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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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den Aerzten nicht geläufig gewesen war. Man pflegte sich mit der Auskunft zufrieden zu geben, die Kranke sei eben von Constitution eine Hysterica, die unter dem Drucke intensiver, ihrer Art nach beliebiger Erregungen hysterische Symptome entwickeln könne.

Noch weniger als für die Aufklärung schien durch diese Beichte für die Heilung des Falles geleistet zu sein. Es war nicht einzusehen, welchen wohlthätigen Einfluss es für Fräulein Elisabeth haben könnte, die all ihren Familienmitgliedern wohlbekannte Leidensgeschichte der letzten Jahre auch einmal einem Fremden zu erzählen, der ihr dafür eine mässige Theilnahme bezeugte. Es war auch kein solcher Heilerfolg der Beichte zu bemerken. Die Kranke versäumte während dieser ersten Periode der Behandlung niemals dem Arzte zu wiederholen: Es geht mir aber noch immer schlecht, ich habe dieselben Schmerzen wie früher; und wenn sie mich dabei listig-schadenfroh anblickte, konnte ich etwa des Urtheiles gedenken, das der alte Herr v. R. über seine Lieblingstochter gefällt: Sie sei häufig "keck" und "schlimm"; ich musste aber doch zugestehen, dass sie im Rechte war.

Hätte ich in diesem Stadium die psychische Behandlung der Kranken aufgegeben, so wäre der Fall des Frl. Elisabeth v. R. wohl recht belanglos für die Theorie der Hysterie geworden. Ich setzte meine Analyse aber fort, weil ich der sicheren Erwartung war, es werde sich aus tieferen Schichten des Bewusstseins das Verständniss sowohl für die Verursachung als auch für die Determinirung des hysterischen Symptoms gewinnen lassen.

Ich beschloss also an das erweiterte Bewusstsein der Kranken die directe Frage zu richten, an welchen psychischen Eindruck die erste Entstehung der Schmerzen in den Beinen geknüpft sei.

Zu diesem Zweck sollte die Kranke in tiefe Hypnose versetzt werden. Aber leider musste ich wahrnehmen, dass meine dahinzielenden Proceduren die Kranke in keinen anderen Zustand des Bewusstseins brachten, als jener war, in dem sie mir ihre Beichte abgelegt hatte. Ich war noch herzlich froh, dass sie es diesmal unterliess, mir triumphirend vorzuhalten: "Sehen sie, ich schlafe ja nicht, ich bin nicht zu hypnotisiren." In solcher Nothlage gerieth ich auf den Einfall, jenen Kunstgriff des Drückens auf den Kopf anzuwenden, über dessen Entstehungsgeschichte ich mich in der vorstehenden Beobachtung der Miss Lucy ausführlich geäussert habe. Ich führte ihn aus, indem ich die Kranke aufforderte, mir unfehlbar mitzutheilen, was in dem Moment des Druckes vor ihrem inneren Auge auftauche oder durch

den Aerzten nicht geläufig gewesen war. Man pflegte sich mit der Auskunft zufrieden zu geben, die Kranke sei eben von Constitution eine Hysterica, die unter dem Drucke intensiver, ihrer Art nach beliebiger Erregungen hysterische Symptome entwickeln könne.

Noch weniger als für die Aufklärung schien durch diese Beichte für die Heilung des Falles geleistet zu sein. Es war nicht einzusehen, welchen wohlthätigen Einfluss es für Fräulein Elisabeth haben könnte, die all ihren Familienmitgliedern wohlbekannte Leidensgeschichte der letzten Jahre auch einmal einem Fremden zu erzählen, der ihr dafür eine mässige Theilnahme bezeugte. Es war auch kein solcher Heilerfolg der Beichte zu bemerken. Die Kranke versäumte während dieser ersten Periode der Behandlung niemals dem Arzte zu wiederholen: Es geht mir aber noch immer schlecht, ich habe dieselben Schmerzen wie früher; und wenn sie mich dabei listig-schadenfroh anblickte, konnte ich etwa des Urtheiles gedenken, das der alte Herr v. R. über seine Lieblingstochter gefällt: Sie sei häufig „keck“ und „schlimm“; ich musste aber doch zugestehen, dass sie im Rechte war.

Hätte ich in diesem Stadium die psychische Behandlung der Kranken aufgegeben, so wäre der Fall des Frl. Elisabeth v. R. wohl recht belanglos für die Theorie der Hysterie geworden. Ich setzte meine Analyse aber fort, weil ich der sicheren Erwartung war, es werde sich aus tieferen Schichten des Bewusstseins das Verständniss sowohl für die Verursachung als auch für die Determinirung des hysterischen Symptoms gewinnen lassen.

Ich beschloss also an das erweiterte Bewusstsein der Kranken die directe Frage zu richten, an welchen psychischen Eindruck die erste Entstehung der Schmerzen in den Beinen geknüpft sei.

Zu diesem Zweck sollte die Kranke in tiefe Hypnose versetzt werden. Aber leider musste ich wahrnehmen, dass meine dahinzielenden Proceduren die Kranke in keinen anderen Zustand des Bewusstseins brachten, als jener war, in dem sie mir ihre Beichte abgelegt hatte. Ich war noch herzlich froh, dass sie es diesmal unterliess, mir triumphirend vorzuhalten: „Sehen sie, ich schlafe ja nicht, ich bin nicht zu hypnotisiren.“ In solcher Nothlage gerieth ich auf den Einfall, jenen Kunstgriff des Drückens auf den Kopf anzuwenden, über dessen Entstehungsgeschichte ich mich in der vorstehenden Beobachtung der Miss Lucy ausführlich geäussert habe. Ich führte ihn aus, indem ich die Kranke aufforderte, mir unfehlbar mitzutheilen, was in dem Moment des Druckes vor ihrem inneren Auge auftauche oder durch

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[125/0131] den Aerzten nicht geläufig gewesen war. Man pflegte sich mit der Auskunft zufrieden zu geben, die Kranke sei eben von Constitution eine Hysterica, die unter dem Drucke intensiver, ihrer Art nach beliebiger Erregungen hysterische Symptome entwickeln könne. Noch weniger als für die Aufklärung schien durch diese Beichte für die Heilung des Falles geleistet zu sein. Es war nicht einzusehen, welchen wohlthätigen Einfluss es für Fräulein Elisabeth haben könnte, die all ihren Familienmitgliedern wohlbekannte Leidensgeschichte der letzten Jahre auch einmal einem Fremden zu erzählen, der ihr dafür eine mässige Theilnahme bezeugte. Es war auch kein solcher Heilerfolg der Beichte zu bemerken. Die Kranke versäumte während dieser ersten Periode der Behandlung niemals dem Arzte zu wiederholen: Es geht mir aber noch immer schlecht, ich habe dieselben Schmerzen wie früher; und wenn sie mich dabei listig-schadenfroh anblickte, konnte ich etwa des Urtheiles gedenken, das der alte Herr v. R. über seine Lieblingstochter gefällt: Sie sei häufig „keck“ und „schlimm“; ich musste aber doch zugestehen, dass sie im Rechte war. Hätte ich in diesem Stadium die psychische Behandlung der Kranken aufgegeben, so wäre der Fall des Frl. Elisabeth v. R. wohl recht belanglos für die Theorie der Hysterie geworden. Ich setzte meine Analyse aber fort, weil ich der sicheren Erwartung war, es werde sich aus tieferen Schichten des Bewusstseins das Verständniss sowohl für die Verursachung als auch für die Determinirung des hysterischen Symptoms gewinnen lassen. Ich beschloss also an das erweiterte Bewusstsein der Kranken die directe Frage zu richten, an welchen psychischen Eindruck die erste Entstehung der Schmerzen in den Beinen geknüpft sei. Zu diesem Zweck sollte die Kranke in tiefe Hypnose versetzt werden. Aber leider musste ich wahrnehmen, dass meine dahinzielenden Proceduren die Kranke in keinen anderen Zustand des Bewusstseins brachten, als jener war, in dem sie mir ihre Beichte abgelegt hatte. Ich war noch herzlich froh, dass sie es diesmal unterliess, mir triumphirend vorzuhalten: „Sehen sie, ich schlafe ja nicht, ich bin nicht zu hypnotisiren.“ In solcher Nothlage gerieth ich auf den Einfall, jenen Kunstgriff des Drückens auf den Kopf anzuwenden, über dessen Entstehungsgeschichte ich mich in der vorstehenden Beobachtung der Miss Lucy ausführlich geäussert habe. Ich führte ihn aus, indem ich die Kranke aufforderte, mir unfehlbar mitzutheilen, was in dem Moment des Druckes vor ihrem inneren Auge auftauche oder durch

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/131>, abgerufen am 23.11.2024.