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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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peinlicher Natur, geeignet, die Affecte der Scham, des Vorwurfs, des psychischen Schmerzes, die Empfindung der Beeinträchtigung hervorzurufen, sämmtlich von der Art, wie man sie gerne nicht erlebt haben möchte, wie man sie am liebsten vergisst. Aus alledem ergab sich wie von selbst der Gedanke der Abwehr. Es wird ja von den Psychologen allgemein zugegeben, dass die Annahme einer neuen Vorstellung (Annahme im Sinne des Glaubens, des Zuerkennens von Realität) von der Art und Richtung der bereits im Ich vereinigten Vorstellungen abhängt, und sie haben für den Vorgang der Censur, dem die neu anlangende unterliegt, besondere technische Namen geschaffen. An das Ich des Kranken war eine Vorstellung herangetreten, die sich als unverträglich erwies, die eine Kraft der Abstossung von Seiten des Ich wachrief, deren Zweck die Abwehr dieser unverträglichen Vorstellung war. Diese Abwehr gelang thatsächlich, die betreffende Vorstellung war aus dem Bewusstsein und aus der Erinnerung gedrängt, ihre psychische Spur war anscheinend nicht aufzufinden. Doch musste diese Spur vorhanden sein. Wenn ich mich bemühte, die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken, bekam ich dieselbe Kraft als Widerstand zu spüren, die sich bei der Genese des Symptoms als Abstossung gezeigt hatte. Wenn ich nun wahrscheinlich machen konnte, dass die Vorstellung gerade in Folge der Ausstossung und Verdrängung pathogen geworden war, so schien die Kette geschlossen. Ich habe in mehreren Epikrisen unserer Krankengeschichten und in einer kleinen Arbeit über die Abwehr-Neuropsychosen (1894) versucht, die psychologischen Hypothesen anzudeuten, mit deren Hilfe man auch diesen Zusammenhang - die Thatsache der Conversion - anschaulich machen kann.

Also eine psychische Kraft, die Abneigung des Ich, hatte ursprünglich die pathogene Vorstellung aus der Association gedrängt und widersetzte sich jetzt ihrer Wiederkehr in der Erinnerung. Das Nichtwissen der Hysterischen war also eigentlich ein - mehr oder minder bewusstes - Nichtwissenwollen, und die Aufgabe des Therapeuten bestand darin, diesen Associationswiderstand durch psychische Arbeit zu überwinden. Solche Leistung erfolgt zuerst durch "Drängen", Anwendung eines psychischen Zwanges, um die Aufmerksamkeit der Kranken auf die gesuchten Vorstellungsspuren zu lenken. Sie ist aber damit nicht erschöpft, sondern nimmt, wie ich zeigen werde, im Verlaufe einer Analyse andere Formen an und ruft weitere psychische Kräfte zur Hilfe.

peinlicher Natur, geeignet, die Affecte der Scham, des Vorwurfs, des psychischen Schmerzes, die Empfindung der Beeinträchtigung hervorzurufen, sämmtlich von der Art, wie man sie gerne nicht erlebt haben möchte, wie man sie am liebsten vergisst. Aus alledem ergab sich wie von selbst der Gedanke der Abwehr. Es wird ja von den Psychologen allgemein zugegeben, dass die Annahme einer neuen Vorstellung (Annahme im Sinne des Glaubens, des Zuerkennens von Realität) von der Art und Richtung der bereits im Ich vereinigten Vorstellungen abhängt, und sie haben für den Vorgang der Censur, dem die neu anlangende unterliegt, besondere technische Namen geschaffen. An das Ich des Kranken war eine Vorstellung herangetreten, die sich als unverträglich erwies, die eine Kraft der Abstossung von Seiten des Ich wachrief, deren Zweck die Abwehr dieser unverträglichen Vorstellung war. Diese Abwehr gelang thatsächlich, die betreffende Vorstellung war aus dem Bewusstsein und aus der Erinnerung gedrängt, ihre psychische Spur war anscheinend nicht aufzufinden. Doch musste diese Spur vorhanden sein. Wenn ich mich bemühte, die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken, bekam ich dieselbe Kraft als Widerstand zu spüren, die sich bei der Genese des Symptoms als Abstossung gezeigt hatte. Wenn ich nun wahrscheinlich machen konnte, dass die Vorstellung gerade in Folge der Ausstossung und Verdrängung pathogen geworden war, so schien die Kette geschlossen. Ich habe in mehreren Epikrisen unserer Krankengeschichten und in einer kleinen Arbeit über die Abwehr-Neuropsychosen (1894) versucht, die psychologischen Hypothesen anzudeuten, mit deren Hilfe man auch diesen Zusammenhang – die Thatsache der Conversion – anschaulich machen kann.

Also eine psychische Kraft, die Abneigung des Ich, hatte ursprünglich die pathogene Vorstellung aus der Association gedrängt und widersetzte sich jetzt ihrer Wiederkehr in der Erinnerung. Das Nichtwissen der Hysterischen war also eigentlich ein – mehr oder minder bewusstes – Nichtwissenwollen, und die Aufgabe des Therapeuten bestand darin, diesen Associationswiderstand durch psychische Arbeit zu überwinden. Solche Leistung erfolgt zuerst durch „Drängen“, Anwendung eines psychischen Zwanges, um die Aufmerksamkeit der Kranken auf die gesuchten Vorstellungsspuren zu lenken. Sie ist aber damit nicht erschöpft, sondern nimmt, wie ich zeigen werde, im Verlaufe einer Analyse andere Formen an und ruft weitere psychische Kräfte zur Hilfe.

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peinlicher Natur, geeignet, die Affecte der Scham, des Vorwurfs, des psychischen Schmerzes, die Empfindung der Beeinträchtigung hervorzurufen, sämmtlich von der Art, wie man sie gerne nicht erlebt haben möchte, wie man sie am liebsten vergisst. Aus alledem ergab sich wie von selbst der Gedanke der <hi rendition="#g">Abwehr</hi>. Es wird ja von den Psychologen allgemein zugegeben, dass die Annahme einer neuen Vorstellung (Annahme im Sinne des Glaubens, des Zuerkennens von Realität) von der Art und Richtung der bereits im Ich vereinigten Vorstellungen abhängt, und sie haben für den Vorgang der Censur, dem die neu anlangende unterliegt, besondere technische Namen geschaffen. An das Ich des Kranken war eine Vorstellung herangetreten, die sich als unverträglich erwies, die eine Kraft der Abstossung von Seiten des Ich wachrief, deren Zweck die <hi rendition="#g">Abwehr</hi> dieser unverträglichen Vorstellung war. Diese Abwehr gelang thatsächlich, die betreffende Vorstellung war aus dem Bewusstsein und aus der Erinnerung gedrängt, ihre psychische Spur war anscheinend nicht aufzufinden. Doch musste diese Spur vorhanden sein. Wenn ich mich bemühte, die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken, bekam ich dieselbe Kraft als <hi rendition="#g">Widerstand</hi> zu spüren, die sich bei der Genese des Symptoms als <hi rendition="#g">Abstossung</hi> gezeigt hatte. Wenn ich nun wahrscheinlich machen konnte, dass die Vorstellung gerade in Folge der Ausstossung und Verdrängung pathogen geworden war, so schien die Kette geschlossen. Ich habe in mehreren Epikrisen unserer Krankengeschichten und in einer kleinen Arbeit über die Abwehr-Neuropsychosen (1894) versucht, die psychologischen Hypothesen anzudeuten, mit deren Hilfe man auch diesen Zusammenhang &#x2013; die Thatsache der <hi rendition="#g">Conversion</hi> &#x2013; anschaulich machen kann.</p>
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[235/0241] peinlicher Natur, geeignet, die Affecte der Scham, des Vorwurfs, des psychischen Schmerzes, die Empfindung der Beeinträchtigung hervorzurufen, sämmtlich von der Art, wie man sie gerne nicht erlebt haben möchte, wie man sie am liebsten vergisst. Aus alledem ergab sich wie von selbst der Gedanke der Abwehr. Es wird ja von den Psychologen allgemein zugegeben, dass die Annahme einer neuen Vorstellung (Annahme im Sinne des Glaubens, des Zuerkennens von Realität) von der Art und Richtung der bereits im Ich vereinigten Vorstellungen abhängt, und sie haben für den Vorgang der Censur, dem die neu anlangende unterliegt, besondere technische Namen geschaffen. An das Ich des Kranken war eine Vorstellung herangetreten, die sich als unverträglich erwies, die eine Kraft der Abstossung von Seiten des Ich wachrief, deren Zweck die Abwehr dieser unverträglichen Vorstellung war. Diese Abwehr gelang thatsächlich, die betreffende Vorstellung war aus dem Bewusstsein und aus der Erinnerung gedrängt, ihre psychische Spur war anscheinend nicht aufzufinden. Doch musste diese Spur vorhanden sein. Wenn ich mich bemühte, die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken, bekam ich dieselbe Kraft als Widerstand zu spüren, die sich bei der Genese des Symptoms als Abstossung gezeigt hatte. Wenn ich nun wahrscheinlich machen konnte, dass die Vorstellung gerade in Folge der Ausstossung und Verdrängung pathogen geworden war, so schien die Kette geschlossen. Ich habe in mehreren Epikrisen unserer Krankengeschichten und in einer kleinen Arbeit über die Abwehr-Neuropsychosen (1894) versucht, die psychologischen Hypothesen anzudeuten, mit deren Hilfe man auch diesen Zusammenhang – die Thatsache der Conversion – anschaulich machen kann. Also eine psychische Kraft, die Abneigung des Ich, hatte ursprünglich die pathogene Vorstellung aus der Association gedrängt und widersetzte sich jetzt ihrer Wiederkehr in der Erinnerung. Das Nichtwissen der Hysterischen war also eigentlich ein – mehr oder minder bewusstes – Nichtwissenwollen, und die Aufgabe des Therapeuten bestand darin, diesen Associationswiderstand durch psychische Arbeit zu überwinden. Solche Leistung erfolgt zuerst durch „Drängen“, Anwendung eines psychischen Zwanges, um die Aufmerksamkeit der Kranken auf die gesuchten Vorstellungsspuren zu lenken. Sie ist aber damit nicht erschöpft, sondern nimmt, wie ich zeigen werde, im Verlaufe einer Analyse andere Formen an und ruft weitere psychische Kräfte zur Hilfe.

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/241>, abgerufen am 21.11.2024.