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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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zeigen eine zweite Art von Anordnung; sie sind, ich kann es nicht anders ausdrücken, concentrisch um den pathogenen Kern geschichtet. Es ist nicht schwer zu sagen, was diese Schichtung ausmacht, nach welcher ab- oder zunehmenden Grösse diese Anordnung erfolgt. Es sind Schichten gleichen, gegen den Kern hin wachsenden Widerstandes und damit Zonen gleicher Bewusstseinsveränderung, in denen sich die einzelnen Themen erstrecken. Die periphersten Schichten enthalten von verschiedenen Themen jene Erinnerungen (oder - Fascikel), die leicht erinnert werden und immer klar bewusst waren; je tiefer man geht, desto schwieriger werden die auftauchenden Erinnerungen erkannt, bis man nahe am Kern auf solche stösst, die der Patient noch bei der Reproduction verleugnet.

Diese Eigenthümlichkeit der concentrischen Schichtung des pathogenen psychischen Materials ist es, die dem Verlaufe solcher Analysen ihre, wie wir hören werden, charakteristischen Züge verleiht. Jetzt ist noch eine dritte Art von Anordnung zu erwähnen, die wesentlichste, über die am wenigsten leicht eine allgemeine Aussage zu machen ist. Es ist die Anordnung nach dem Gedankeninhalt, die Verknüpfung durch den bis zum Kern reichenden logischen Faden, der einem in jedem Falle besonderen, unregelmässigen und vielfach abgeknickten Weg entsprechen mag. Diese Anordnung hat einen dynamischen Charakter, im Gegensatz zum morphologischen der beiden vorerst erwähnten Schichtungen. Während letztere in einem räumlich ausgeführten Schema durch starre, bogenförmige und gerade Linien darzustellen wären, müsste man dem Gang der logischen Verkettung mit einem Stäbchen nachfahren, welches auf den verschlungensten Wegen aus oberflächlichen in tiefe Schichten und zurück, doch im Allgemeinen von der Peripherie her zum centralen Kern vordringt und dabei alle Stationen berühren muss, also ähnlich wie das Zickzack der Lösung einer Rösselsprungaufgabe über die Felderzeichnung hinweggeht.

Ich halte letzteren Vergleich noch für einen Moment fest, um einen Punkt hervorzuheben, in dem er den Eigenschaften des Verglichenen nicht gerecht wird. Der logische Zusammenhang entspricht nicht nur einer zickzackförmig geknickten Linie, sondern vielmehr einer verzweigten, und ganz besonders einem convergirenden Liniensystem. Er hat Knotenpunkte, in denen zwei oder mehrere Fäden zusammentreffen, um von da an vereinigt weiterzuziehen, und in den Kern münden in der Regel mehrere unabhängig von einander verlaufende oder durch Seitenwege stellenweise verbundene Fäden ein. Es ist sehr bemerkenswerth,

zeigen eine zweite Art von Anordnung; sie sind, ich kann es nicht anders ausdrücken, concentrisch um den pathogenen Kern geschichtet. Es ist nicht schwer zu sagen, was diese Schichtung ausmacht, nach welcher ab- oder zunehmenden Grösse diese Anordnung erfolgt. Es sind Schichten gleichen, gegen den Kern hin wachsenden Widerstandes und damit Zonen gleicher Bewusstseinsveränderung, in denen sich die einzelnen Themen erstrecken. Die periphersten Schichten enthalten von verschiedenen Themen jene Erinnerungen (oder – Fascikel), die leicht erinnert werden und immer klar bewusst waren; je tiefer man geht, desto schwieriger werden die auftauchenden Erinnerungen erkannt, bis man nahe am Kern auf solche stösst, die der Patient noch bei der Reproduction verleugnet.

Diese Eigenthümlichkeit der concentrischen Schichtung des pathogenen psychischen Materials ist es, die dem Verlaufe solcher Analysen ihre, wie wir hören werden, charakteristischen Züge verleiht. Jetzt ist noch eine dritte Art von Anordnung zu erwähnen, die wesentlichste, über die am wenigsten leicht eine allgemeine Aussage zu machen ist. Es ist die Anordnung nach dem Gedankeninhalt, die Verknüpfung durch den bis zum Kern reichenden logischen Faden, der einem in jedem Falle besonderen, unregelmässigen und vielfach abgeknickten Weg entsprechen mag. Diese Anordnung hat einen dynamischen Charakter, im Gegensatz zum morphologischen der beiden vorerst erwähnten Schichtungen. Während letztere in einem räumlich ausgeführten Schema durch starre, bogenförmige und gerade Linien darzustellen wären, müsste man dem Gang der logischen Verkettung mit einem Stäbchen nachfahren, welches auf den verschlungensten Wegen aus oberflächlichen in tiefe Schichten und zurück, doch im Allgemeinen von der Peripherie her zum centralen Kern vordringt und dabei alle Stationen berühren muss, also ähnlich wie das Zickzack der Lösung einer Rösselsprungaufgabe über die Felderzeichnung hinweggeht.

Ich halte letzteren Vergleich noch für einen Moment fest, um einen Punkt hervorzuheben, in dem er den Eigenschaften des Verglichenen nicht gerecht wird. Der logische Zusammenhang entspricht nicht nur einer zickzackförmig geknickten Linie, sondern vielmehr einer verzweigten, und ganz besonders einem convergirenden Liniensystem. Er hat Knotenpunkte, in denen zwei oder mehrere Fäden zusammentreffen, um von da an vereinigt weiterzuziehen, und in den Kern münden in der Regel mehrere unabhängig von einander verlaufende oder durch Seitenwege stellenweise verbundene Fäden ein. Es ist sehr bemerkenswerth,

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[254/0260] zeigen eine zweite Art von Anordnung; sie sind, ich kann es nicht anders ausdrücken, concentrisch um den pathogenen Kern geschichtet. Es ist nicht schwer zu sagen, was diese Schichtung ausmacht, nach welcher ab- oder zunehmenden Grösse diese Anordnung erfolgt. Es sind Schichten gleichen, gegen den Kern hin wachsenden Widerstandes und damit Zonen gleicher Bewusstseinsveränderung, in denen sich die einzelnen Themen erstrecken. Die periphersten Schichten enthalten von verschiedenen Themen jene Erinnerungen (oder – Fascikel), die leicht erinnert werden und immer klar bewusst waren; je tiefer man geht, desto schwieriger werden die auftauchenden Erinnerungen erkannt, bis man nahe am Kern auf solche stösst, die der Patient noch bei der Reproduction verleugnet. Diese Eigenthümlichkeit der concentrischen Schichtung des pathogenen psychischen Materials ist es, die dem Verlaufe solcher Analysen ihre, wie wir hören werden, charakteristischen Züge verleiht. Jetzt ist noch eine dritte Art von Anordnung zu erwähnen, die wesentlichste, über die am wenigsten leicht eine allgemeine Aussage zu machen ist. Es ist die Anordnung nach dem Gedankeninhalt, die Verknüpfung durch den bis zum Kern reichenden logischen Faden, der einem in jedem Falle besonderen, unregelmässigen und vielfach abgeknickten Weg entsprechen mag. Diese Anordnung hat einen dynamischen Charakter, im Gegensatz zum morphologischen der beiden vorerst erwähnten Schichtungen. Während letztere in einem räumlich ausgeführten Schema durch starre, bogenförmige und gerade Linien darzustellen wären, müsste man dem Gang der logischen Verkettung mit einem Stäbchen nachfahren, welches auf den verschlungensten Wegen aus oberflächlichen in tiefe Schichten und zurück, doch im Allgemeinen von der Peripherie her zum centralen Kern vordringt und dabei alle Stationen berühren muss, also ähnlich wie das Zickzack der Lösung einer Rösselsprungaufgabe über die Felderzeichnung hinweggeht. Ich halte letzteren Vergleich noch für einen Moment fest, um einen Punkt hervorzuheben, in dem er den Eigenschaften des Verglichenen nicht gerecht wird. Der logische Zusammenhang entspricht nicht nur einer zickzackförmig geknickten Linie, sondern vielmehr einer verzweigten, und ganz besonders einem convergirenden Liniensystem. Er hat Knotenpunkte, in denen zwei oder mehrere Fäden zusammentreffen, um von da an vereinigt weiterzuziehen, und in den Kern münden in der Regel mehrere unabhängig von einander verlaufende oder durch Seitenwege stellenweise verbundene Fäden ein. Es ist sehr bemerkenswerth,

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/260>, abgerufen am 21.11.2024.