Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

wird, muss ja anfänglich im Denkverkehr gestanden sein, sonst hätte sich der Conflict nicht ergeben, der ihre Ausschliessung herbeigeführt hat.1 Gerade diese Momente sind also als die "traumatischen" zu bezeichnen; in ihnen hat die Conversion stattgefunden, deren Ergebnisse die Bewusstseinsspaltung und das hysterische Symptom sind. Bei Frl. Elisabeth v. R . . deutet alles auf eine Mehrheit von solchen Momenten (die Scenen vom Spaziergang, Morgenmeditation, Bad, am Bette der Schwester); vielleicht kamen sogar neue Momente dieser Art während der Behandlung vor. Die Mehrheit solcher traumatischer Momente wird nämlich dadurch ermöglicht, dass ein ähnliches Erlebniss wie jenes, das die unverträgliche Vorstellung zuerst einführte, der abgetrennten psychischen Gruppe neue Erregung zuführt und so den Erfolg der Conversion vorübergehend aufhebt. Das Ich muss sich mit dieser plötzlich verstärkt aufleuchtenden Vorstellung beschäftigen und muss dann durch neuerliche Conversion den früheren Zustand wiederherstellen. Frl. Elisabeth, die beständig mit ihrem Schwager verkehrte, musste dem Auftauchen neuer Traumen besonders ausgesetzt sein. Ein Fall, dessen traumatische Geschichte in der Vergangenheit abgeschlossen lag, wäre mir für diese Darstellung erwünschter gewesen. -

Ich muss mich nun mit einem Punkte beschäftigen, den ich als eine Schwierigkeit für das Verständniss der vorstehenden Krankengeschichte bezeichnet habe. Auf Grund der Analyse nahm ich an, dass eine erste Conversion bei der Kranken während der Pflege ihres Vaters stattgefunden und zwar damals, als ihre Pflichten als Pflegerin in Widerstreit mit ihrem erotischen Sehnen geriethen, und dass dieser Vorgang das Vorbild jenes späteren war, der im Alpencurort zum Ausbruch der Krankheit führte. Nun ergiebt sich aber aus den Mittheilungen der Kranken, dass sie zur Zeit der Krankenpflege und in dem darauffolgenden Zeitabschnitt, den ich als "erste Periode" bezeichnet habe, überhaupt nicht an Schmerzen und Gehschwäche gelitten hat. Sie war zwar während der Krankheit des Vaters einmal durch wenige Tage mit Schmerzen in den Füssen bettlägerig, aber es ist zweifelhaft geblieben, ob dieser Anfall bereits der Hysterie zugeschrieben werden muss. Eine causale Beziehung zwischen diesen ersten Schmerzen und irgend welchem psychischen Eindruck liess sich bei der Analyse nicht erweisen; es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass es sich

1 Anders bei einer Hypnoidhysterie; hier wäre der Inhalt der separaten psychischen Gruppe nie im Ichbewusstsein gewesen.

wird, muss ja anfänglich im Denkverkehr gestanden sein, sonst hätte sich der Conflict nicht ergeben, der ihre Ausschliessung herbeigeführt hat.1 Gerade diese Momente sind also als die „traumatischen“ zu bezeichnen; in ihnen hat die Conversion stattgefunden, deren Ergebnisse die Bewusstseinsspaltung und das hysterische Symptom sind. Bei Frl. Elisabeth v. R . . deutet alles auf eine Mehrheit von solchen Momenten (die Scenen vom Spaziergang, Morgenmeditation, Bad, am Bette der Schwester); vielleicht kamen sogar neue Momente dieser Art während der Behandlung vor. Die Mehrheit solcher traumatischer Momente wird nämlich dadurch ermöglicht, dass ein ähnliches Erlebniss wie jenes, das die unverträgliche Vorstellung zuerst einführte, der abgetrennten psychischen Gruppe neue Erregung zuführt und so den Erfolg der Conversion vorübergehend aufhebt. Das Ich muss sich mit dieser plötzlich verstärkt aufleuchtenden Vorstellung beschäftigen und muss dann durch neuerliche Conversion den früheren Zustand wiederherstellen. Frl. Elisabeth, die beständig mit ihrem Schwager verkehrte, musste dem Auftauchen neuer Traumen besonders ausgesetzt sein. Ein Fall, dessen traumatische Geschichte in der Vergangenheit abgeschlossen lag, wäre mir für diese Darstellung erwünschter gewesen. –

Ich muss mich nun mit einem Punkte beschäftigen, den ich als eine Schwierigkeit für das Verständniss der vorstehenden Krankengeschichte bezeichnet habe. Auf Grund der Analyse nahm ich an, dass eine erste Conversion bei der Kranken während der Pflege ihres Vaters stattgefunden und zwar damals, als ihre Pflichten als Pflegerin in Widerstreit mit ihrem erotischen Sehnen geriethen, und dass dieser Vorgang das Vorbild jenes späteren war, der im Alpencurort zum Ausbruch der Krankheit führte. Nun ergiebt sich aber aus den Mittheilungen der Kranken, dass sie zur Zeit der Krankenpflege und in dem darauffolgenden Zeitabschnitt, den ich als „erste Periode“ bezeichnet habe, überhaupt nicht an Schmerzen und Gehschwäche gelitten hat. Sie war zwar während der Krankheit des Vaters einmal durch wenige Tage mit Schmerzen in den Füssen bettlägerig, aber es ist zweifelhaft geblieben, ob dieser Anfall bereits der Hysterie zugeschrieben werden muss. Eine causale Beziehung zwischen diesen ersten Schmerzen und irgend welchem psychischen Eindruck liess sich bei der Analyse nicht erweisen; es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass es sich

1 Anders bei einer Hypnoidhysterie; hier wäre der Inhalt der separaten psychischen Gruppe nie im Ichbewusstsein gewesen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div>
            <p><pb facs="#f0153" n="147"/>
wird, muss ja anfänglich im Denkverkehr gestanden sein, sonst hätte sich der Conflict nicht ergeben, der ihre Ausschliessung herbeigeführt hat.<note place="foot" n="1">Anders bei einer Hypnoidhysterie; hier wäre der Inhalt der separaten psychischen Gruppe nie im Ichbewusstsein gewesen.</note> Gerade diese Momente sind also als die &#x201E;<hi rendition="#g">traumatischen</hi>&#x201C; zu bezeichnen; in ihnen hat die Conversion stattgefunden, deren Ergebnisse die Bewusstseinsspaltung und das hysterische Symptom sind. Bei Frl. Elisabeth v. R . . deutet alles auf eine Mehrheit von solchen Momenten (die Scenen vom Spaziergang, Morgenmeditation, Bad, am Bette der Schwester); vielleicht kamen sogar neue Momente dieser Art während der Behandlung vor. Die Mehrheit solcher traumatischer Momente wird nämlich dadurch ermöglicht, dass ein ähnliches Erlebniss wie jenes, das die unverträgliche Vorstellung zuerst einführte, der abgetrennten psychischen Gruppe neue Erregung zuführt und so den Erfolg der Conversion vorübergehend aufhebt. Das Ich muss sich mit dieser plötzlich verstärkt aufleuchtenden Vorstellung beschäftigen und muss dann durch neuerliche Conversion den früheren Zustand wiederherstellen. Frl. Elisabeth, die beständig mit ihrem Schwager verkehrte, musste dem Auftauchen neuer Traumen besonders ausgesetzt sein. Ein Fall, dessen traumatische Geschichte in der Vergangenheit abgeschlossen lag, wäre mir für diese Darstellung erwünschter gewesen. &#x2013;</p>
            <p>Ich muss mich nun mit einem Punkte beschäftigen, den ich als eine Schwierigkeit für das Verständniss der vorstehenden Krankengeschichte bezeichnet habe. Auf Grund der Analyse nahm ich an, dass eine erste Conversion bei der Kranken während der Pflege ihres Vaters stattgefunden und zwar damals, als ihre Pflichten als Pflegerin in Widerstreit mit ihrem erotischen Sehnen geriethen, und dass dieser Vorgang das Vorbild jenes späteren war, der im Alpencurort zum Ausbruch der Krankheit führte. Nun ergiebt sich aber aus den Mittheilungen der Kranken, dass sie zur Zeit der Krankenpflege und in dem darauffolgenden Zeitabschnitt, den ich als &#x201E;erste Periode&#x201C; bezeichnet habe, <hi rendition="#g">überhaupt nicht an Schmerzen und Gehschwäche</hi> gelitten hat. Sie war zwar während der Krankheit des Vaters einmal durch wenige Tage mit Schmerzen in den Füssen bettlägerig, aber es ist zweifelhaft geblieben, ob dieser Anfall bereits der Hysterie zugeschrieben werden muss. Eine causale Beziehung zwischen diesen ersten Schmerzen und irgend welchem psychischen Eindruck liess sich bei der Analyse nicht erweisen; es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass es sich
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0153] wird, muss ja anfänglich im Denkverkehr gestanden sein, sonst hätte sich der Conflict nicht ergeben, der ihre Ausschliessung herbeigeführt hat. 1 Gerade diese Momente sind also als die „traumatischen“ zu bezeichnen; in ihnen hat die Conversion stattgefunden, deren Ergebnisse die Bewusstseinsspaltung und das hysterische Symptom sind. Bei Frl. Elisabeth v. R . . deutet alles auf eine Mehrheit von solchen Momenten (die Scenen vom Spaziergang, Morgenmeditation, Bad, am Bette der Schwester); vielleicht kamen sogar neue Momente dieser Art während der Behandlung vor. Die Mehrheit solcher traumatischer Momente wird nämlich dadurch ermöglicht, dass ein ähnliches Erlebniss wie jenes, das die unverträgliche Vorstellung zuerst einführte, der abgetrennten psychischen Gruppe neue Erregung zuführt und so den Erfolg der Conversion vorübergehend aufhebt. Das Ich muss sich mit dieser plötzlich verstärkt aufleuchtenden Vorstellung beschäftigen und muss dann durch neuerliche Conversion den früheren Zustand wiederherstellen. Frl. Elisabeth, die beständig mit ihrem Schwager verkehrte, musste dem Auftauchen neuer Traumen besonders ausgesetzt sein. Ein Fall, dessen traumatische Geschichte in der Vergangenheit abgeschlossen lag, wäre mir für diese Darstellung erwünschter gewesen. – Ich muss mich nun mit einem Punkte beschäftigen, den ich als eine Schwierigkeit für das Verständniss der vorstehenden Krankengeschichte bezeichnet habe. Auf Grund der Analyse nahm ich an, dass eine erste Conversion bei der Kranken während der Pflege ihres Vaters stattgefunden und zwar damals, als ihre Pflichten als Pflegerin in Widerstreit mit ihrem erotischen Sehnen geriethen, und dass dieser Vorgang das Vorbild jenes späteren war, der im Alpencurort zum Ausbruch der Krankheit führte. Nun ergiebt sich aber aus den Mittheilungen der Kranken, dass sie zur Zeit der Krankenpflege und in dem darauffolgenden Zeitabschnitt, den ich als „erste Periode“ bezeichnet habe, überhaupt nicht an Schmerzen und Gehschwäche gelitten hat. Sie war zwar während der Krankheit des Vaters einmal durch wenige Tage mit Schmerzen in den Füssen bettlägerig, aber es ist zweifelhaft geblieben, ob dieser Anfall bereits der Hysterie zugeschrieben werden muss. Eine causale Beziehung zwischen diesen ersten Schmerzen und irgend welchem psychischen Eindruck liess sich bei der Analyse nicht erweisen; es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass es sich 1 Anders bei einer Hypnoidhysterie; hier wäre der Inhalt der separaten psychischen Gruppe nie im Ichbewusstsein gewesen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/153
Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/153>, abgerufen am 21.11.2024.