Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.der Freude, der gesteigerte Muskeltonus des Zornes, die Zornrede und die vergeltende That lassen die Erregung in Bewegungsacten abströmen. Der psychische Schmerz entladet dieselbe in respiratorischen Anstrengungen und in einem secretorischen Acte, Schluchzen und Weinen. Dass diese Reactionen die Aufregung mindern und beruhigen, ist Sache der täglichen Erfahrung. Wie schon bemerkt, drückt die Sprache dies in den Terminis "sich ausweinen, austoben" u. s. w. aus; was dabei ausgegeben wird, ist eben die gesteigerte cerebrale Erregung. Nur einzelne dieser Reactionen sind zweckmässig, indem dadurch irgend etwas an der Sachlage geändert werden kann, wie durch die Zornesthat und -Rede. Die andern sind völlig zwecklos, oder vielmehr sie haben keinen anderen Zweck als die Ausgleichung der Erregungssteigerung und die Herstellung des psychischen Gleichgewichtes. Indem sie dies leisten, dienen sie der "Tendenz zur Constanterhaltung der cerebralen Erregung". Den "asthenischen" Affecten des Schrecks und der Angst fehlt diese reactive Entladung. Der Schreck lähmt ganz direct die Motilität wie die Association, und ebenso die Angst, wenn die eine zweckmässige Reaction des Davonlaufens durch die Ursache des Angstaffectes und durch die Umstände ausgeschlossen ist. Die Erregung des Schrecks schwindet nur durch allmähliche Ausgleichung. Der Zorn hat adäquate, der Veranlassung entsprechende Reactionen. Sind diese unmöglich oder werden sie gehemmt, so treten Surrogate an ihre Stelle. Schon die Zornrede ist ein solches. Aber auch andere, ganz zwecklose Acte ersetzen diese. Wenn Bismarck vor dem König die zornige Aufregung unterdrücken muss, erleichtert er sich dann, indem er eine kostbare Vase zu Boden schmettert. Diese willkürliche Substitution eines motorischen Actes durch einen anderen entspricht ganz dem Ersatz der natürlichen Schmerzreflexe durch andere Muskelcontractionen; der präformirte Reflex bei einer Zahnextraction ist es, den Arzt wegzustossen und zu schreien. Wenn wir statt dessen die Armmuskeln contrahiren und die Stuhllehne pressen, so versetzen wir das durch den Schmerz ausgelöste Erregungsquantum von einer Muskelgruppe auf eine andere. Bei spontanem heftigen Zahnschmerz, der ausser dem Aechzen ja keinen präformirten Reflex hat, strömt die Erregung in zwecklosem Hin- und Herlaufen ab. Ebenso transponiren wir die Erregung des Zornes von der adäquaten Reaction auf andere und fühlen uns entlastet, wenn sie nur durch irgend eine starke motorische Innervation verbraucht wird. der Freude, der gesteigerte Muskeltonus des Zornes, die Zornrede und die vergeltende That lassen die Erregung in Bewegungsacten abströmen. Der psychische Schmerz entladet dieselbe in respiratorischen Anstrengungen und in einem secretorischen Acte, Schluchzen und Weinen. Dass diese Reactionen die Aufregung mindern und beruhigen, ist Sache der täglichen Erfahrung. Wie schon bemerkt, drückt die Sprache dies in den Terminis „sich ausweinen, austoben“ u. s. w. aus; was dabei ausgegeben wird, ist eben die gesteigerte cerebrale Erregung. Nur einzelne dieser Reactionen sind zweckmässig, indem dadurch irgend etwas an der Sachlage geändert werden kann, wie durch die Zornesthat und -Rede. Die andern sind völlig zwecklos, oder vielmehr sie haben keinen anderen Zweck als die Ausgleichung der Erregungssteigerung und die Herstellung des psychischen Gleichgewichtes. Indem sie dies leisten, dienen sie der „Tendenz zur Constanterhaltung der cerebralen Erregung“. Den „asthenischen“ Affecten des Schrecks und der Angst fehlt diese reactive Entladung. Der Schreck lähmt ganz direct die Motilität wie die Association, und ebenso die Angst, wenn die eine zweckmässige Reaction des Davonlaufens durch die Ursache des Angstaffectes und durch die Umstände ausgeschlossen ist. Die Erregung des Schrecks schwindet nur durch allmähliche Ausgleichung. Der Zorn hat adäquate, der Veranlassung entsprechende Reactionen. Sind diese unmöglich oder werden sie gehemmt, so treten Surrogate an ihre Stelle. Schon die Zornrede ist ein solches. Aber auch andere, ganz zwecklose Acte ersetzen diese. Wenn Bismarck vor dem König die zornige Aufregung unterdrücken muss, erleichtert er sich dann, indem er eine kostbare Vase zu Boden schmettert. Diese willkürliche Substitution eines motorischen Actes durch einen anderen entspricht ganz dem Ersatz der natürlichen Schmerzreflexe durch andere Muskelcontractionen; der präformirte Reflex bei einer Zahnextraction ist es, den Arzt wegzustossen und zu schreien. Wenn wir statt dessen die Armmuskeln contrahiren und die Stuhllehne pressen, so versetzen wir das durch den Schmerz ausgelöste Erregungsquantum von einer Muskelgruppe auf eine andere. Bei spontanem heftigen Zahnschmerz, der ausser dem Aechzen ja keinen präformirten Reflex hat, strömt die Erregung in zwecklosem Hin- und Herlaufen ab. Ebenso transponiren wir die Erregung des Zornes von der adäquaten Reaction auf andere und fühlen uns entlastet, wenn sie nur durch irgend eine starke motorische Innervation verbraucht wird. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div> <p><pb facs="#f0182" n="176"/> der Freude, der gesteigerte Muskeltonus des Zornes, die Zornrede und die vergeltende That lassen die Erregung in Bewegungsacten abströmen. Der psychische Schmerz entladet dieselbe in respiratorischen Anstrengungen und in einem secretorischen Acte, Schluchzen und Weinen. Dass diese Reactionen die Aufregung mindern und beruhigen, ist Sache der täglichen Erfahrung. Wie schon bemerkt, drückt die Sprache dies in den Terminis „sich ausweinen, austoben“ u. s. w. aus; was dabei ausgegeben wird, ist eben die gesteigerte cerebrale Erregung.</p> <p>Nur einzelne dieser Reactionen sind zweckmässig, indem dadurch irgend etwas an der Sachlage geändert werden kann, wie durch die Zornesthat und -Rede. Die andern sind völlig zwecklos, oder vielmehr sie haben keinen anderen Zweck als die Ausgleichung der Erregungssteigerung und die Herstellung des psychischen Gleichgewichtes. Indem sie dies leisten, dienen sie der „Tendenz zur Constanterhaltung der cerebralen Erregung“.</p> <p>Den „asthenischen“ Affecten des Schrecks und der Angst fehlt diese reactive Entladung. Der Schreck lähmt ganz direct die Motilität wie die Association, und ebenso die Angst, wenn die eine zweckmässige Reaction des Davonlaufens durch die Ursache des Angstaffectes und durch die Umstände ausgeschlossen ist. Die Erregung des Schrecks schwindet nur durch allmähliche Ausgleichung.</p> <p>Der Zorn hat adäquate, der Veranlassung entsprechende Reactionen. Sind diese unmöglich oder werden sie gehemmt, so treten Surrogate an ihre Stelle. Schon die Zornrede ist ein solches. Aber auch andere, ganz zwecklose Acte ersetzen diese. Wenn <hi rendition="#g">Bismarck</hi> vor dem König die zornige Aufregung unterdrücken muss, erleichtert er sich dann, indem er eine kostbare Vase zu Boden schmettert. Diese willkürliche Substitution eines motorischen Actes durch einen anderen entspricht ganz dem Ersatz der natürlichen Schmerzreflexe durch andere Muskelcontractionen; der präformirte Reflex bei einer Zahnextraction ist es, den Arzt wegzustossen und zu schreien. Wenn wir statt dessen die Armmuskeln contrahiren und die Stuhllehne pressen, so versetzen wir das durch den Schmerz ausgelöste Erregungsquantum von einer Muskelgruppe auf eine andere. Bei spontanem heftigen Zahnschmerz, der ausser dem Aechzen ja keinen präformirten Reflex hat, strömt die Erregung in zwecklosem Hin- und Herlaufen ab. Ebenso transponiren wir die Erregung des Zornes von der adäquaten Reaction auf andere und fühlen uns entlastet, wenn sie nur durch irgend eine starke motorische Innervation verbraucht wird.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [176/0182]
der Freude, der gesteigerte Muskeltonus des Zornes, die Zornrede und die vergeltende That lassen die Erregung in Bewegungsacten abströmen. Der psychische Schmerz entladet dieselbe in respiratorischen Anstrengungen und in einem secretorischen Acte, Schluchzen und Weinen. Dass diese Reactionen die Aufregung mindern und beruhigen, ist Sache der täglichen Erfahrung. Wie schon bemerkt, drückt die Sprache dies in den Terminis „sich ausweinen, austoben“ u. s. w. aus; was dabei ausgegeben wird, ist eben die gesteigerte cerebrale Erregung.
Nur einzelne dieser Reactionen sind zweckmässig, indem dadurch irgend etwas an der Sachlage geändert werden kann, wie durch die Zornesthat und -Rede. Die andern sind völlig zwecklos, oder vielmehr sie haben keinen anderen Zweck als die Ausgleichung der Erregungssteigerung und die Herstellung des psychischen Gleichgewichtes. Indem sie dies leisten, dienen sie der „Tendenz zur Constanterhaltung der cerebralen Erregung“.
Den „asthenischen“ Affecten des Schrecks und der Angst fehlt diese reactive Entladung. Der Schreck lähmt ganz direct die Motilität wie die Association, und ebenso die Angst, wenn die eine zweckmässige Reaction des Davonlaufens durch die Ursache des Angstaffectes und durch die Umstände ausgeschlossen ist. Die Erregung des Schrecks schwindet nur durch allmähliche Ausgleichung.
Der Zorn hat adäquate, der Veranlassung entsprechende Reactionen. Sind diese unmöglich oder werden sie gehemmt, so treten Surrogate an ihre Stelle. Schon die Zornrede ist ein solches. Aber auch andere, ganz zwecklose Acte ersetzen diese. Wenn Bismarck vor dem König die zornige Aufregung unterdrücken muss, erleichtert er sich dann, indem er eine kostbare Vase zu Boden schmettert. Diese willkürliche Substitution eines motorischen Actes durch einen anderen entspricht ganz dem Ersatz der natürlichen Schmerzreflexe durch andere Muskelcontractionen; der präformirte Reflex bei einer Zahnextraction ist es, den Arzt wegzustossen und zu schreien. Wenn wir statt dessen die Armmuskeln contrahiren und die Stuhllehne pressen, so versetzen wir das durch den Schmerz ausgelöste Erregungsquantum von einer Muskelgruppe auf eine andere. Bei spontanem heftigen Zahnschmerz, der ausser dem Aechzen ja keinen präformirten Reflex hat, strömt die Erregung in zwecklosem Hin- und Herlaufen ab. Ebenso transponiren wir die Erregung des Zornes von der adäquaten Reaction auf andere und fühlen uns entlastet, wenn sie nur durch irgend eine starke motorische Innervation verbraucht wird.
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