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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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ermöglicht. Es sind übrigens meistens doch nur affective Vorstellungen, welche suggestiv in somatischen Phänomenen realisirt werden, und so kann man den Vorgang oft auch als Conversion des begleitenden Schreck- oder Angstaffects auffassen.

Diese Processe der Affectconversion und der Suggestion bleiben identisch auch in den complicirten Formen von Hysterie, die nun zu betrachten sind; sie finden dort nur günstigere Bedingungen; aber psychisch bedingte hysterische Phänomene entstehen immer durch einen dieser beiden Vorgänge.



Jenes dritte Constituens der hysterischen Disposition, welches in manchen Fällen zu den früher besprochenen hinzutritt, die Conversion wie die Suggestion in höchstem Maasse begünstigt und erleichtert und dadurch sozusagen über den kleinen Hysterien, die nur einzelne hysterische Phänomene zeigen, das weitere Stockwerk der grossen Hysterie aufbaut, ist das Hypnoid, die Neigung zur Autohypnose (pag. 187). Sie constituirt einen, zunächst nur vorübergehenden und mit dem normalen alternirenden Zustand, dem wir dieselbe Steigerung der psychischen Einwirkung auf den Körper zuschreiben dürfen, die wir in der artificiellen Hypnose beobachten; diese Einwirkung ist hier umso intensiver und tiefer greifend, als sie ein Nervensystem betrifft, welches schon ausserhalb der Hypnose von anomaler Erregbarkeit ist.1 In wie weit und in welchen Fällen die Neigung zur Autohypnose originäre Eigenschaft des Organismus ist, wissen wir nicht. Ich habe oben (pag. 191), die Ansicht ausgesprochen, dass sie sich aus affecterfüllter Träumerei entwickle. Aber sicher gehört auch hiezu originäre Disposition. Wenn jene Ansicht richtig ist, so wird auch hier deutlich, wie grosser Einfluss auf die Entwicklung der Hysterie der Sexualität zuzuschreiben ist. Denn es gibt ausser der Krankenpflege keinen psychischen Factor, der so wie die Liebessehnsucht geeignet ist, affecterfüllte Träumerei zu erzeugen. Und überdies ist der sexuale Organismus

1 Es liegt nahe, die Disposition zur Hypnose mit der originären abnormen Erregbarkeit zu identificiren, da uns ja auch die arteficielle Hypnose ideogene Veränderungen der Secretion, der localen Blutfülle, Blasenbildungen u. dgl. zeigt. Diess scheint die Ansicht von Möbius zu sein. Ich meine aber, man bewegt sich da in einem falschen Cirkel. Diese Thaumaturgie der Hypnose beobachten wir, so viel ich sehe, doch nur bei Hysterischen. Wir würden also der Hypnose die Leistungen der Hysterie zuschreiben, und dann wieder diese aus der Hypnose ableiten.

ermöglicht. Es sind übrigens meistens doch nur affective Vorstellungen, welche suggestiv in somatischen Phänomenen realisirt werden, und so kann man den Vorgang oft auch als Conversion des begleitenden Schreck- oder Angstaffects auffassen.

Diese Processe der Affectconversion und der Suggestion bleiben identisch auch in den complicirten Formen von Hysterie, die nun zu betrachten sind; sie finden dort nur günstigere Bedingungen; aber psychisch bedingte hysterische Phänomene entstehen immer durch einen dieser beiden Vorgänge.



Jenes dritte Constituens der hysterischen Disposition, welches in manchen Fällen zu den früher besprochenen hinzutritt, die Conversion wie die Suggestion in höchstem Maasse begünstigt und erleichtert und dadurch sozusagen über den kleinen Hysterien, die nur einzelne hysterische Phänomene zeigen, das weitere Stockwerk der grossen Hysterie aufbaut, ist das Hypnoid, die Neigung zur Autohypnose (pag. 187). Sie constituirt einen, zunächst nur vorübergehenden und mit dem normalen alternirenden Zustand, dem wir dieselbe Steigerung der psychischen Einwirkung auf den Körper zuschreiben dürfen, die wir in der artificiellen Hypnose beobachten; diese Einwirkung ist hier umso intensiver und tiefer greifend, als sie ein Nervensystem betrifft, welches schon ausserhalb der Hypnose von anomaler Erregbarkeit ist.1 In wie weit und in welchen Fällen die Neigung zur Autohypnose originäre Eigenschaft des Organismus ist, wissen wir nicht. Ich habe oben (pag. 191), die Ansicht ausgesprochen, dass sie sich aus affecterfüllter Träumerei entwickle. Aber sicher gehört auch hiezu originäre Disposition. Wenn jene Ansicht richtig ist, so wird auch hier deutlich, wie grosser Einfluss auf die Entwicklung der Hysterie der Sexualität zuzuschreiben ist. Denn es gibt ausser der Krankenpflege keinen psychischen Factor, der so wie die Liebessehnsucht geeignet ist, affecterfüllte Träumerei zu erzeugen. Und überdies ist der sexuale Organismus

1 Es liegt nahe, die Disposition zur Hypnose mit der originären abnormen Erregbarkeit zu identificiren, da uns ja auch die arteficielle Hypnose ideogene Veränderungen der Secretion, der localen Blutfülle, Blasenbildungen u. dgl. zeigt. Diess scheint die Ansicht von Möbius zu sein. Ich meine aber, man bewegt sich da in einem falschen Cirkel. Diese Thaumaturgie der Hypnose beobachten wir, so viel ich sehe, doch nur bei Hysterischen. Wir würden also der Hypnose die Leistungen der Hysterie zuschreiben, und dann wieder diese aus der Hypnose ableiten.
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[218/0224] ermöglicht. Es sind übrigens meistens doch nur affective Vorstellungen, welche suggestiv in somatischen Phänomenen realisirt werden, und so kann man den Vorgang oft auch als Conversion des begleitenden Schreck- oder Angstaffects auffassen. Diese Processe der Affectconversion und der Suggestion bleiben identisch auch in den complicirten Formen von Hysterie, die nun zu betrachten sind; sie finden dort nur günstigere Bedingungen; aber psychisch bedingte hysterische Phänomene entstehen immer durch einen dieser beiden Vorgänge. Jenes dritte Constituens der hysterischen Disposition, welches in manchen Fällen zu den früher besprochenen hinzutritt, die Conversion wie die Suggestion in höchstem Maasse begünstigt und erleichtert und dadurch sozusagen über den kleinen Hysterien, die nur einzelne hysterische Phänomene zeigen, das weitere Stockwerk der grossen Hysterie aufbaut, ist das Hypnoid, die Neigung zur Autohypnose (pag. 187). Sie constituirt einen, zunächst nur vorübergehenden und mit dem normalen alternirenden Zustand, dem wir dieselbe Steigerung der psychischen Einwirkung auf den Körper zuschreiben dürfen, die wir in der artificiellen Hypnose beobachten; diese Einwirkung ist hier umso intensiver und tiefer greifend, als sie ein Nervensystem betrifft, welches schon ausserhalb der Hypnose von anomaler Erregbarkeit ist. 1 In wie weit und in welchen Fällen die Neigung zur Autohypnose originäre Eigenschaft des Organismus ist, wissen wir nicht. Ich habe oben (pag. 191), die Ansicht ausgesprochen, dass sie sich aus affecterfüllter Träumerei entwickle. Aber sicher gehört auch hiezu originäre Disposition. Wenn jene Ansicht richtig ist, so wird auch hier deutlich, wie grosser Einfluss auf die Entwicklung der Hysterie der Sexualität zuzuschreiben ist. Denn es gibt ausser der Krankenpflege keinen psychischen Factor, der so wie die Liebessehnsucht geeignet ist, affecterfüllte Träumerei zu erzeugen. Und überdies ist der sexuale Organismus 1 Es liegt nahe, die Disposition zur Hypnose mit der originären abnormen Erregbarkeit zu identificiren, da uns ja auch die arteficielle Hypnose ideogene Veränderungen der Secretion, der localen Blutfülle, Blasenbildungen u. dgl. zeigt. Diess scheint die Ansicht von Möbius zu sein. Ich meine aber, man bewegt sich da in einem falschen Cirkel. Diese Thaumaturgie der Hypnose beobachten wir, so viel ich sehe, doch nur bei Hysterischen. Wir würden also der Hypnose die Leistungen der Hysterie zuschreiben, und dann wieder diese aus der Hypnose ableiten.

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/224>, abgerufen am 10.05.2024.