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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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diesem Mechanismus zu Liebe etwa soviel andere Neurosen in einen Topf mit der Hysterie zu werfen. Aus all' den angeregten Zweifeln riss mich endlich der Plan, alle anderen in Frage kommenden Neurosen ähnlich wie die Hysterie zu behandeln, überall nach der Aetiologie und nach der Art des psychischen Mechanismus zu forschen, und die Entscheidung über die Berechtigung der Hysteriediagnose von dem Ausfall dieser Untersuchung abhängen zu lassen.

So gelangte ich, von der Breuer'schen Methode ausgehend, dazu, mich mit der Aetiologie und dem Mechanismus der Neurosen überhaupt zu beschäftigen. Ich hatte dann das Glück, in verhältnissmässig kurzer Zeit bei brauchbaren Ergebnissen anzukommen. Es drängte sich mir zunächst die Erkenntniss auf, dass, insofern man von einer Verursachung sprechen könne, durch welche Neurosen erworben würden, die Aetiologie in sexuellen Momenten zu suchen sei. Daran reihte sich der Befund, dass verschiedene sexuelle Momente, ganz allgemein genommen, auch verschiedene Bilder von neurotischen Erkrankungen erzeugen. Und nun konnte man, in dem Maass, als sich das letztere Verhältniss bestätigte, auch wagen, die Aetiologie zur Charakteristik der Neurosen zu verwerthen und eine scharfe Scheidung der Krankheitsbilder der Neurosen aufzustellen. Trafen ätiologische Charaktere mit klinischen constant zusammen, so war diess ja gerechtfertigt.

Auf diese Weise ergab sich mir, dass der Neurasthenie eigentlich ein monotones Krankheitsbild entspreche, in welchem, wie Analysen zeigten, ein "psychischer Mechanismus" keine Rolle spiele. Von der Neurasthenie trennte sich scharf ab die Zwangsneurose, die Neurose der echten Zwangsvorstellungen, für die sich ein complicirter psychischer Mechanismus, eine der hysterischen ähnliche Aetiologie und eine weitreichende Möglichkeit der Rückbildung durch Psychotherapie erkennen liessen. Andererseits schien es mir unbedenklich geboten, von der Neurasthenie einen neurotischen Symptomcomplex abzusondern, der von einer ganz abweichenden, ja, im Grunde genommen, gegensätzlichen Aetiologie abhängt, während die Theilsymptome dieses Complexes durch einen schon von E. Hecker1 erkannten Charakter zusammengehalten werden. Sie sind nämlich entweder Symptome oder Aequivalente und Rudimente von Angstäusserungen, und ich habe darum diesen von der Neurasthenie abzutrennenden Complex Angstneurose geheissen. Ich habe von ihm behauptet, er käme durch die Anhäufung physischer Spannung zu Stande, die selbst wieder sexualer

1 E. Hecker, Centralblatt für Nervenheilkunde, Dec. 1893.

diesem Mechanismus zu Liebe etwa soviel andere Neurosen in einen Topf mit der Hysterie zu werfen. Aus all’ den angeregten Zweifeln riss mich endlich der Plan, alle anderen in Frage kommenden Neurosen ähnlich wie die Hysterie zu behandeln, überall nach der Aetiologie und nach der Art des psychischen Mechanismus zu forschen, und die Entscheidung über die Berechtigung der Hysteriediagnose von dem Ausfall dieser Untersuchung abhängen zu lassen.

So gelangte ich, von der Breuer’schen Methode ausgehend, dazu, mich mit der Aetiologie und dem Mechanismus der Neurosen überhaupt zu beschäftigen. Ich hatte dann das Glück, in verhältnissmässig kurzer Zeit bei brauchbaren Ergebnissen anzukommen. Es drängte sich mir zunächst die Erkenntniss auf, dass, insofern man von einer Verursachung sprechen könne, durch welche Neurosen erworben würden, die Aetiologie in sexuellen Momenten zu suchen sei. Daran reihte sich der Befund, dass verschiedene sexuelle Momente, ganz allgemein genommen, auch verschiedene Bilder von neurotischen Erkrankungen erzeugen. Und nun konnte man, in dem Maass, als sich das letztere Verhältniss bestätigte, auch wagen, die Aetiologie zur Charakteristik der Neurosen zu verwerthen und eine scharfe Scheidung der Krankheitsbilder der Neurosen aufzustellen. Trafen ätiologische Charaktere mit klinischen constant zusammen, so war diess ja gerechtfertigt.

Auf diese Weise ergab sich mir, dass der Neurasthenie eigentlich ein monotones Krankheitsbild entspreche, in welchem, wie Analysen zeigten, ein „psychischer Mechanismus“ keine Rolle spiele. Von der Neurasthenie trennte sich scharf ab die Zwangsneurose, die Neurose der echten Zwangsvorstellungen, für die sich ein complicirter psychischer Mechanismus, eine der hysterischen ähnliche Aetiologie und eine weitreichende Möglichkeit der Rückbildung durch Psychotherapie erkennen liessen. Andererseits schien es mir unbedenklich geboten, von der Neurasthenie einen neurotischen Symptomcomplex abzusondern, der von einer ganz abweichenden, ja, im Grunde genommen, gegensätzlichen Aetiologie abhängt, während die Theilsymptome dieses Complexes durch einen schon von E. Hecker1 erkannten Charakter zusammengehalten werden. Sie sind nämlich entweder Symptome oder Aequivalente und Rudimente von Angstäusserungen, und ich habe darum diesen von der Neurasthenie abzutrennenden Complex Angstneurose geheissen. Ich habe von ihm behauptet, er käme durch die Anhäufung physischer Spannung zu Stande, die selbst wieder sexualer

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[224/0230] diesem Mechanismus zu Liebe etwa soviel andere Neurosen in einen Topf mit der Hysterie zu werfen. Aus all’ den angeregten Zweifeln riss mich endlich der Plan, alle anderen in Frage kommenden Neurosen ähnlich wie die Hysterie zu behandeln, überall nach der Aetiologie und nach der Art des psychischen Mechanismus zu forschen, und die Entscheidung über die Berechtigung der Hysteriediagnose von dem Ausfall dieser Untersuchung abhängen zu lassen. So gelangte ich, von der Breuer’schen Methode ausgehend, dazu, mich mit der Aetiologie und dem Mechanismus der Neurosen überhaupt zu beschäftigen. Ich hatte dann das Glück, in verhältnissmässig kurzer Zeit bei brauchbaren Ergebnissen anzukommen. Es drängte sich mir zunächst die Erkenntniss auf, dass, insofern man von einer Verursachung sprechen könne, durch welche Neurosen erworben würden, die Aetiologie in sexuellen Momenten zu suchen sei. Daran reihte sich der Befund, dass verschiedene sexuelle Momente, ganz allgemein genommen, auch verschiedene Bilder von neurotischen Erkrankungen erzeugen. Und nun konnte man, in dem Maass, als sich das letztere Verhältniss bestätigte, auch wagen, die Aetiologie zur Charakteristik der Neurosen zu verwerthen und eine scharfe Scheidung der Krankheitsbilder der Neurosen aufzustellen. Trafen ätiologische Charaktere mit klinischen constant zusammen, so war diess ja gerechtfertigt. Auf diese Weise ergab sich mir, dass der Neurasthenie eigentlich ein monotones Krankheitsbild entspreche, in welchem, wie Analysen zeigten, ein „psychischer Mechanismus“ keine Rolle spiele. Von der Neurasthenie trennte sich scharf ab die Zwangsneurose, die Neurose der echten Zwangsvorstellungen, für die sich ein complicirter psychischer Mechanismus, eine der hysterischen ähnliche Aetiologie und eine weitreichende Möglichkeit der Rückbildung durch Psychotherapie erkennen liessen. Andererseits schien es mir unbedenklich geboten, von der Neurasthenie einen neurotischen Symptomcomplex abzusondern, der von einer ganz abweichenden, ja, im Grunde genommen, gegensätzlichen Aetiologie abhängt, während die Theilsymptome dieses Complexes durch einen schon von E. Hecker 1 erkannten Charakter zusammengehalten werden. Sie sind nämlich entweder Symptome oder Aequivalente und Rudimente von Angstäusserungen, und ich habe darum diesen von der Neurasthenie abzutrennenden Complex Angstneurose geheissen. Ich habe von ihm behauptet, er käme durch die Anhäufung physischer Spannung zu Stande, die selbst wieder sexualer 1 E. Hecker, Centralblatt für Nervenheilkunde, Dec. 1893.

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/230>, abgerufen am 24.11.2024.