Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

das Zimmer zu verlassen; er schwand während der Reproduction dieser Scene, als die Kranke den Satz aussprach: Damals habe sie die Furcht beherrscht, ob sie auch das "rechte Auftreten" in der fremden Gesellschaft treffen werde!

Diess scheint nun ein schlagendes, beinahe komisches Beispiel von Entstellung hysterischer Symptome durch Symbolisirung vermittelst des sprachlichen Ausdrucks. Allein ein näheres Eingehen auf die Umstände jenes Momentes bevorzugt eine andere Auffassung. Die Kranke litt zu jener Zeit überhaupt an Fusschmerzen, sie war wegen Fusschmerzen so lange zu Bette geblieben; und es kann nur zugegeben werden, dass die Furcht, von der sie bei den ersten Schritten befallen wurde, aus den gleichzeitig vorhandenen Schmerzen den einen, symbolisch passenden, in der rechten Ferse hervorsuchte, um ihn zu einer psychischen Algie auszubilden und ihm zu einer besonderen Fortdauer zu verhelfen.

Erscheint in diesen Beispielen der Mechanismus der Symbolisirung in den zweiten Rang gedrängt, was sicherlich der Regel entspricht, so verfüge ich doch auch über Beispiele, welche die Entstehung hysterischer Symptome durch blosse Symbolisirung zu beweisen scheinen. Eines der schönsten ist folgendes, es bezieht sich wiederum auf Frau Cäcilie. Sie lag als 15jähriges Mädchen im Bette, bewacht von ihrer gestrengen Grossmama. Plötzlich schrie das Kind auf, sie hatte einen bohrenden Schmerz in der Stirne zwischen den Augen bekommen, der dann Wochen lange anhielt. Bei der Analyse dieses Schmerzes, der sich nach fast 30 Jahren reproducirte, gab sie an, die Grossmama habe sie so "durchdringend" angeschaut, dass ihr der Blick tief in's Gehirn gedrungen wäre. Sie fürchtete nämlich, von der alten Frau misstrauisch betrachtet worden zu sein. Bei der Mittheilung dieses Gedankens brach sie in ein lautes Lachen aus, und der Schmerz war wieder zu Ende. Hier finde ich nichts anderes als den Mechanismus der Symbolisirung, der zwischen dem Mechanismus der Autosuggestion und dem der Conversion gewissermaassen die Mitte hält.

Die Beobachtung der Frau Cäcilie M ... hat mir Gelegenheit gegeben, geradezu eine Sammlung derartiger Symbolisirungen anzulegen. Eine ganze Reihe von körperlichen Sensationen, die sonst als organisch vermittelt angesehen werden, hatte bei ihr psychischen Ursprung oder war wenigstens mit einer psychischen Deutung versehen. Eine gewisse Reihe von Erlebnissen war bei ihr von der Empfindung eines Stiches

das Zimmer zu verlassen; er schwand während der Reproduction dieser Scene, als die Kranke den Satz aussprach: Damals habe sie die Furcht beherrscht, ob sie auch das „rechte Auftreten“ in der fremden Gesellschaft treffen werde!

Diess scheint nun ein schlagendes, beinahe komisches Beispiel von Entstellung hysterischer Symptome durch Symbolisirung vermittelst des sprachlichen Ausdrucks. Allein ein näheres Eingehen auf die Umstände jenes Momentes bevorzugt eine andere Auffassung. Die Kranke litt zu jener Zeit überhaupt an Fusschmerzen, sie war wegen Fusschmerzen so lange zu Bette geblieben; und es kann nur zugegeben werden, dass die Furcht, von der sie bei den ersten Schritten befallen wurde, aus den gleichzeitig vorhandenen Schmerzen den einen, symbolisch passenden, in der rechten Ferse hervorsuchte, um ihn zu einer psychischen Algie auszubilden und ihm zu einer besonderen Fortdauer zu verhelfen.

Erscheint in diesen Beispielen der Mechanismus der Symbolisirung in den zweiten Rang gedrängt, was sicherlich der Regel entspricht, so verfüge ich doch auch über Beispiele, welche die Entstehung hysterischer Symptome durch blosse Symbolisirung zu beweisen scheinen. Eines der schönsten ist folgendes, es bezieht sich wiederum auf Frau Cäcilie. Sie lag als 15jähriges Mädchen im Bette, bewacht von ihrer gestrengen Grossmama. Plötzlich schrie das Kind auf, sie hatte einen bohrenden Schmerz in der Stirne zwischen den Augen bekommen, der dann Wochen lange anhielt. Bei der Analyse dieses Schmerzes, der sich nach fast 30 Jahren reproducirte, gab sie an, die Grossmama habe sie so „durchdringend“ angeschaut, dass ihr der Blick tief in's Gehirn gedrungen wäre. Sie fürchtete nämlich, von der alten Frau misstrauisch betrachtet worden zu sein. Bei der Mittheilung dieses Gedankens brach sie in ein lautes Lachen aus, und der Schmerz war wieder zu Ende. Hier finde ich nichts anderes als den Mechanismus der Symbolisirung, der zwischen dem Mechanismus der Autosuggestion und dem der Conversion gewissermaassen die Mitte hält.

Die Beobachtung der Frau Cäcilie M ... hat mir Gelegenheit gegeben, geradezu eine Sammlung derartiger Symbolisirungen anzulegen. Eine ganze Reihe von körperlichen Sensationen, die sonst als organisch vermittelt angesehen werden, hatte bei ihr psychischen Ursprung oder war wenigstens mit einer psychischen Deutung versehen. Eine gewisse Reihe von Erlebnissen war bei ihr von der Empfindung eines Stiches

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div>
            <p><pb facs="#f0164" n="158"/>
das Zimmer zu verlassen; er schwand während der Reproduction dieser Scene, als die Kranke den Satz aussprach: Damals habe sie die Furcht beherrscht, ob sie auch das &#x201E;<hi rendition="#g">rechte Auftreten</hi>&#x201C; in der fremden Gesellschaft treffen werde!</p>
            <p>Diess scheint nun ein schlagendes, beinahe komisches Beispiel von Entstellung hysterischer Symptome durch Symbolisirung vermittelst des sprachlichen Ausdrucks. Allein ein näheres Eingehen auf die Umstände jenes Momentes bevorzugt eine andere Auffassung. Die Kranke litt zu jener Zeit überhaupt an Fusschmerzen, sie war wegen Fusschmerzen so lange zu Bette geblieben; und es kann nur zugegeben werden, dass die Furcht, von der sie bei den ersten Schritten befallen wurde, aus den gleichzeitig vorhandenen Schmerzen den einen, symbolisch passenden, in der rechten Ferse hervorsuchte, um ihn zu einer psychischen Algie auszubilden und ihm zu einer besonderen Fortdauer zu verhelfen.</p>
            <p>Erscheint in diesen Beispielen der Mechanismus der Symbolisirung in den zweiten Rang gedrängt, was sicherlich der Regel entspricht, so verfüge ich doch auch über Beispiele, welche die Entstehung hysterischer Symptome durch blosse Symbolisirung zu beweisen scheinen. Eines der schönsten ist folgendes, es bezieht sich wiederum auf Frau Cäcilie. Sie lag als 15jähriges Mädchen im Bette, bewacht von ihrer gestrengen Grossmama. Plötzlich schrie das Kind auf, sie hatte einen bohrenden Schmerz in der Stirne zwischen den Augen bekommen, der dann Wochen lange anhielt. Bei der Analyse dieses Schmerzes, der sich nach fast 30 Jahren reproducirte, gab sie an, die Grossmama habe sie so &#x201E;durchdringend&#x201C; angeschaut, dass ihr der Blick tief in's Gehirn gedrungen wäre. Sie fürchtete nämlich, von der alten Frau misstrauisch betrachtet worden zu sein. Bei der Mittheilung dieses Gedankens brach sie in ein lautes Lachen aus, und der Schmerz war wieder zu Ende. Hier finde ich nichts anderes als den Mechanismus der Symbolisirung, der zwischen dem Mechanismus der <hi rendition="#g">Autosuggestion</hi> und dem der <hi rendition="#g">Conversion</hi> gewissermaassen die Mitte hält.</p>
            <p>Die Beobachtung der Frau Cäcilie M ... hat mir Gelegenheit gegeben, geradezu eine Sammlung derartiger Symbolisirungen anzulegen. Eine ganze Reihe von körperlichen Sensationen, die sonst als organisch vermittelt angesehen werden, hatte bei ihr psychischen Ursprung oder war wenigstens mit einer psychischen Deutung versehen. Eine gewisse Reihe von Erlebnissen war bei ihr von der Empfindung eines Stiches
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0164] das Zimmer zu verlassen; er schwand während der Reproduction dieser Scene, als die Kranke den Satz aussprach: Damals habe sie die Furcht beherrscht, ob sie auch das „rechte Auftreten“ in der fremden Gesellschaft treffen werde! Diess scheint nun ein schlagendes, beinahe komisches Beispiel von Entstellung hysterischer Symptome durch Symbolisirung vermittelst des sprachlichen Ausdrucks. Allein ein näheres Eingehen auf die Umstände jenes Momentes bevorzugt eine andere Auffassung. Die Kranke litt zu jener Zeit überhaupt an Fusschmerzen, sie war wegen Fusschmerzen so lange zu Bette geblieben; und es kann nur zugegeben werden, dass die Furcht, von der sie bei den ersten Schritten befallen wurde, aus den gleichzeitig vorhandenen Schmerzen den einen, symbolisch passenden, in der rechten Ferse hervorsuchte, um ihn zu einer psychischen Algie auszubilden und ihm zu einer besonderen Fortdauer zu verhelfen. Erscheint in diesen Beispielen der Mechanismus der Symbolisirung in den zweiten Rang gedrängt, was sicherlich der Regel entspricht, so verfüge ich doch auch über Beispiele, welche die Entstehung hysterischer Symptome durch blosse Symbolisirung zu beweisen scheinen. Eines der schönsten ist folgendes, es bezieht sich wiederum auf Frau Cäcilie. Sie lag als 15jähriges Mädchen im Bette, bewacht von ihrer gestrengen Grossmama. Plötzlich schrie das Kind auf, sie hatte einen bohrenden Schmerz in der Stirne zwischen den Augen bekommen, der dann Wochen lange anhielt. Bei der Analyse dieses Schmerzes, der sich nach fast 30 Jahren reproducirte, gab sie an, die Grossmama habe sie so „durchdringend“ angeschaut, dass ihr der Blick tief in's Gehirn gedrungen wäre. Sie fürchtete nämlich, von der alten Frau misstrauisch betrachtet worden zu sein. Bei der Mittheilung dieses Gedankens brach sie in ein lautes Lachen aus, und der Schmerz war wieder zu Ende. Hier finde ich nichts anderes als den Mechanismus der Symbolisirung, der zwischen dem Mechanismus der Autosuggestion und dem der Conversion gewissermaassen die Mitte hält. Die Beobachtung der Frau Cäcilie M ... hat mir Gelegenheit gegeben, geradezu eine Sammlung derartiger Symbolisirungen anzulegen. Eine ganze Reihe von körperlichen Sensationen, die sonst als organisch vermittelt angesehen werden, hatte bei ihr psychischen Ursprung oder war wenigstens mit einer psychischen Deutung versehen. Eine gewisse Reihe von Erlebnissen war bei ihr von der Empfindung eines Stiches

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/164
Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/164>, abgerufen am 21.11.2024.