kranken in ihrem gewöhnlichen psychischen Zustande völlig oder sind nur höchst summarisch darin vorhanden. Erst wenn man die Kranken in der Hypnose befragt, stellen sich diese Erinnerungen mit der unverminderten Lebhaftigkeit frischer Geschehnisse ein.
So reproducirte eine unserer Kranken in der Hypnose ein halbes Jahr hindurch mit hallucinatorischer Lebhaftigkeit alles, was sie an denselben Tagen des vorhergegangenen Jahres (während einer acuten Hysterie) erregt hatte; ein ihr unbekanntes Tagebuch der Mutter bezeugte die tadellose Richtigkeit der Reproduction. Eine andere Kranke durchlebte theils in der Hypnose, theils in spontanen Anfällen mit hallucinatorischer Deutlichkeit alle Ereignisse einer vor 10 Jahren durchgemachten hysterischen Psychose, für welche sie bis zum Momente des Wiederauftauchens grösstentheils amnestisch gewesen war. Auch einzelne ätiologisch wichtige Erinnerungen von 15–25 jährigem Bestande erwiesen sich bei ihr von erstaunlicher Intactheit und sinnlicher Stärke und wirkten bei ihrer Wiederkehr mit der vollen Affectkraft neuer Erlebnisse.
Den Grund hierfür können wir nur darin suchen, dass diese Erinnerungen in allen oben erörterten Beziehungen zur Usur eine Ausnahmsstellung einnehmen. Es zeigt sich nämlich, dass diese Erinnerungen Traumen entsprechen, welche nicht genügend „abreagirt“ worden sind, und bei näherem Eingehen auf die Gründe, welche dieses verhindert haben, können wir mindestens zwei Reihen von Bedingungen auffinden, unter denen die Reaction auf das Trauma unterblieben ist.
Zur ersten Gruppe rechnen wir jene Fälle, in denen die Kranken auf psychische Traumen nicht reagirt haben, weil die Natur des Traumas eine Reaction ausschloss, wie beim unersetzlich erscheinenden Verlust einer geliebten Person, oder weil die socialen Verhältnisse eine Reaction unmöglich machten, oder weil es sich um Dinge handelte, die der Kranke vergessen wollte, die er darum absichtlich aus seinem bewussten Denken verdrängte, hemmte und unterdrückte. Gerade solche peinliche Dinge findet man dann in der Hypnose als Grundlage hysterischer Phänomene (hysterische Delirien der Heiligen und Nonnen, der enthaltsamen Frauen, der wohlerzogenen Kinder).
Die zweite Reihe von Bedingungen wird nicht durch den Inhalt der Erinnerungen, sondern durch die psychischen Zustände bestimmt,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-10-26T10:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |